Presse und Polizei

Ob kleine Katastrophen oder große Politik – wo sich Spannendes ereignet, treffen fast immer Polizei und Presse aufeinander. Konflikte zwischen beiden Berufsgruppen gehören dabei zum Alltag.

Mafia-Krimi in Schwäbisch Hall: Drei schwarze Limousinen fahren in die Fußgängerzone ein, auffällig unauffällige Herren steigen aus und verteilen sich, einer trägt unter seinem Mantel erkennbar eine Maschinenpistole. Dann wird ein Mann in Handschellen aus einem der Fahrzeuge geführt und in einen Hauseingang gebracht.

So beschreiben aufgeregte Anwohner dem Haller Tagblatt am Telefon die Szenerie, die sich am 16. März 2007 um viertel vor zehn vor ihren Augen abspielt. Die Redaktion zögert nicht lange und schickt einen erfahrenen Fotografen und einen Volontär zum nur etwa 500 Meter entfernten Geschehen. Hier werde ein Gefangener zum Arzt gebracht, erfahren die Journalisten kurz und knapp von einem der zivil gekleideten SEK-Beamten, der ergänzt: “Wenn Sie fotografieren, ist die Kamera weg.“ Weil die Journalisten das glauben, gibt es keine Bilder von dem Einsatz, bei dem ein mutmaßlicher Mafioso zum Augenarzt gebracht wurde.

Journalistische Recherchen stoßen nicht selten an Polizeigrenzen. Praktisch täglich zu tun hat mit ihnen Wolfgang Wiebold. Er ist “Blaulichtreporter”, für seine Firma “Wiebold TVnews GmbH” fährt er zu allen erreichbaren Kriminal- und Unglücksfällen, verkauft seine Filmberichte an WDR und Spiegel-TV, RTL und Pro7. Wiebold schimpft auf die Ausbildung der Polizisten. “Die Rechte von uns Journalisten spielen da keine Rolle, die Polizeibeamten nehmen ihre persönliche Meinung und Moral mit in die Uniform und setzen sie dann um.” Mit der Mehrzahl gebe es zwar keine Probleme – viele kennt er auch seit Jahren – aber “vielleicht 20 Prozent behindern unsere Arbeit.” Wiebold erzählt von vielen heiklen Situationen. Etwa als in einem Waldstück in Herne eine Kinderleiche gefunden wurde. Wiebold stand mit dutzenden Schaulustigen am Flatterband der Polizeiabsperrung und filmte in den Wald hinein. “Die Leiche war hunderte Meter weg, davon konnte man wirklich gar nichts sehen. Trotzdem hat mich ein Beamter festgenommen und für eine Stunde bei brütender Hitze im Polizei-Bully eingesperrt.”

Dabei klingt alles so einfach in den “Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien
Ausübung der Berichterstattung”. Die Regeln wurden gemeinsam von den Innenministern der Bundesländer, vom Deutschen Presserat, von Verleger-, Zeitungs- und Zeitschriftenverbänden, ARD, ZDF, dem Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) und den journalistischen Berufsverbänden erarbeitet. Dort heißt es in Nr. 9: “Das Fotografieren und Filmen polizeilicher Einsätze unterliegt grundsätzlich keinen rechtlichen Schranken. Auch Filmen und Fotografieren mehrerer oder einzelner Polizeibeamter ist bei aufsehenerregenden Einsätzen im Allgemeinen zulässig. Die Medien wahren die berechtigten Interessen der Abgebildeten und beachten insbesondere die Vorschriften des Kunsturhebergesetzes bei Veröffentlichung des Film- und Fotomaterials.”

Aber was heißt schon “im Allgemeinen zulässig”? Ist es Aufgabe der Polizisten, die Abweichung vom Allgemeinen festzustellen, oder muss dies der gerichtlichen Einzelfallentscheidung überlassen sein? Da Polizeirecht Ländersache ist, gehen nicht nur die Meinungen, sondern auch die gesetzlichen Grundlagen auseinander.

