Arbeitslose abschaffen
Arbeit gibt es wahrlich genug – auf ein paar staatlich Beschäftigte mehr oder weniger kommt es nicht mehr an. Doch wozu das Ganze? Eine Zieldiskussion fehlt.
Ist Peter Hartz eigentlich eine besonders faule Socke? Oder warum will er drei Jahre Zeit haben, um die Zahl der Arbeitslosen auf zwei Millionen zu halbieren? Das geht auch in ein paar Tagen: 1 Million oder 27,2% Arbeitslose sind 50 Jahre und älter. Es ist nicht persönlich gemeint, aber die schicken wir direkt in Rente. Einfach schon aus Gesundheitsfürsorge. Denn bei Wind und Wetter, Hitze und Kälte draußen zu stehen sollten wir ihnen nicht mehr zumuten. Wohl aber der handverlesenen, voll arbeitstauglichen anderen Million Arbeitsloser, die wir mit einem kleinen Startkapital (auf fränkisch: „Überbrückungsgeld“) als selbstständige Eismänner und –frauen losschicken. Vormittags wird frisches Eis gemacht und danach ans konjunkturkurbelnde Volk verkauft – im Winter akzeptieren wir ersatzweise heiße Waffeln. Wenn nun alle Einwohner der sich aus einem notwendigen neuen Gesetz ergebenen Verzehrpflicht Folge leisten, verkauft jeder Ex-Arbeitslose an jedem Arbeitstag etwa 130 Portionen Eis. Damit kommt man locker durch und – schwuppdibupp: wir haben nur noch 2 Millionen Arbeitslose.
Käse?
Vielleicht ein bisschen. Aber sicher nicht mehr als all das, was uns von Politik, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden seit Jahr und Tag vorgetragen wird. Mehr Existenzgründer brauchen wir angeblich, weniger Schwarzarbeit und – wie auch immer – mehr Jobs in den Unternehmen. Und für das alles: Konjunktur, Konjunktur, Konjunktur. Was nichts anderes heißt als: Geld vom einen nehmen – möglicherweise gegen eine Leistung, ein Produkt – und einem anderen geben. Also eben mehr Eis essen oder Sozialabgaben für die Schwarzarbeiter zahlen oder Autos exportieren.
Alle gut vernehmbaren Vorschläge zur Arbeitsmarktpolitik gleichen sich in der zentralen Grundannahme: Arbeit ist völlig sinnlos, ein reiner Selbstzweck. Es geht nicht darum, was wir brauchen, was wir uns wünschen, wie wir gut und zufrieden leben können – auf keinen Fall: dieser „dritte Sektor“ ist verpönt, hat etwas sozialistisches an sich, ist jedenfalls nicht Marktwirtschaft und damit ziemlich pfui – sondern es geht einzig und allein um die Vollbeschäftigung. Dafür dürfen’s dann auch ein paar Autobahnen mehr sein.
Käse? Kein bisschen. Wer bitte braucht Politessen, die Autos nur abschleppen lassen, um Platz für den nächsten „Parksünder“ zu machen? Eben. Wer braucht eine GEZ mit Kontroll-Heinis und einer grundversorgenden Lindenstraße? Und wie viel Prozent der steuerzahlenden Bevölkerung würde aus freien Stücken 2 Milliarden Euro jährlich als Theatersubvention abdrücken? Der Staat verteilt im großen Maße um, etwa 900 Milliarden Euro jährlich. Bei den Haushalten mit einem Monatseinkommen bis etwa 2500 Euro – das ist die Hälfte aller Haushalte in Deutschland – greift er zwischen 53% und 64% ab, um damit Finanzbeamte, Lehrer und Zöllner zu bezahlen, um Verwaltungsgebäude und Schwimmbäder bauen zu lassen, um Cannabis-Raucher zu fangen und Stricher leibeszuvisitieren. 200 Milliarden Euro kostet dieses Staatspersonal.
Der Staat verteilt um, und das macht Jobs. Bevor uns die Politik mit ihrem völlig verquarzten Steuerrecht in den Wahnsinn treibt, gehen wir zum Steuerberater: Für 70.000 ist so ein Auskommen gesichert. Dank der Einnahmen aus Tabak- und mehrerer Alkoholsteuern kann der Staat gegen den gesundheitsschädlichen Konsum Plakate kleben und Broschüren verteilen.
Unser völlig gestörtes Verhältnis zur Arbeit, unserem Tun für den Lebensunterhalt und Wohlstand, zeigt sich nicht nur an der ABM-haftigkeit viele Jobs, sondern auch an dem engen Zeitfenster, das wir für Erwerbsarbeit vorsehen. Bummelstudenten sollen Strafe zahlen, damit sie schneller zum Arbeitsamt kommen, statt sich mit kleinen Nebenjobs durchzuschlagen und in ihrem WG-Zimmer wohl zu fühlen. Dank Profiling und totaler Kundenorientierung wird das reformierte [AA-neu], wie diese Job-Center-Behörde bei Hartzens heißt, irgendeinen dödeligen, gerade noch nicht „unzumutbaren“ Job finden. Mit spätestens Ende 50 soll dann aber auch wieder Schluss sein mit Maloche. Schließlich – unser Thema – gibt es recht wenig Arbeit in Deutschland, und die anderen wollen oder sollen auch mal dran. Wer heute 60 ist, darf sich im Durchschnitt auf 19 (Männer) bzw. 23 (Frauen) Rentenjahre freuen. Wer deutlich jünger ist, sollte Panik bekommen.
