Neue Parole: Leerfahrt 2020
Das zentrale Problem der Bahn ist: sie kann nicht bahnfahren. Das ist ein ähnliches Handicap wie essen ohne Darmausgang – es geht halt nicht gut. Die Kernkompetenz des noch volkseigenen Betriebs ist folgerichtig Versagen auf ganzer, halber wie auch gekrümmter Linie.
Diese Kurzanalyse wird von Märklin-Fans sowie Nie-Zugreisenden-Mittepartei-Wählern gerne als polemisch abgetan. Ich möchte Ihnen daher einen kleinen Einblick in meine langjährigen Studien geben – eine Art Kaleidoskop der Schwachstellen.
Der Horror hat bei der Bahn viele Namen. Eine besondere Scheußlichkeit verbirgt sich hinter den Kennziffern 425 und 426, einem allen Marterschreien des Transportgutes zum Trotz immer stärker verbreiteten schienengebundenen Beförderungsbehältnis, gegen das jeder korrekt ausgestattete Viehcontainer wie Business-Class wirkt. (Es ist jetzt müßig für diejenigen, die diese Triebwageneinheiten nicht kennen, den Irrsinn zu skizzieren – man kann auf den Sitzen nicht sitzen, man kann sein Reisegepäck praktisch nicht verstauen, das rekordverdächtig dämlich eingebaute Klo ist vorschriftsgemäß immer defekt, die Luft ist sommers wie winters .unerträglich, das überall sehr gut hörbare Motorengeräusch ist nervenzersägend) – aber allen anderen darf dies Indiz sein, dass hier die geballte Inkompetenz das Volk rädert.
Es vergeht keine Bahnfahrt im Fernverkehr, ohne dass man um sich herum stöhnende Mitreisende hört: “Nie wieder – das nächste Mal nehmen wir wieder das Auto”. Keine Bahnfahrt, ohne Zoff um das richtige Bahnticket.
Die Deutsche Bahn ist kein Reiseunternehmen, kein Verkehrsunternehmen, sondern eine profane Aktiengesellschaft mit 34 Milliarden Euro Jahresumsatz, die zufällig auch Schweinehälften und menschliches Stückgut transportiert.
Im sog. Personentransport macht die Bahn z.B. am liebsten Geld ohne Leistungserbringung. Das hat sie sich vermutlich von den Risikolebensversicherungen abgeschaut, allerdings stark modifiziert, nämlich ohne Gewinnchance für den Geschäftspartner. Anders ist nicht zu erklären, dass man bei der Bahn ernsthaft Fahrkarten kaufen kann. die weder umgetauscht noch zurückgegeben werden können. Man kauft das Ticket – die Bahn bekommt ihr Geld, und am besten ist es, wenn es dabei auch bleibt. Als Beweis erachte ich auch, dass die Bahn seit Jahrzehnten – angeblich zur Verbesserung ihrer Dienstleistungen – Fahrgastbefragungen durchführt, bei denen es aber nie um die TOP 10 der Bahnidiotie geht oder einen Kaffeeklatsch a la “mein beschissenstes Bahnerlebnis”. Stattdessen schreiben diese Studenten und Job-Center-Rekruten regelmäßig nur ab, was auf der Fahrkarte steht: von wo, bis wo, mit welchem Rabatt. Dabei weiß die Bahn natürlich ganz genau, was auf der Karte steht, sie hat es schließlich selbst computergenau dahingeschrieben und bei ihrer Datensammelwut sicherlich auch nicht gleich wieder vergessen. Nein, es kann einzig darum gehen zu ermitteln, wie viele der verkauften Fahrkarten tatsächlich auch genutzt werden, denn dieser Anteil ist für die Bahn immer noch erschreckend hoch.
Vor sieben Jahren (und noch lange danach) habe ich behauptet, alles Bahnverhalten lasse nur den Schluss zu, es gebe ein internes Unternehmensziel “Leerfahrt 2010” – zugegeben, die vielen zum bersten überfüllten Züge deuten nicht unmittelbar auf diesen Weg hin und zeitlich liegen wir ja schon etwas drüber, aber ich bin sicher, all das gehört zum Konzept (der totalen Überfüllung folgt eine vollständige und spontane Entleerung – das Prinzip gibt’s ja schon).
Einige Schlaglichter:
– Transport ist nicht Reisen
Mit der Bahn wollen Menschen verreisen. Geschäftlich, just-for-fun oder echten Urlaubs wegen. Die Bahn kontert dieses bürgerschaftliche Ansinnen mit Transportleistungen. Sie befördert Transportgut, worunter die Bahn den gesamten Zeitraum zu verstehen scheint, in dem sich das Transportgut auf Bahn-Territorium befindet, Bahnhofsmission oder Bundespolizei eingeschlossen. So gesehen transportiert die Bahn eine ganze Menge. Reisen werden daraus nur selten und eher zufällig.