Die Grundrechte sind in jeder Polizeiausbildung – inzwischen überwiegend als FH-Studium organisiert – ein wichtiges Thema. Denn polizeiliches Handeln bedeutet praktisch immer Eingriffe in Grundrechte. “Dass damit sorgsam umgegangen werden muss, schärfen wir den Leuten ein”, sagt Arno Berning, juristischer Ausbilder für den Polizeivollzugsdienst in Gelsenkirchen. Polizisten müssten beispielsweise grundsätzlich von der Rechtstreue der Journalisten am Einsatzort ausgehen. So hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes 2002 entscheiden, dass die Sicherstellung eines journalistischen Films mit Bildern vom Tatort der Festnahme zweier Drogenkuriere , bei der “sich ein Schuss aus der Dienstwaffe eines Beamten gelöst” hatte, rechtswidrig war. Die Argumentation der Polizei, die Fotografien von Polizeibeamten hätten gegen das “Recht am eigenen Bild” nach § 22 und 23 KunstUrheberGesetz (KUG) verstoßen, ließ das Gericht nicht gelten. Denn verboten ist danach nicht die Aufnahme, sondern nur die Veröffentlichung von Personenbildern gegen deren Einwilligung, sofern sie nicht aufgrund der Situation Personen der relativen Zeitgeschichte sind. Die Veröffentlichung einer solchen Fotografie ist strafbar (§ 33 KUG), doch davon dürfe ohne besondere Anhaltspunkte nicht ausgegangen werden. Schließlich gehört es zu den Grundsteinen der Pressefreiheit, dass Journalisten selbst entscheiden, was sie wie veröffentlichen – eben ohne Zensur, also ohne staatliche Vorabkontrolle. Nur wenn aus den konkreten Umständen oder aus Handlungen in der Vergangenheit heraus mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass dem Fotografieren eine verbotene Handlung folgen wird, dürfe die Polizei prophylaktisch eingreifen.

Den Fall aus Schwäbisch Hall hat im Dezember das Verwaltungsgericht Stuttgart allerdings anders entschieden (1 K 5415/07). Zum einen sah es im Fotografieren selbst eine Gefährdung des Einsatzes. Ein Fotojournalist mit großer Ausrüstung ziehe die Aufmerksamkeit auf sich. Die Zulässigkeit des Fotoverbots begründet das Gericht mit einer Generalklausel des baden-württembergischen Polizeigesetzes: “Die Polizei hat innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheinen.”
Zum anderen hielt das Gericht aber auch das Fotografieren für rechtswidrig. Im Urteil führt es aus: “Auf Grund des räumlich geringen Abstands der Pressevertreter, insbesondere zum Einsatzleiter, […] konnte dieser davon ausgehen, dass solche Fotografien gefertigt werden, die eine individuelle Erkennbarkeit der am Einsatz beteiligten Beamten ermöglicht hätten. Er konnte weiter damit rechnen, dass […] die auf Aktualität ausgerichtete Tageszeitung am nächsten Tag mit einer entsprechenden Aufmachung […] berichten wird. Anhaltspunkte für eine vollständig anonymisierte Verbreitung von Bildern bestanden für den Polizeibeamten nicht.”

In dieser Rechtsauffassung sieht Verleger Claus Detjen eine Gefährdung der Presse, “in einer Zeit, wo es ohnehin die Tendenz gibt, Freiheitsrechte einzuschränken”. Deshalb will er in die Berufung gehen. Allerdings ging das Berufungsgericht, der VGH Mannheim, in einem anderen Verfahren selbst bei einer Entfernung von 8 bis 10 Metern zwischen Polizist und Journalist noch von Porträtaufnahmen aus.

Solche Porträtaufnahmen sind nach herrschender Meinung sachlich nicht gerechtfertigt und verstoßen damit gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des ungefragt Abgelichteten. Fraglich ist allerdings, ob eine solche Persönlichkeitsrechtsverletzung ein Fall für die Polizei ist. Denn es handelt sich dabei um ein privates Recht – also nichts, was mit Strafe bewehrt ist. Damit darf die Polizei nur auf Antrag des Betroffenen tätig werden und nur, “wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird”.

