Filmkritik: Auf der Jagd – Wem gehört die Natur?

Zum recht ausgelutschten Thema “Jagd” läuft heute (10. Mai 2018) ein neuer Dokumentarfilm in den Kinos an: “Auf der Jagd – Wem gehört die Natur?”
Es ist ein Film mit tollen Bildern – aber leider ohne journalistische Botschaft. Das war schon anhand der Pressetexte zu befürchten, denn ich zumindest konnte nicht ausmachen, was der Film eigentlich will. Und tatsächlich reißt er verschiedene Themen an, klärt aber keines.

Über die ethische Zulässigkeit der Jagd an sich brauchen wir nicht mehr zu reden.[Fn1] Natürlich sind Tierrechtler strikt dagegen, das ist klar und völlig legitim. Aber wer selbst Fleisch isst oder auch nur durch die Nutzung von tierischen Produkten die industrielle Tierverwertung in Kauf nimmt, kann die Jagd nicht grundsätzlich verurteilen. Das macht der Film in recht vielen Wortbeiträgen von Jägern deutlich, aber das ist eben auch längst klar. Damit wäre aber noch lange nicht alles zur Jagd gesagt. Etwa zu Jagdmethoden, zum Abschuss nicht-verzehrbarer Tiere, zum Besitzanspruch vieler Jäger, den sie auf die Landschaft erheben usw.
Jagd und Jäger sind weiterhin ein schönes Konfliktthema, aber daraus macht der Film rein gar nichts – schon allein, weil er nicht die verschiedenen Konfliktparteien zu Wort kommen lässt. Es wird einseitig aus der Sicht verschiedener Jäger erzählt, und diese Protagonisten sind auch noch alle reichlich sympathisch. Das ist schön für den Film aber schlecht für die Aufklärung, denn in Wirklichkeit sind unter den Grünröcken natürlich auch reichlich Vollkasper.

Ein zweites Themenfeld ist der Wolf, der mit die schönsten Bilder des Films liefert, zu dem man aber leider nach den 100 Minuten genauso schlau ist wie vorher (was auch daran liegt, dass die Wolfs-Szenen gestellt sind, es handelt sich um an Menschen gewöhnte Wölfe). Der Off-Sprecher, der nur sehr selten zu Wort kommt, schwadroniert kurz darüber, ob der Wolf bald Haustiere und Menschen frisst, wenn er nicht bejagt wird. Ja, haben wir schon hundert Mal gehört diese Frage, ein guter Dokumentarfilm könnte sich um eine Antwort bemühen – tut er aber nicht. Nicht einmal im Ansatz. Und wer im Thema nicht bewandert ist, kann den Eindruck bekommen, die gestellte Frage sei wirklich noch völlig offen, mit der Rückkehr des Wolfes liege unser Leben also in einer sehr ungewissen Zukunft – was natürlich Quatsch ist.

Unverständlich ist mir auch der filmische Abstecher nach Kanada. Cosima Lutz schreibt dazu bei der Welt:

>[…] eine Gruppe wohlgenährter Jägerinnen, es sind Ureinwohnerinnen Kanadas, laut kichernd im Auto durch den Wald fährt. Sie berufen sich auf ihre Ahnen: Nach deren Verständnis sehe das Tier seine Aufgabe darin, den Menschen zu nähren, und stelle sich deshalb quasi freiwillig vor die Flinte. Das gute Recht der Nachfahren jener, die einst selbst bedrängt und fast ausgerottet wurden? Oder, angesichts der längst im modernen Kohlenhydratleben angekommenen Frauen, auch nur ein Zurechtlegen von „guten“ Jagdgründen?<

Man weiß es nicht. Der Film zeigt noch nicht einmal einen Jagderfolg dieser Frauen, man erfährt auch sonst nichts über sie, es sind einfach Algonquin mit Gewehren, die wohl regelmäßig jagen, am Drehtag aber gerade keinen Erfolg haben. Ein bizarrer Fremdkörper in dem Film.

