Facebook braucht keine digitalen Pfarrämter

“Jenseits der Parochie” haben drei Autoren einen Beitrag zu evangelischer Kirche und Soical Media betitelt: Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach, Theologe und Web 2.0-Berater der ersten Stunde bzw. nach eigener Einschätzung einer der “TOP 5”-Strategen (1), Pfarrer Ralf Peter Reimann und Pfarrer Alexander Ebel. Ihre im Deutschen Pfarrerblatt (2) veröffentlichten Überlegungen beginnen mit einem richtigen und wichtigen Statement: in den “sozialen digitalen Netzwerken” wie Facebook (4) verlautbaren nicht Institutionen, sondern Menschen kommunizieren miteinander. Stark vereinfacht bedeutet dies: Social Media sind keine Zusatzkanäle zum Aussenden von Pressemitteilungen. Die Community will Gesichter, echte Menschen, die selbst schreiben (oder videobloggen, fotogarfieren, malen), die reagieren, Emotionen zeigen, ihr Menschsein nicht unter Bürokratensprache und Etikette verstecken.
Diese wichtige Botschaft ist noch lange nicht bei den “Oberhirten” der derzeit noch 20 evangelischen Landeskirchen und der EKD angekommen.

Und das liegt an einem zweiten Problem, das die Autoren leider nicht wirklich erkennen oder im Hinblick auf die Leserschaft allzu devot tarnen: die furchtbare, katholische Pfarrerzentriertheit der evangelischen Kirchen, die im Hinblick auf notwendige “Social Media Strategien” zum völligen Versagen der Kirchen führt.

“Kern einer evangelischen Social-Media-Strategie ist die Ermutigung von Pfarrerinnen und Pfarrern im Gemeindedienst, ein persönliches Profil auf Facebook zu führen.” So bringen die drei Theologen das Problem auf den Punkt, ohne es zu erkennen. Kleine evangelische Gemeinden haben einige hundert Mitglieder (und keinen “eigenen” oder “vollen” Pfarrer), große, fusionierte in den Städten zum Teil weit über zehntausend. Darin sollte ein theoretisch viel beschworenes Potential liegen, ein vielgestaltiger Reichtum. Doch statt mit dem – ebenfalls nur in der Theorie bekannten – reformatorischen Selbstverständnis auf diese Möglichkeiten zu setzen, hängen die Autoren eine ihrer Ansicht nach notwendige (nicht fakultative) Kommunikationsstrategie an das meist einzige hauptamtliche Personal, das schon mit so vielen Dingen beladen und überfordert ist: die Pfarrerschaft.

Facebook ist kein Wunsch und kein Ziel, sondern zunächst mal ganz wertfrei Realität (und zwar auch in der “Kohlenstoffwelt”, wie die Autoren das nennen). Und auch die Kirche ist Teil dieser Realität, unter anderem dergestalt, dass hier Gemeinde ohne Pfarrer unterwegs ist – und sie offenbar auch nicht vermisst (sonst käme die Einladung von ihnen, den Gemeindegliedern, nicht von Beratern und Strategen). Ja ganze Kirchen sind im Internet unterwegs (den Mitgliederzahlen nach), ohne dass sie ihre theologisch kompetenten Kirchenleitungen vermissen und einfordern.
Facebook ist eben kein öffentlich-rechtlicher Sender, in dessen Rundfunkrat die formalen Kirchenrepräsentanten Anspruch auf Sitz und Stimme haben. Hier muss man schon selbst aktiv werden und sich dann auch noch interessant machen, um von Interesse zu sein – ein dem Biologen vertrautes und liebes Selektionsprinzip.

Warum müssen ausgerechnet Pfarrer auf Facebook aktiv sein? Lünenbürger-Reidenbach, Reimann und Ebel: “Dies folgt der Tradition der öffentlichen Verkündigung und der einfachen Erreichbarkeit, denn ein Ziel pastoraler Arbeit in den Gemeinden wird weiterhin sein, für die Menschen erreichbar und ansprechbar zu sein.”

Das funktioniert aber nur, wenn Pfarrer_innen auf die Leute zugehen: insbesondere in der Form des ganz klassischen Besuchs. Der umgekehrte Weg ist die Ausnahme: nur ganz wenige Menschen ersuchen Pfarrer um ein Gespräch (außerhalb von Kasual-Notwendigkeiten). Aus einem wohlvertrauten Pfarramt weiß ich, dass in zehn Jahren die angebotene feste Sprechstunde genau ein einziges Mal genutzt wurde.

