Kündigungen nach Bagatellen: Gerichtsreform notwendig
Wo immer Gerichtsurteile jemandem die Haare zu Berge stehen lassen, gibt es Hoffnung auf die nächste Instanz. Die soll es dann richtig richten. Nach oben soll es in der Gerichtshierarchie immer gerechter zugehen, immer mehr “im Namen des Volkes”. Manchmal trifft das zu. Häufig aber auch nicht. Der Grund dafür ist einfach: Wo normaler Menschenverstand genügen würde, wird dieser von jeder Menge Dogmatik torpediert. Denn gerade die letzten inländischen Instanzen, die Bundesgerichte wie Bundesgerichtshof oder Bundesarbeitsgericht, und ganz besonders das Bundesverfassungsgericht machen nichts anderes, als das, was jeder Nichtjurist auch täte: Fall betrachten, Argumente hören – und abwägen. Dabei kommen um so merkwürdigere Dinge heraus, je abgehobener da im Namen des Volkes volksfern geurteilt wird. Heftig diskutierte Beispiele der letzten Zeit sind die fristlosen Kündigungen nach Bagatell-“Delikten”. Die Arbeitsgerichte sehen schon im unerlaubten Verzehr eines Plätzchens eine so schwere Störung des Vertrauensverhältnisses, dass dem Arbeitgeber eine weitere Beschäftigung nicht zuzumuten sei.
Das Arbeitsgericht Lörrach sah so die Kündigung einer 58-jährigen Altenpflegerin als rechtens an, die sechs Maultaschen aus der Verpflegung der Heimbewohner mitgenommen hatte. Der Direktor des Arbeitsgerichts Claus-Peter Wahl kann die öffentliche Aufregung zwar ein Stück weit verstehen und sagte in der Badischen Zeitung : “Jeder, der sich gefühlsmäßig mit so einer Sache beschäftigt, hat den Eindruck, das kann doch nicht wahr sein, dass man wegen so einer Nichtigkeit seine Existenzgrundlage verliert.” Juristisch ist für ihn hingegen klar, dass seine Kollegin korrekt geurteilt hat. In vielen Artikeln und Kommentaren wird seit Wochen versucht, der Bevölkerung die juristische Logik beizubringen. In der Pressemitteilung des Gerichts hieße es: ” Es handelt sich auch bei 6 Maultaschen noch um eine geringwertige Sache; der materielle Wert liegt zwischen 3,00 und 4,00 Euro. Dennoch bestimmt allein der Arbeitgeber darüber, wie mit seinem Eigentum verfahren wird und zwar selbst dann, wenn er die Reste der Entsorgung zuführt.”
Doch warum sollten wir überhaupt verstehen, was die Damen und Herren Richter denken? Muss es nicht umgekehrt sein, urteilen sie doch ständig nur stellvertretend und für diese Serviceleistung gut bezahlt an unserer statt?
Natürlich müsste in Wahrheit den Richtern auf die Sprünge geholfen werden. Dass nun z.B. die SPD eine Bagatell-Grenze für Kündigungen fordert, zeigt das Problem: denn diese Bagatellgrenze gibt es ja längst, es ist aber Sache der Richter, sie zu sehen. Wenn sie bei der Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und der des Arbeitnehmers eben nicht erkennen, dass vier bis sechs Maultaschen schlicht und ergreifend kein Kündigungsgrund sein können.
Es lässt sich nicht jedes Detail gesetzlich regeln, darum braucht es Entscheidungsspielraum der Gerichte. Doch weil dieser Spielraum oft genug in nicht gesellschaftsgetragener Weise genutzt wird, muss das oberste Korrektiv wieder der Bürger selbst sein.
Die Idee, den Bürger in den unteren Instanzen als Laien zu beteiligen ist zwar nett, in der Praxis aber wohl recht wirkungslos. Selbst in 1 zu 2 besetzten Kammern wird regelmäßig der eine Berufsrichter dominieren (die Gründe für die freiwillige Ein- und Unterordnung ist an anderer Stelle ausführlich beschrieben).
Was es in den letzten Instanzen braucht, sind reine Bürgerrichter, Citizens Jurys, ehrenamtlich, in ihrer Besetzung einmalig. Kein Dauerjob für Monate oder Jahre, sondern eine vergütete Bürgeraufgabe für ein paar Tage, um die man sich nicht bewerben kann, sondern für die man ausgelost wird. Kein Fall, der nicht von juristischen Laien endgültig enschieden werden könnte, nachdem er zuvor ja von Juristen (als Richter, Anwälte, Ankläger oder Verteidiger) hinlänglich aufgearbeitet worden ist. Ein solches Bürgergericht würde sich dann wohl auch in letzter Instanz mit der Grundsatzfrage befassen dürfen, ob Denkmalschutz dem Bevölkerungswillen nach Umweltschutz und sinnvoller Haushaltswirtschaft entgegenstehen kann. Das Verwaltungsgericht Schleswig hatte kürzlich entschieden , dass dem Rathaus auf Helgoland keine Wärmeisolation verpasst werden dürfe. Der gesunde Menschenverstand hatte mal wieder zurückzutreten.
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