Tod durch Vernachlässigung – auch aus Angst vor Hilfe

Angst frisst Hirn – keine wirklich neue Erkenntnis. Angst ist nicht wirklich ein guter Motivator für schwierige Gespräche. Doch da Politik ja nichts anderes anzubieten hat (Freundlichkeit? Unterstützung? Problemlösungen?), setzt sie verstärkt auf Angst. Nach jedem Fall von Kindesvernachlässigung (oder auch Misshandlung) kommen Forderungen, Kinder regelmäßig vom Kinder- (oder Amts-) arzt durchchecken zu lassen, damit in körperlichen Gebrechen manifestierte Elternunfähigkeit geahndet werden kann.

Wenig verwunderlich, dass es im Fall der verhungerten Lea-Sophie wohl auch deshalb nicht zur Hilfe durch das Jugendamt gekommen ist, weil dieses mit der Polizei gedroht hat . Nach dem Motto: einfache Fälle interessieren uns nicht, wirklich bedrohliche Fälle bearbeitet die Polizei.

Auch der Verbrühungstod des 3-Jährigen aus Fritzlar ist nach derzeitigem Erkenntnisstand der Angst vor dem repressiven Staat zuzuschreiben: Sehr einleuchtend, dass die siebenfache Mutter Angst hatte vor einer Meldung des behandelnden Arztes an Polizei oder Jugendamt. Es ist ein Unding, dass die ärztliche Schweigepflicht genau an diesen wichtigen Stellen nicht greift (wie es übrigens auch ein Unding ist, dass der Patient selbst seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden kann – was daher mit absoluter Selbstverständlichkeit jede Versicherung verlangt).

Also: Beratungs- und Hilfseinrichtungen dürfen selbstverständlich niemals von der Repressionsseite (“Strafverfolgung”) vor den Karren gespannt werden. Wenn ein Jugendamt überhaupt etwas bewirken kann (was ich sehr bezweifle, weil individuelle Probleme und Behörde – das passt halt nicht), dann nur in einer Atmospähre des Vertrauens – für mögliche Opfer wie Täter.

Update 29. August 2013 per Pressemitteilung:

Verdacht auf Misshandlung: Meldepflicht an Krankenkassen gelockert

Ärzte müssen seit dem 13. August 2013 Verdachtsfälle von Misshandlung, sexuellem Missbrauch oder Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen nicht mehr den Krankenkassen melden. Der Gesetzgeber hat die Mitteilungspflicht gelockert, um dem Dilemma entgegenzuwirken, in dem sich Behandler bislang befanden: § 294a SGB V schrieb bei allen vermuteten fremdverschuldeten Gesundheitsschäden vor, die Kassen zu informieren, möglichst dabei sogar den Verursacher zu benennen. Das aber widerspricht der ärztlichen Schweigepflicht.

“Ein großer Schritt in die richtige Richtung”, sagt Nancy Gage-Lindner vom Hessischen Sozialministerium, die über das Thema auf dem 14. Deutschen Medizinrechtstag referiert. “Die bisherige Regelung war höchst fragwürdig, denn sie zwang Ärzte zum Vertrauensbruch ihren jungen Patienten gegenüber.” Auch bei Gewaltopfern im Erwachsenenalter sei jedoch ein Verzicht auf die Mitteilungspflicht wünschenswert. “Besonders wenn die Patienten nicht in der Lage sind, sich juristischen Verfahren auszusetzen, wiegt eine Meldung an die Kasse ohne ihr Einverständnis schwer. Auch die Sicherheit der Patienten kann es gefährden, wenn Kassen zum Beispiel unvermittelt zwecks ihrer eigenen Regressforderungen von den Patienten Auskunft über die Gewaltverursacher verlangen oder gar die Staatsanwaltschaft einschalten.”

Das Dilemma habe in der Praxis sogar dazu geführt, dass Ärzte, nur um die Meldepflicht zu umschiffen, den Verdacht auf Misshandlung nicht dokumentierten, so Gage-Lindner. “Fehlendes Monitoring der gesundheitlichen Folgen von Gewalt kann nun aber auch nicht im Sinne der ärztlichen Kunst sein.”

www.deutscher-medizinrechtstag.de

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