“Wenn rund 50% der Erwachsenen in Deutschland einen Facebook-Zugang nutzen und fast 100% der Jugendlichen darüber Verabredungen treffen, ist es nur für wenige Pfarrerinnen und Pfarrer eine ernsthafte Option, diesen Kanal nicht für die Kommunikation mit ihrer Gemeinde zu nutzen – so wie es heute im Pfarrdienst niemanden mehr geben wird, der nicht das Telefon nutzt, und nur sehr wenige, die nicht per e-Mail angesprochen werden können.”

Erreichbarkeit über Facebook herzustellen ist aber etwas völlig anderes als “Social Media”. Natürlich kann man ein FB-Profil einrichten und erlauben, dass einem jeder Nachrichten schreiben kann – ansonsten aber das Profil ungenutzt lassen. Aus zahlreichen Gesprächen mit Facebook-aktiven Pfarrern weiß ich, dass sich darüber keine seelsorgerlichen Kontakte ergeben, allgemeiner gesprochen: sie dürften sehr selten sein. Etwas ganz anderes ist es, sich an öffentlichen Gesprächen zu beteiligen, sich zu interessieren, an einem merkwürdigen Part des heutigen Lebens teilzuhaben. Aber dazu braucht es keine ermutigenden Aufsatz im verschnarchten Deutschen Pfarrerblatt. Entweder, das Kirchenpersonal stellt in seinen alltäglichen Begegnungen fest, dass eine Beteiligung an Facebook sinnvoll ist – oder eben nicht. Wer so wenig im realen Leben vernetzt ist, dass er hierfür Fremdberatung braucht, hat mit Sicherheit den falschen Job.

Die Autoren meinen: “Erste Erfahrungen zeigen, dass insbesondere Jugendliche (beispielsweise nach der Konfirmation) und junge Erwachsene (nach Trau- und Taufgesprächen) aktiv den Kontakt zu ihrer Pfarrerin, ihrem Pfarrer auf Facebook suchen. Sie senden damit ein deutliches Signal, dass sie einen (lockeren) Kontakt halten wollen, auch wenn sie absehbar keine Veranstaltungen und Gottesdienste besuchen werden.” Die Erfahrung kann ich bestätigen, nur die Schlussfolgerung daraus ist ganz bestimmt falsch. Denn auf Facebook befreunden sich die meisten mit jedem, den sie auch nur entfernt kennen. Und wenn da plötzlich die Ortspfarrerin bei Freunden erscheint, dann fügt man sie mit einem Klick auch den eigenen Kontakten hinzu.
Man bekommt heute den ganzen Konfirmandenjahrgang binnen weniger Minuten in eine eigene Facebookgruppe. Und viele nehmen auch zur Kenntnis, was dort geschrieben wird. Aber aktive Kommunikation gelingt deshalb noch lange nicht. Hinweise etwa auf Religionsthemen, die für Jugendliche durchaus interessant weil relevant sein könnten, werden durchgängig ignoriert. Die Bitte, sich mal eine Seite anzuschauen oder gar eine (kirchliche) Facebook-Seite zu “liken”, bleibt ohne Resonanz. Weil Jugendliche auf diese Themen eben keinen Bock haben, ganz gleich auf welchem Kanal und in welchem Kostüm sie daherkommen; und weil Facebook kein Medium für tiefgründige Themen ist, sondern für digitalen Smalltalk, Klatsch und Tratsch.

Auf die Spitze treiben die Autoren ihre Popenfixierung wie folgt:
“Was sich nicht ausschließen lässt – und was ekklesiologisch ein spannendes Beobachtungsfeld werden wird – ist, dass sich neben den Parochien auch »Gemeinden« insbesondere von kirchenfernen Kirchenmitgliedern oder auch Interessierten bilden werden, die an Pfarrern und Pfarrerinnen und ihren Profilen auf Facebook (oder anderen Kanälen) hängen.” Dass Gemeinden künftig durch (alleinunterhaltende) Pfarrer gebildet werden, ist kein Forschungsfeld der Ekklesiologie, sondern ungezügelte Pfarrherrlichkeit bzw. schlicht Unfug. Facebook ist nun gerade ein Medium, bei dem Kirchenleitende mal andere als Theologen zum Zuge kommen lassen sollten – weil sie dort schon längst aktiv sind, weil es “ihr Medium” ist, weil sie dort etwas zu sagen haben, mit der Technik und dem Publikum klar kommen. Doch das lässt der Klerus natürlich nicht zu. Ganz alte Schule macht er Pfarrer zu Internetbeauftragten und Social-Media-Managern (3) – und spricht sich schon mal vorsorglich die Kompetenz zu, auch hier eine Schäfchenherde sammeln und hüten zu können.