Warum werden ausgerechnet die 4 Millionen Arbeitslose ständig beklagt? Sie sind finanziell versorgt. Etwa 40% von ihnen sind nicht sonderlich scharf darauf, direkt eine Stelle zu bekommen – und die allgemeine Lebenszufriedenheit wird auf einer 10er Skala von Arbeitslosen im Schnitt gerade mal mit einem Punkt weniger angegeben als von Erwerbstätigen. Sollten sich trotzdem Politiker und Lobbyisten aller Art die Sache mit der Arbeitslosigkeit so sehr zu Herzen genommen haben?
Käse. Politiker, Gewerkschafts- und Unternehmensfunktionäre leben prächtig von der Arbeitslosigkeit, dem Medieninteresse daran und den vielen Kongressen dazu mit lecker Buffet. Und wenn wir ganz scharf die Ohren spitzen, hören wir sie zwischen zwei genüsslichen Rülpsern sagen: „Ach Kinder, was würden wir nur ohne die Arbeitslosen den ganzen Tag machen?“ Am Ende – wir befürchten es mit ihnen – müssten sie sich um Probleme kümmern. Sie müssten vielleicht ihren Hintern weg vom Rednerpult hin an den Schreibtisch bewegen, Studien lesen, Anfragen stellen, lange nachdenken und eben all das tun, was man so machen würde, wollte man tatsächlich ein Problem lösen. Aber es ist einfacher und strategisch extrem klug, über 4 Millionen Arbeitslose zu reden, statt z.B. über 19,2 Millionen Rentner und 1,3 Millionen Pensionäre. Natürlich hält die Opposition Schröder vor, dass er sein Ziel von 3,5 Millionen Arbeitslosen nicht erreicht hat. Und? Es hat doch ohnehin niemand geglaubt, so wie kein evolutionsstabiles Hirn glaubt, die Union würde – nach 16 Jahren Warmlaufphase – irgendetwas grundlegend verändern und bewegen. In dem Punkt werden sich auch alle mit der Hartz-Kommission einig sein: Da stehen zwar ein paar vollmundige Vokabeln zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit ihren diversen Dienststellen. Doch wichtig ist: das Ding soll noch viel bedeutungsvoller werden als bisher. 94.000 Mitarbeiter finden beim Arbeitsamt einen Job (bisher fast ausschließlich als Beamte und öffentlich Bedienstete) – das hat einen Wert an sich. Auch außerhalb der Ämter leben viele von der Arbeitslosigkeit: die privaten Job-Vermitteler, die Weiterbildungsträger (rund 3 Milliarden Euro von der BA), Wirtschaftforscher, Sozialarbeiter, Journalisten und natürlich Politiker und Funktionäre auf allen Ebenen.
Und so gehen zwischen Politik-Zirkus und Bürokratie-Trott die echten Themen unter. Denn natürlich ist es ein Problem, wenn Jugendliche oder junge Erwachsene in einer Gesellschaft arbeitslos sind, die ihnen nichts anderes als den Status „arbeitslos“ zuzuschreiben weiß. Natürlich ist es ein Problem, dass arbeitslose Hochschul-Absolventen, gescheiterte Existenzgründer oder Schwarz-Jobber kein Arbeitslosengeld bekommen und richtig tief fallen können. Natürlich gibt es nicht wenige Arbeiten, die Menschen verblöden. Kein Wort dazu in den tollen Reformvorschlägen, keine Wort dazu bei den Kritikern der Opposition. Kein Wort zur Zinspolitik, die ein wesentliches Beschäftigungs-Problem ist. Kein Wort zu der Verrücktheit, heute Wissenschaftler zu bezahlen, die an der fahrerlosen U-Bahn forschen, um morgen tausende arbeitslose U-Bahn-Fahrer versorgen zu müssen. Und nicht ein einziges Wort zu echter Prävention: Bei Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten wird zwangsvollstreckt, bis der Laden auseinander kracht. Danach kümmert sich [AA-neu] fürsorglich um die neuen Arbeitslosen. Anders geht’s halt in der sozialen Marktwirtschaft nicht.
Stattdessen Konsens bei Hartzens: Unternehmen, die einstellen oder Entlassungen vermeiden, sollen belohnt werden. Solche Dreistigkeit tut weh: der völlig sinnlose Job. Unternehmen beschäftigen Mitarbeiter, weil sie sozial verantwortlich sind und dafür einen Bonus bekommen? Was ein Käse – aber dem Publikum gefällt’s.
4 Millionen Arbeitslose sind nicht das Problem. Die können wir abschaffen, von heute auf morgen, per definitionem, ohne nationale Kraftanstrengung. Das Problem ist die völlige Ideenlosigkeit der Politik, die fehlende Diskussion um eine attraktive Zukunft: wozu sollen wir eigentlich arbeiten?
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