Eingriffe in die Pressefreiheit über diesen Weg haben bei polizeilicher Arbeit natürlich ein “Geschmäckle”. Denn hier sind privat Betroffene und als Staatsmacht Handelnde identisch. Während jeder andere Bürger sich erst Hilfe holen und von seiner Notlage überzeugen müsste, können sich Polizisten im Streit mit der Presse selbst helfen. Dabei legen die Gerichte die Hürden offenbar zunehmend tiefer. Wenn die Polizei ihren eigenen Einsatz nicht für berichterstattenswert hält, verbietet sie wie in Schwäbisch Hall auch Übersichtsaufnahmen. Das VG Stuttgart hält dies für rechtens: “Die Polizeibeamten sind hier keine relativen Personen der Zeitgeschichte.” Da Polizeieinsätze ohne Polizisten aber selten sind, wird damit der Bild-Journalismus erheblich eingeschränkt – und die Berichterstattung stark verzerrt. Denn wenn erst das Spektakuläre die Arbeit der Presse legitimiert, braucht es den Gummiknüppel der Polizei als Startschuss. Warum sollte der Presse verboten sein, neben dem Krawall bei einer Demonstration auch das Friedliche festzuhalten, das freundliche Gespräch von Polizist und Passant zu dokumentieren, die Verschnaufpause, einfach andere Facetten des Geschehens?

Platzverweis, Durchgangsverweigerung, Fotoverbote, Beschlagnahme von Equipment, vorläufige Festnahme – viele Journalisten, die von Polizeieinsätzen berichten, haben das schon erlebt. “Drohungen der Polizei sind an der Tagesordnung”, sagt Ralph Pache, seit 3 Jahren bundesweit als Fotojournalist im Einsatz. “Wenn Sie Porträtaufnahmen machen, nehme ich Ihnen die Kamera weg”, habe er schon oft gehört. Sogar die Ankündigung, die Kamera zu zerstören, sei einmal gefallen. Dabei ist gerade die Beschlagnahme einer Kamera äußerst heikel. “Das geht gar nicht, und das weiß auch jeder.” meint der für Polizeiarbeit zuständige Pressesprecher im Innenministerium NRW, Wolfgang Beus. Immerhin unterliegt selbst recherchiertes Material von Journalisten seit 2002 dem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53) und dem Beschlagnahmeverbot (§§ 97, 103 StPO).

Ein Kölner Journalist hatte im vorletzten Jahr versucht, eine riesige Gruppe wohl überwiegend schulpflichtiger Teenager zu fotografieren, die bereits vormittags für das Tokio Hotel-Konzert am Abend anstanden. Mitarbeiter des Ordnungsamtes verhinderten dies jedoch erfolgreich. Wie die Landespolizei sind sie für Sicherheit und Ordnung zuständig und in den meisten Bundesländern mit gleichen Befugnissen versehen. Die Rechtsgrundlage für ein Berichterstattungsverbot ist jedoch äußerst zweifelhaft. Noch fragwürdiger agierte das Ordnungsamt, als es dem Journalisten das Fotografieren des massenhaften Abschleppens von Falschparkern rund um die Konzerthalle untersagte. Wessen Rechte mussten hier in wessen Auftrag geschützt werden?

Bei Demonstrationen erlebt Ralph Pache regelmäßig, dass Polizisten das Fotografieren konsequent behindern: “Es ist ein Katz- und Maus-Spiel, gehe ich mit der Kamera hoch, gehen die Polizistenhände auch hoch.” Michael Robrecht hält so etwas für äußerst bedenklich. Solange die Presse die Polizeiarbeit nicht störe, sieht er für solche Behinderungen keine allgemeine Grundlage. Dennoch berichten Journalisten aus Hamburg, Hannover, Köln, Essen und Berlin übereinstimmend, dass solche polizeilichen Abschirmungen insbesondere bei Zugriffen, also etwa Festnahmen, Gang und Gäbe seien. ”

Wolfgang Wiebold erlebt solche Behinderungen seiner Arbeit auch auf einsamen Landstraßen. “Dann spannen Feuerwehrleute Tücher, damit wir nichts filmen können.” Wiebold hält dies für einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit. “Warum soll ich einen geschlossenen Sarg nicht filmen dürfen?”

Oberregierungsrat Arno Berning hat für solche Polizeimaßnahmen ein gewisses Verständnis.
“Vielen Journalisten fehlt es an der Ethik für die Berufsausübung”, meint er. Der Wettbewerb fordere brutale Bilder. Dass dem Polizisten Einhalt gebieten wollen, könne er gut verstehen.

TV-Journalist Wiebold lässt das nicht gelten: Es könne doch nicht um die Privat-Ethik eines Polizeibeamten gehen. “Den ewigen Vorwurf, Leichenfledderer zu sein und statt Erste Hilfe zu leisten meine Kamera auszupacken” kann er nicht mehr hören. “Bilder von Toten und Verletzten verkauften sich doch gar nicht, so was bringt doch niemand.” In seinen 40 Jahren als Blaulichtreporter sei er nur zwei Mal vor den Rettungskräften am Einsatzort gewesen, und das nur, “weil sich direkt vor mir die Unfälle ereignet haben”.