Das Morgenmagazin hatte vor wenigen Tagen auch nach Kirche in den sozialen Medien gefahndet. Und sich gewundert, warum so wenige Kirchenmitglieder die Facebookseite der EKD wie aller anderen kirchlichen Institutionen liken, warum das moderne Angebot von Youtube-Gottesdiensten nur relativ wenige Aufrufe hat. Und völlig unschlüssig war man sich, was denn mit der – manchmal sogar konstruktiven – Kirchenkritik in den Netzwerken geschehen solle.

Facebook ist ein Kommunikationsmarkt mit Angebot und Nachfrage. Wenn man von kirchlichen Institutionen für sich nichts Relevantes erwartet UND es nicht hipp ist, sich öffentlich zu ihnen zu bekennen (wie zu irgendeiner trendigen Marke), dann sind das keine Probleme von Social-Media-Management, sondern des institutionellen Protestantismus’. Statt auf Facebook kann man da auch sonntags in die Kirche, samstags aufs Gemeindefest und dienstags in die Mutter-Kind-Gruppe schauen. Gemeinde zu verstehen ist nicht schwierig – wenn man denn gewillt ist.

Eine Herausforderung für die Kirchen ist sicherlich, dass sich via Facebook plötzlich Leute zu boulevardesken Kirchenthemen äußern, denen das sonst kein Wort wert wäre und die nun gleichwohl zum Stimmungsbild erheblich beitragen können. Aber wenn dazu die aktiven Christen schweigen, sich die im Jugendgottesdienstteam aktiven Jugendlichen nicht digital bekennen, Kirchenvorsteher nicht für ihre Überorganisation argumentativ in die Bresche springen, gibt auch dies nur den Blick frei auf einen Ausschnitt der real existierenden Kirchen. Und diese brauchen keine neuen PR-Strategien, sondern eine grundlegende Reformation. Ansonsten werden die institutionellen Großkirchen weit schneller in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sein, als ihre eigenen Kirchenaustrittsprognosen sie bislang in Sicherheit wiegen.

Anmerkungen:

(1): http://www.achtung.de/ueber-achtung/koepfe/detail.php?person=wl

(2) Mitgliederzeitschrift der Pfarrervereine in Deutschland, zu deren eifrigsten Leserbriefschreibern Ruheständler gehören. Und ja, ich disclaime hier, einmal einen Aufsatz fürs Deutsche Pfarrerblatt geschrieben zu haben und mit dessen Schriftleiter über Kreuz zu liegen, seitdem ein zweiter Beitrag von mir zur bundesweiten Konfirmandenstudie durch die Intervention des Studienautors nicht wie vereinbart erschienen ist. Zur Konfirmandenstudie siehe auch: Qualität bleibt im Dunkeln

(3) Vielleicht von den Autoren als Einschränkung gedacht, die Pfarrerkirche aber weiter zementierend, schreiben die Autoren: “Auch wenn die Konzentration auf Pfarrerinnen und Pfarrer als Kommunikationsstrategie sinnvoll ist, wirft diese Pfarrerzentriertheit besonders in Kirchen und Gemeinden mit reformierter Prägung Fragen auf. Bei der Umsetzung einer Kommunikationsstrategie kann eine Landeskirche sich einfacher auf Pfarrerinnen und Pfarrer konzentrieren und fokussieren, aber mutatis mutandis auch Jugendleiter oder Kirchenmusikerinnen und auch einzelne Christinnen und Christen dazu einladen, Kirche und Glauben in der persönlichen Kommunikation in Sozialen Netzwerken sichtbar werden zu lassen.”
Zu dieser hier implizierten Kontroll-Paranoia passt die wunderbare Stellenanzeige einer Landeskirche, die jüngst einen neuen Pressesprecher gesucht hat und in den Anforderungen besondere Loyalität eingefordert hat. In ein solches Kommunikationsverständnis passen natürlich keine der unmittelbaren Weisung des Oberhirten nicht unterworfene, frei vor sich hin denkende Christen.

(4) siehe auch: Facebook-Mängelliste

Andere Stimmen zum Beitrag “Jenseits der Parochie”:

Kiliansnotizen (kath.)
Pastorenstückchen (evang.)

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