Warum soll man wählen gehen?
Auf der Suche nach Gründen zur Wahl zu gehen bin ich bei Marco Hellfritzsch (SPD) fündig geworden (der selbst gar nicht für den Bundestag kandidiert, also quasi unabhängig ist). Allerdings haben mich seine Gründe nicht wirklich überzeugen können:
Demokratie ohne Wähler ist wie Singen ohne Stimme
Komisches Bild. Verständlicher wäre: Gewählte ohne Wähler sind wie selbsternannte Herrscher. Autokraten. Demokratie ist keineswegs auf Wahlen gepolt. Das ist eine Möglichkeit – und ganz offensichtlich eine schlechte, wie schon fast ein Drittel der Wahlberechtigten kund tut.
Einfacher geht es fast nicht
In Deutschland bekommen Sie ab dem achtzehnten Lebensjahr Ihre Wahlunterlagen zugeschickt. Sie haben keinen Registrierungsaufwand – nur das Kreuz müssen Sie selber machen!
Mal ganz abgesehen davon, dass man die Wahlunterlagen nicht zugeschickt bekommt, sondern nur die Wahlbenachrichtigung: der Aufwand besteht darin, einige der 100 bis 250-Seiten-Wahlprogramme der Parteien zu lesen, zu vergleichen – und danach das ganz simple Kreuz auf den Wahlzettel zu setzen.
Allerdings bereitet das Lesen wenig Freude, und wer es tatsächlich tut und sich nur die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien antut, wird am Ende noch viel weniger wissen, wo er sein Kreuz machen soll. Es steht ja überall auch mal was Vernünftiges, Interessantes, unter viel Quatsch. Und nun? “The winner takes it all”, ein Kreuz für eine Partei und alles soll erledigt sein, alle guten Vorschläge anderer Parteien muss man ignorieren. Und bei alledem auch noch daran glauben, dass die gewählte Partei auch wirklich tut, was sie verspricht (was alles andere als wahrscheinlich ist) und nicht noch zig andere Themen anpackt, zu denen sie sich in ihrem Wahlprogramm nicht geäußert hat.
Weil Sie Ihr Recht nutzen sollten!
Die Teilnahme an Wahlen ist Ihre Chance, Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben.
Das ist der Grundirrtum (ich will mal nicht von Lüge sprechen, weil es vermutlich selbst einige Politiker noch glauben): Wir nehmen keinen Einfluss mit der Zustimmung zu einer Partei, wir fördern nur ihre Machtposition. Was die Partei damit macht, haben wir nicht in der Hand.
Besonders schön war der Vorhalt von Thomas de Maiziere bei Günther Jauch vor zwei Wochen zur Autorin Andrea Hanna Hünniger, auf wie vielen Wahlkampfveranstaltungen in den letzten Wochen sie denn gewesen sei (auf keiner natürlich) – denn da habe man alles diskutiert, was sie gerade so frage. Nur: mit welchem Ergebnis? Habe ich eine Pressemitteilung übersehen, dass eine der Parteien aufgrund der Diskussionen und Gespräche im Wahlkampf eine Position geändert habe? (Und wie sollte das auch gehen, so vorbei an den “Parteigremien”?) Politiker ändern an ihrer Politik so viel wie alle anderen Verkäufer an ihren Produkten.
Weil Meckern nichts verändert!
Wer geduldig (und ungedopt) Debatten im Bundestag verfolgt, gewinnt aber nicht gerade den Eindruck, dass da etwas anderes betreiben würde als meckern (wenn es um andere Meinungen geht, Rednern aus der eigenen Reihe wird natürlich stets gehuldigt).
Außerdem meckern Nichtwähler oder Ungültigwähler ja nicht. Sie schlagen zum Teil sehr dezidiert vor, was sie ändern würden, wenn sie denn könnten. Können sie aber nicht.
Um eine Wahlpflicht zu verhindern!
