Leben ohne Internet – Mein Selbstversuch

Die Aktualitätsmechanismen im Journalismus sind immer wieder interessant. Gestern und heute interessierten sich plötzlich mehrere Agenturen für mein Computerfasten im letzten Jahr. Damals war damit kein Blumentopf zu gewinnen (wobei es mir auch tatsächlich erstmal nur um die persönliche Erfahrung ging), aber nun ist gerade eine Studie erschienen, wonach jeder siebte Deutsche noch nie im Internet war – und da solche Menschen nicht leicht zu finden sind, verfiel man irgendwie dann unter anderem auf mich, der ich freiwillig mal zeitlich befristet aufs Internet verzichtet habe. Und weil überall nur ein oder zwei Halbsätze dazu zitiert werden, hier die gesamte kurze Story.

Seit meinem 15. Lebensjahr mache ich bei der Fastanaktion „7 Wochen ohne“ mit, bei der man zwischen Aschermittwoch und Ostern auf irgendetwas verzichtet (oder neuerdings auch irgendetwas ganz besonderes tut). Ich habe mich da immer klassisch aller Drogen enthalten, einige Male inklusive Zucker. 2012 wollte ich dann zusätzlich mal was anderes ausprobieren: Weil ich Computer wirklich hasse und nur als (schweinbar?) notwendiges Übel empfinde, wollte ich mir eine Auszeit von diesen Terrorkisten gönnen. Damit, das war klar, müsste ich allerdings auch aufs Internet verzichten, wenn ich keine Hilfskonstruktionen via Smartphone oder so bauen wollte.

Und das habe ich dann auch gemacht. Die Resonanz war überraschend:

* Im Bereich der freien Journalisten bzw. unserer Auftraggeber wurde die Zeit schlicht als Urlaub gesehen, denn arbeiten kann man ja ohne Computer nicht – das war unstrittig.

* Von „abhängig Beschäftigten“ wurde mein Computerfasten tatsächlich als Form der Arbeitsverweigerung interpretiert.

* Nur Jugendliche kamen auf die Idee, dass ich mich damit der schönen Dinge im Leben beraubt haben könnte: keine Filme, keine Musik, kein Chat – das war in der Altersgruppe meiner Kinder und etwas aufwärts eine entsetzliche Vorstellung, die keinesfalls mit Urlaub in Verbindung gebracht werden konnte.

Ich hatte damals nach den ersten 10 Tagen Computerfastens notiert: „Es gibt ein Leben außerhalb des netzes und außerhalb digitaler Dateien. Es gibt sogar Arbeit, im Sinne von sinnvoller und meines Erachtens vergütenswerter Tätigkeit.“ Denn untätig war ich nicht, die veränderten Arbeitsweise ging mit einer veränderten Sicht der Dinge einher.  Seit Jahren hatte ich erstmals wieder ein Telefonbuch zur Hand genommen (und mich erinnert, früher im Hauptpostamt Bochum in den dort versammelten Telefonbüchern der Republik Nummern recherchiert zu haben); und für die Nutzung eines Telefonbuches muss man interessanterweise gewahr werden, in welchem Ort der gesuchte Gesprächspartner wohnt. Mit dem Satz “Schicken Sie uns eine E-Mail” konnte mich keine Pressestelle abspeisen, was zwar für Verwunderung, aber vor allem ganz neue Zugänge sorgte (weshalb ich damals überlegt hatte, ob es eine zulässige Recherchemethode wäre, eine Behinderung vorzutäuschen, die einem die Benutzung des Internets unmöglich mache, so dass man bevorzugt telefonisch “behandelt” werden sollte…)

Die Informationsflut wurde durch meine Abschottung aller digitaler Zuflüsse jedenfalls deutlich eingedämmt. Der per Autoresponder übermittelten Bitte, mir Wichtiges in dieser Zeit nicht per e-Mail, sondern per Brief oder Fax zu senden, kam so gut wie niemand nach. Nicht nur von vielen Pressemitteilungen blieb ich so verschont, auch nicht eine einzige mir als CC oder BCC zugesandte Mail erreichte mich auf einem anlaogen Ersatzweg – so unwichtig war entweder der Inhalt all dieser Post oder meine Person. Von den direkten Mails kam genau eine ersatzweise per Fax und – rührend! – eine als solidarisch handgeschriebener Brief (dabei habe ich in der Zeit durchaus meine alte elektronische Schreibmaschine genutzt).

Es war eine interessante Erfahrung und hat mein Verständnis von wichtigen und unwichtigen Dingen, von dem, was man unbedingt und was nur optional zur Kenntnis nehmen muss nachhaltig verändert. Nicht der Taktung von Mails, Twitter, Chats, Facebook-Nachrichten und dergleichen mehr unterworfen zu sein habe ich damals als wirklich entspannend erlebt. Man kommt plötzlich auf ganz andere Idee, was anstehen könnte, wenn man die digitale Welt nicht mitbekommt – und vor allem nicht das, was die vielen kleinen Communities für wichtig erachten.

Ich wollte mit das natürlich irgendwie bewahren – aber einen praktischen Weg habe ich nicht gefunden, außer: einfach zwischendrin mal abschalten, alles ignorieren, nicht verfügbar sein. Denn bei genauerer Betrachtung enthalten sich doch gerade einige sehr interessante, kluge Persönlichkeiten dem digitalen Strom. Sie nutzen sicherlich “das Internet” – um mal etwas nachzuschauen, E-Mails zu senden etc. -, aber sie leben nicht in dieser digitalen Kunstwelt. Alleine mit “Social Media” kann man sich ja den ganzen Tag beschäftigen, sich von einem Gedanken zum nächsten Tragen lassen, überall kommentieren, etwas Interessantes aufschnappen, hier mal schauen und dort – aber am Ende des Tages fragt man sich dann doch oft: was hat es gebracht? Was davon ist “bleibend”, ein wenig “nachhaltig”? Was war unverzichtbar?

Publizistisch habe ich aus meinem Internet- und Computerfasten nichts gemacht. Ich habe insbesondere – anders als einige Journalisten gestern und heute meinten – kein Buch dazu geschrieben. Es gab damals schon mindestens zwei+), jedenfalls habe ich diese beiden dazu während des Projekts gelesen, aber gerade nach dem Selbstversuch muss ich sagen: probiert es einfach selbst mal aus. Alles darüber reden bringt nicht viel. (Übrigens mussten bei mir im Journalistenbüro schon vor 10 Jahren Praktikanten die ersten Tage bis Wochen – je nach Online-Prägung – auf das Internet komplett verzichten und so recherchieren, wie man das einige jahre zuvor noch überall gemacht hat: mit Hoppenstedt, Stamm, Oeckel – und dem Telefon. Es ist interessant zu sehen, wie anders die Ergebnisse ausfallen, wenn man sich nicht von Google-Treffern leiten lässt, sondern mit seinem Hirn arbeiten muss: wer könnte etwas wissen / sagen wollen / zu verschweigen haben? Wo könnte man anfragen, wer hat vielleicht Interesse an einer Auskunft?

Es war natürlich eine Einschränkung, ich musste es gerade beruflich gut vorbereiten, und ich konnte manches nicht machen. Aber es war eine gute Zeit. Ganz sicher kann man auch dauerhaft auf Internet und Computer verzichten. Aber ich gehe natürlich längst wie die meisten wieder den bequemeren Mainstream-Weg.

+) Die beiden Bücher waren:
Alex Rühle: Ohne Netz: Mein halbes Jahr offline
Christoph Koch: Ich bin dann mal offline: Ein Selbstversuch. Leben ohne Internet und Handy

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