Wer klare Regelungen sucht, sucht vergebens. Die Musterfälle, die in der Polizeiausbildung besprochen werden, sind so detailliert und umfangreich, dass es schwer vorstellbar ist, wie ein Beamter im Stress des Einsatzes in Sekundenschnelle alles prüfen und abwägen soll. Der Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans geht nach vielen Berufsjahren mit Polizei-, Ordnungs- und Demonstrationsrecht davon aus, dass Polizisten oft aus dem Bauch heraus entscheiden. “Der Beamte vor Ort hat möglicherweise eine himmelschreiend rechtswidrige Anweisungslage, hat möglicherweise im rechtlichen Sinne auch gar keine Anweisungslage sondern nur eine operative Weisung nach dem Motto ‘Sorgen Sie hier für Sicherheit’ – und das war’s.” Woher solle auch ein rheinland-pfälzischer Polizist, der beim G8-Gipfel in Heiligendamm eingesetzt wird, wissen, welche Rechtsgrundlage das dort gültige Polizeigesetz von Mecklenburg-Vorpommern bildet.

So sind Journalisten darauf angewiesen, dass die Polizei am Einsatzort genügend Verständnis für ihre Anliegen aufbringen. Denn gegen polizeiliche Maßnahmen lässt sich auf die Schnelle wenig machen. “Das ist ein grundsätzliches Problem von polizeilichem Handeln”, sagt Michael Robrecht, Dozent an der Hochschule der Sächsischen Polizei und Lehrbuchautor. “Man spricht juristisch von ‘erledigten Verwaltungsakten’, gegen die Sie sich nur im Nachhinein zur Wehr setzen können, wenn es für Ihre Rechtsverwirklichung schon zu spät ist.” Der Jurist Frank Bredel, heute mit eigener Pressagentur in Saarbrücken tätig, hat zwar in seiner wissenschaftlichen Studie “Polizei und Presse” 1997 auch ein Notwehrrecht von Journalisten gegen Polizisten geprüft: “Grundsätzlich ist bei unrechtmäßigen Vollstreckungshandlungen Notwehr möglich, zugleich entfällt jedwede Strafbarkeit wegen eines Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte i.S. § 113 StGB”, schreibt er darin zur möglichen Weigerung eines Journalisten, der Anordnung der Polizei Folge zu leisten. Denn wenn ein Platzverweis, eine Durchsuchung oder Beschlagnahme rechtswidrig ist, “wandelt sie sich in einen ‘gegenwärtigen Angriff’ auf den Betroffenen”. Doch das sei eine akademische Debatte, sagt er heute, “in der Praxis ist das kaum durchführbar, da sind die Machtverhältnisse offenkundig”. Frank Bredel setzt in seiner Reporter-Arbeit vielmehr auf eine gute Kommunikationsebene. Er kenne die Beamten in seiner Region alle und es gebe daher nie Probleme. “Wenn bei unserer Polizei eine Leitungsaufgabe neu besetzt wird, gehe ich mit demjenigen erst mal Kaffee trinken.” So ungefähr empfehlen es auch die Verhaltensgrundsätze, in denen es als erstes heißt: “Regelmäßige Kontakte zwischen Medien und Polizei sind die beste Voraussetzung zur Vermeidung unnötiger Konfliktsituationen. Hierbei sollte jede Seite bemüht sein, Verständnis für die Arbeit der anderen zu wecken und aufzubringen.”

Anwältin Dorothee Bölke, die vor dem Hintergrund des Gladbecker Geiseldramas von 1988 als damalige Geschäftsführerin für den Deutschen Presserat die “Verhaltensgrundsätze” mit geprägt hat, plädiert für konkretere Handlungsanweisungen, die Polizei und Presse bei ihrer Arbeit Richtschnur sein können. “Es gibt ja vielfältige Möglichkeiten, wie Konflikte zu regeln sind”, sagt Bölke. So könne statt der Beschlagnahme einer Kamera eine gemeinsame Sichtung der Bilder die mildere Polizeimaßnahme sein. “Da muss man auch medienpolitisch aktiv werden, bevor der Staat weitere Freiheitsrechte kassiert.”

 

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