Zu viel Tuch im Kopf

Kopfbedeckung für meine Praktikanten

Kopfbedeckung für meine Praktikanten

Gerne würde ich die ewige und nun wieder besonders aktuelle “Kopftuchdebatte” ja einfach nur idiotisch finden und ignorieren. Aber leider ist sie ein Indiz für eine grundlegende Störung in dieser Gesellschaft: ihre gigantische Angst vor Freiheit. Die darf nämlich gefahrlos nur theoretich beschworen werden: wir leben in einer freiheitlichen (demokratischen) Gesellschaft, Freiheit ist das höchste Gut Bla und Blub. Gemeint ist damit die Freiheit, auf Freiheit zu verzichten, sich einem “Vater Staat” unterzuordnen und jede denkbare Flatulenz in einer Verordnung zu regeln, damit in Deutschland nichts durcheinandergerät.

Viele Deutsche bekommen beispielsweise schon Panikattacken, wenn sie mit einem freiheitlich getragenen Kopftuch konfrontiert werden. Die Vorstellung, dies könnte kleinen doofen deutschen Schülern in der Penne widerfahren treibt sie dann vollends in den Wahn. Dagegen ist – ausweislich meiner wöchentlichen rtv-Anzeigen-Studien – leider noch kein Kraut gewachsen.

Daher nur zur Selbstvergewisserung (oder Studienmaterial für Außerirdische) ein paar Feststellungen biblischer Unerschütterlichkeit:

– Ein Kopftuch ist ein Kopftuch. Es ist für gewöhnlich weder muslimisch noch christlich – und nach allen anatomischen Studien sogar ungeschlechtlich.

– Eine Vorschrift, ein Kopftuch nicht auf dem Kopf zu tragen (sondern z.B. in der Handtasche) ist in Deutschland zwar gut denkbar, lässt aber den Verdacht zu, dass die Urheber einen solchen Stoff erheblicher Größe unter ihrer Schädeldecke verbergen.

– Schülerinnen und Schülern wird in Deutschland einiges zugemutet, vor allem im vorderen Bereich von Klassenzimmern – unter anderem mindestens 40% de facto für diesen Job völlig ungeeignetes Personal. Wer schulpflichtige Kinder hat möchte täglich die Geschichten aus dem Lehrbetrieb für Erfindungen der Blagen halten, doch die Erinnerung an die eigene Schulzeit lässt dann traurigerweise fast alles möglich erscheinen. Was sind da nicht für verkrachte, verpeilte, fiese und bornierte Gestalten im Lehrkörper! Schüler entwickeln da zwangsläufig sehr früh eine eigenen Lehrerkompetenz. Mit den Storys ihrer Lehrer verfahren sie wie Mediennutzer mit journalistischen Proklamationen.

– Lehrer sind nie “neutral”. Je klarer sie zu ihren Meinungen, Werten, Haltungen stehen, um so einfacher ist die Einordnung, um so geringer die Gefahr einer “Indoktrination”. Man müsste geradezu fordern, dass Lehrer sich zu ihrer Religion, Parteipräferenz und sexuellen Vorliebe bekennen.

– Der Islam ist ein Angebot auf dem Religionsmarkt. Man muss wohl Eduard Kopp heißen und bei einem von der EKD finanzierten Blatt für evangelische Propaganda zuständig sein, um darin etwas Entsetzliches zu sehen (“Schon einmal davon gehört, dass auch Bilder eine Wirkung erzeugen – zum Teil eine stärkere als Worte? Dass Schülerinnen Lehrerinnen imitieren?”*).

– Es mag Mädchen geben, die ein Kopftuch tragen, weil es ihre Familien so wollen und nicht weil sie selbst das wollen. Es gibt auch deutsche Buben, die in Lederhosen gesteckt werden, was ohne Zwang wohl nicht denkbar ist. Und es gibt unzählige Mädchen mit elterlich verdonnerter Zahnspange-  was die gesamte Pubertät zum Trauma werden lassen kann. Wo dieser Zwang ein justitiables Ausmaß annimmt, soll die Justiz einschreiten. Aber ein Kopftuchverbot zu fordern, weil es Frauen geben könnte, die es gegen ihren Willen tragen müssen, ist Paternalismus at its best.
Die Atheistenverbände laufen seit Jahren Sturm gegen christliche Kindertaufen. Und der Genitalverstümmelung von Jungs schaut ausgerechnet der christliche Befreiungsmob verständnisvoll zu.