Selbst kleine, einfache Dinge werden nicht recherchiert erzählt, sondern nach dem Zufallsprinzig: was ein Protagonist halt so in die Kamera spricht. Da kritisiert etwa ein Jäger, der Försterblick auf Wildschäden im Wald sei grundverkehrt, der Verbiss würde den Bäumen kaum schaden, ja den Nadelbäumen im Lawinen-Schutzwald am Hang sogar helfen, weil sie auf diese Weise langsamer in die Höhe wachsen und einen breiteren und stabileren Stamm bekommen. Das ist ja mal eine klare Ansage. Aber stimmt das so? Und wenn ja, was machen wir dann mit der Scharlatanerie vom Wildschaden? Der Film geht dem wie so vielem anderen leider nicht nach, es bleibt einfach stehen.

> Welche Folgen hätte es, wenn die 1,2 Millionen Rehe und 600.000 Wildschweine, die jedes Jahr in Deutschland von Jägern erlegt werden, nicht geschossen würden?<

Mit dieser Frage wirbt die Website zum Film für diesen. Aber auch diese Frage wird nicht beantwortet. Ein Jäger darf sagen, er glaube nicht, dass der Wolf diesen Job übernehmen würde.

Die in meiner Preview reichlich anwesenden Jäger und Jagdschüler waren mit dem Film zufrieden. Wenn das überall so sein sollte, wäre damit das entscheidende Manko des Films offenbar – und das ist zu erwarten. Cord Riechelmann weist in seiner FAZ-Rezension darauf hin, “Auf der Jagd” komme “mit einem für Dokumentarfilme ungewöhnlichen Aufwand an Werbung und Begleitveranstaltungen von Jagd- und Jägerverbänden in die Kinos”, worin Riechelmann allerdings kein “Argument gegen den Film” sieht.

In einem lesenswerten Interview der Jägerzeitschrift “Wild und Hund” sagt Regisseurin Alice Agneskirchner auf die Frage, ob ” in Deutschland ausgewogen über Jäger berichtet wird”:

 >Ich stelle nur fest, gerade im Fernsehen ist das oft schon eine sehr tendenziöse Berichterstattung, die den Jäger per se als bösen Menschen darstellt. Da wird die Bedeutung für die verschiedenen Gleichgewichtssituationen und die Nachhaltigkeit ausgeblendet. Und da wollte ich in meinem Film vorurteilsfrei rangehen.<

 

Weiteres zum Film: 

Interview mit Alice Agneskirchner beim RBB
* Agneskirchner ausführlich über die Jagd in Deutschland, Tagesspiegel (bereits Oktober 2017)
* Kurzbericht von der Premiere in Köln (5. Mai 2018)
* Interview Agneskirchner beim DJV (Deutscher Jagdverband)
* 6-Minuten-Bericht ARD; 6-Minuten-Bericht MDR
* Was denkt Agneskirchner über die Notwendigkeit der Jagd?
* Interview Agneskirchner bei der taz (bisher sind alle Interviews sehr ähnlich, daher keine weiteren Verlinkungen ohne größeren Neuigkeitswert)

>Wir sind eines der wildreichsten Länder der Welt. Wir denken immer, das Wild lebt in Afrika oder Kanada, aber nicht bei uns. Dabei gibt es in Deutschland einen großen Reichtum an Rotwild, Damwild, Wölfen, Füchsen oder Vögeln. Das ist wirklich ungewöhnlich. Und wenn es die Jäger nicht gäbe, die diesen Bestand im Zaum halten, dann gäbe es den Artenreichtum vermutlich auch nicht, oder nicht mehr. Ich glaube, wir würden den „Wildreichtum“ bald als Belastung empfinden. Egal ob wir Landwirte sind oder Hobbygärtner.< (Quelle FilmBizNews)

Fußnote Fn1: Inzwischen habe ich gesehen (und verlinkt), dass diese Ethikfrage aber tatsächlich in jedem Interview gestellt wird. Das irritiert mich. Und lässt wie so vieles an der Behauptung zweifeln, Journalismus sei unverzichtbar für die Orientierung in einer Demokratie: denn wenn selbst über solch simple Fragen keine Einigung herrscht, zumal sich an den Fakten hier gerade überhaupt nichts verändert hat, dann dürfte die journalistische Leistung bei aktuelleren, komplexeren Fragen noch geringer ausfallen.

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