Ein besonders starkes Argument! Anstatt dass Politiker Konsequenzen daraus ziehen, dass sie allesamt, selbst als stärkste Fraktion mit meinetwegen auch “absoluter Mehrheit” nur von einer Minderheit gewählt und damit gewollt worden sind, soll mit dem Zwang zur Wahl gedroht werden. (Was ja ernsthaft keine der Bundestagsparteien wollen kann, weil die Wahlpflicht zu Stimmanteilsverlusten bei ihnen führen würde. Also Rubrik Dummzeug.)
Weil eine niedrige Wahlbeteiligung radikale Parteien stärkt!
Die Nazi-Keule. Es stimmt aber rechnerisch nur, wenn man davon ausgeht, dass Nichtwähler im Falle einer Wahl oder eines Wahlzwangs keine radikalen Parteien wählen würden (welche auch immer das sein mögen; ich finde z.B. die Überwachungspolitik der Regierung extrem radikal.)
Es muss aber vor allem nicht Sorge des Nichtwählers sein, ob bestimmte (radikale) Parteien noch Leute mobilisiert bekommen. Es muss die Sorge der sich nicht für radikal haltenden Parteien sein, Wähler durch Argumente zu gewinnen. Da es da rein empirisch betrachtet offenbar Grenzen gibt, sollte man über seine Politik nachdenken, was heißt: über seinen Herrschaftsanspruch, die Entmündigung, die Gängelung, die Vorschriften.
Weil nur vertreten wird, wer wählt!
Unsere Politiker richten sich nach dem Willen der Wähler. Die Meinung all jener, die nicht wählen gehen, werden bei Diskussionen und Entscheidungen meist nicht berücksichtigt. Nur durch Wählen wird die eigene Position im Wahlergebnis sichtbar und so für Politiker relevant.
Genau solche Windeier wollen wir ja nicht haben! Politiker, die sich nach dem Willen der Wähler richten, müssten ja unmittelbare Angestellte ihrer Wähler sein, mit imperativem Mandat und so. Sie versprechen aber was anderes: für alle da zu sein, das Beste zu wollen, es im Zweifelsfall auch besser zu wissen als die Wähler. Sie treten allerdings nicht mit klaren Positionen an (die sich dann ja auch innerhalb einer Partei deutlich unterscheiden müssten), sondern sie richten sich nach der Parteilinie (nicht nach dem Wähler).
Wenn Politiker Klientelpolitik machen sollen, dann braucht es keine Parteien. Dann können auch die vielen Lobbyverbände einfach ihre Spitzen-Agitatoren zur Wahl aufstellen.
Leider Fail in allen Punkten.
Wählen hat Tradition
Generationen vor uns haben hart für das Wahlrecht gekämpft. Nutzen wir diese Freiheit, die immer noch nicht von allen Staaten gewährleistet wird.
Das liest man in letzter Zeit auch oft. In anderen Ländern würden Menschen sterben für das Recht auf Wahlen, und wir dummen Wohlstandsgauner träten dieses schon erworbene Recht mit Füßen.
Wenn es um den “Kampf um das Wahlrecht” geht sollte man sich fragen, gegen wen da gekämpft wurde und wem man ein Wahlrecht abtrotzen musste.
Aber wir wollen doch nicht ernsthaft die Nazi-Zeit als Opfer für das von den Alliierten genehmigte Wahlrecht missbrauchen, oder? Anderer Kampf war da nämlich nicht.
Für mich sage ich mal so: Ich “kämpfe” für Mitbestimmung statt Beherrschtwerden. Die Wahlbenachrichtigungskarte, die ich unlängst im Briefkasten hatte, habe ich mir nicht erkämpft (und meine Eltern und Großeltern haben es auch nicht getan). Für die von Hellfritzsch angebotene Hängematte ist es mir also noch etwas zu früh. Demokratie kann weit mehr, als alle vier Jahre zum Kreuz zu rufen.
Siehe hierzu auch die Aktion:
www.unwaehlbar.org
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