Siehe dazu auch:

Ohne Kopftuch in die Bedeutungslosigkeit – Zum Kopftuchverbot bei einem “evangelischen Arbeitgeber”

Update 17. März:
Nun hat sich Pfarrer Heinrich Bedford-Strohm zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts geäußert, zwar nicht in seiner Rolle als EKD-Ratsvorsitzender, sondern als Bischof der Evangelischen Landeskirche Bayern, aber laut pro-Meldung mit Bezug auf EKD-Aktivitäten. In der Meldung heißt es:

Es müsse geprüft werden, ob es für die Unterdrückung der Frau stehe oder zu deren Selbstbestimmungsrecht. Die EKD wolle sich daher sorgfältig mit dem Karlsruher Urteil befassen. Bislang sei noch keine abschließende Bewertung möglich.

Es ist schon eine befremdliche Ankündigung, dass Mitarbeiter der obersten evangelischen Kirchenbehörde ein Urteil “prüfen” wollen – so als seien sie Verfahrensbeteiligte, die über weitere Schritte nachdenken könnten.

Richtig nervig wird Bedford-Strohm, wenn er ins paternalistische Horn bläst und unterdrückte Frauen mit einem Kopftuchverbot befreien will. Mein Vorschlag für ihn und all die anderen Befreiungstheologen und Befreiungspolitiker: Stecken Sie jeder Kopftuch tragenden Frau, die Sie auf der Straße, im Supermarkt, beim Arzt, in Ihren Bürofluren treffen, eine Visitenkarte mit Ihrer Handynummer zu als persönliche Hotline gegen Unterdrückung – und sichern Sie Ihre ganz persönliche Hilfe zu. (Und halten Sie nach dieser mords mutigen Tat auch brav die andere Wange hin.) Keine Ahnung, wie abgeschirmt vom Leben Bedford-Strohm, Franz Josef Jung und die anderen talkshownervigen Frauenversteher so leben, mir fallen zu den vielen jungen Frauen, die Kopftuch tragen, geschminkt sind, rauchend, kichernd und iPhone spielend durch Neukölln ziehen als letztes die Stichworte Islam und Unterdrückung ein. (Dass sich “Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky zu Wort meldet, hat hingegen nichts damit zu tun, dass er Neukölln nicht kennen würde – der Anti-Islam-Krawall ist sein Geschäftsmodell, da darf man nicht auf Logik und Rationalität hoffen.)

Warum kommen in den Diskussionen keine muslimischen Frauen zu Wort? Vor allem welche mit Kopftuchneigung. Und Frauen, die sich gar nicht als Muslimas sehen, gleichwohl Kopftuch tragen wollen?

Stattdessen immer wieder die unerträgliche Käßmann. Im letzten September lamentierte sie in der Bild ernsthaft und offenbar ohne ernsthafte Konsequenzen spüren zu müssen:

Zu der freien Gesellschaft gehört aber auch, dass Frauen ein Kopftuch tragen können, wenn sie das denn freiwillig wollen. Verstehen kann ich es nicht, aber ich respektiere es. Und wir gewöhnen uns ja auch daran, dass Frauen mit Kopftuch Teil unseres Straßenbildes sind, viele von ihnen sehr schick dabei, keine Frage.
Aber ich finde, sie können dann nicht in einer öffentlichen Schule unterrichten. Nicht wegen der Religion, sondern weil sie damit für die Kinder nun mal für ein Frauenbild stehen, das nicht den Grundsatz: „Mann und Frau sind gleichberechtigt“ vertritt.

Käßmanns neuer Kommentar ist nicht besser, auch wenn sie “inzwischen […]Frauen mit Kopftuch [kennt], die fließend Deutsch sprechen, selbstbewusst studieren, ihre Frau stehen.” Aber Kopftuch bei muslimischen Frauen ist für sie eben doch meist Unterdrückung – und zeichen kranker Männer, die geil werden von Frauenhaar.

Update 30. März 2015
Der Evangelische Pressedienst (epd) eröffnet gestern eine Meldung mit der Behauptung: “Die Kritik an der Kopftuch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wächst.” Belege liefert er dafür keine, er zitiert die vom ersten Tag an bekannten Statements. Zudem: ist das, was vorgetragen wird, tatsächlich Kritik am Urteil, also juristische Kritik? Der Kommentar von Papier schon, aber das andere sind politische Forderungen, Reviermarkierungen, Eigen-PR-Versuche – aber keine Kritik am Urteil.

Und selbst wenn es Kritik am urteil wäre: ist es relevant, wenn sich diese Lobbyisten melden? Für wie viele evangelische Christen z.B. steht das, was Bedford-Strohm sagt? (Diskutiert wurde es bisher nicht mit den Kirchenmitgliedern.) Umgekehrt: Gehen tausende z.B. “gegen die Islamisierung des Abendlands” auf die Straße, wir das von Agenturen nicht als stark wachsender Protest gewürdigt, dem man Mitteilungsraum geben müsste, sondern allenfalls als Problem, gegen das anzugehen sei. Wo sind da die Nachrichtenkriterien?

 

 

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