– Schnelle Züge sind nicht schneller Transport sind nicht schnelles Reisen
Die Strategie ist nur allzumenschlich: weil es mit der Gesamtkonstitution eher dürftig bestellt ist, versucht man es mit einzelnen Punkttreffern. Die schwabbelige Walze in ihrem Übergrößen-Kartoffelsack als sportlichem Anzug konzentriert sich aufs Facelifting, das Schwabbelhirn grinst und zeigt Waschbrettbauch.
Die Bahn hat sich als Zentral-Kosmetik schnelle und – zugegeben – theoretisch recht komfortable Züge verordnet, Arzneischiffre ICE. Das finden vor allem Märklin-Fans und einige Hobbyfotografen toll, für die meisten Menschen, die öffentliche Verkehrsmitteln zur Fortbewegung von einem Ort zum anderen nutzen wollen ist ICE hingegen ein Reisehighlight der Überfüllung, Verspätung und technischen Störung.
Und so schleudert der ICE III sein Transportgut in 50 Minuten von Köln nach Frankfurt, trifft dabei leider nur den Flughafen und rauscht weiter, tiefer ins Land sprachlich Minderbemittelter. Die Gesamttransportzeit zwischen zwei Punkten in Deutschland liegt mit einem Fesselballon gefahren durchschnittlich fünfviertel unter der DB-Leistung – grob geschätzt.
– Bahnhöfe sind nicht zwingend Zielorte für Bahnfahrten.
In Berlin zum Beispiel wird das Transportgut mitten in der Walachei ausgesetzt. Nachdem das fast amnesty international auf den Plan gerufen hätte, ließ der damalige Oberbahner Mehlkopf mitten in diese Walachei eine Mega-Shopping-Mall bauen und legte wirr unzählige Gleise dorthin. Weil das die Welt immernoch sehr unverständlich bescheuert fand, versah Mehdorn die Walachei mit der Aufschrift “Berlin Hauptbahnhof”.
Der bestens westens gelegenen, bekannte und erprobte Bahnhof Zoo hingegen darf nicht mehr als Bahnhof benutzt werden. Allerdings hat er auch seine Funktion als Drogen-, Anus- und Vaginamarkt weitgehend eingebüßt.
– Was die Bahn anfasst, wird hässlich, teuer und unpraktisch
Ob die großen Neubauten wie seinerzeit Kassel-Wilhelmshöhe oder Berlin-Ostbahnhof, Renovierungen wie im Hauptbahnhof Bochum oder sonst ein Hintertupfingen.
Bis auf kaum erwähnenswerte Ausnahmen ist der Zustand der Infrastruktur stets besser, bevor die Bahn mit ihren BWL-Studenten gelenkten Modernisierungskonzepten waltet. Der Vorstand der DB sollte einfach dem lieben Gott danken, dass er Bahnhöfe und Schienen geschaffen hat und diese pfleglich behandeln.
– Das Personal kann kein Englisch.
Ja nein, nicht die hunderttausendmal durchgenudelte “thänk ju for träwweling” – das ist doch wunderbar. Nein. Es mangelt einfach an vorgedruckten und sprechgeübten Textkarten. Wie heißt die folgende Durchsage auf Englisch? “Meine Damen und Herren, bitte beachten Sie folgenden Hinweis. Wegen eines Notarzteinsatzes im Gleisbereich kann unser Zug heute Köln Hauptbahnhof nicht anfahren. Reisende die in Köln aus- oder umsteigen wollen, steigen bitte jetzt in Düsseldorf aus und benutzen die Regionalbahn nach Köln Messe/Deutz. Dort erhalten Sie Ersatzanschlüsse nach Amsterdam mit Eurocity …. Ich wiederhole ….”
Auf Englisch: “Ladies and Gentlemen, our next stop in a few minutes: Düsseldorf Main station.”
– Das Personal kann kaum Deutsch
Zumindest lässt es in der Regel keine Beurteilung darüber zu, da es schlicht auf Verbalkommunikation verzichtet. “Personalwechsel, die Fahrscheine bitte” und “Hier ausfüllen” (Formular für Schwarzfahrer), das genügt im Nahverkehr.
Auf Fernstrecken kommen noch die Bausteine hinzu: “Ihre Fahrkarte hat in diesem Zug keine Gültigkeit”, “Dann bekomme ich nochmal Dreiundachtzigeurovierzig von Ihnen.” und “Das weiß ich nicht, aber der Kollege wird sicher gleich eine Durchsage dazu machen.”
“Der Kollege” ist der Zugführer, der ganze Sätze vom Blatt ablesen kann und daher vor, nach und zwischen jedem Halt ein wenig mit der Zuglautsprecheranlage spielen darf. (Das Ausleben dieses Talents wird freilich von allen regelmäßig Bahn nutzenden Menschen schlicht als unerträglich empfunden. Es gibt inzwischen Therapeuten, die sich auf die Behandlung des “Wir danken Ihnen für die Reise mit der Deutschen Bahn und hoffen, sie bald wieder als unsere Fahrgäste begrüßen zu dürfen”-Traumas spezialisiert haben.)
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