Evangelikaler mit Obrigkeitsknüppel

Öffentliche Kritik “an den eigenen Leuten” – doch, das geht in Ordnung, wenn es um “öffentliche Dinge” dieser Leute geht, etwa um ihre Ämter – oder um öffentliche Äußerungen wie im “Wort zum Sonntag” am 1. Advent. Das war dem kleinen aber einflussreichen evangelikalen Medienverband “KEP” nicht fromm genug, und gegen die daraufhin laut geäußerte Kritik gab es auf den einschlägigen Internetplätzchen ebenfalls zu mäkeln, weil: man macht das eben nicht mit den eigenen Leuten, nicht in der Öffentlichkeit jedenfalls.

Doch: Öffentliches ist stets öffentlich zu diskutieren. Der Vorsitzende der “KEP” (ehemals: Konferenz evangelikaler Publizisten), Wolfgang Baake, macht dies allerdings in einer Form, die mich schlicht anekelt. Denn er verfasst einen Beschwerdebrief an den “Medienbeauftragten” der EKD, Markus Bräuer, Pfarrer und Oberkirchenrat, und sorgt für die Verbreitung seiner Kritik als Nachricht über das eigene Verbandsmedium “Pro”, dessen verantwortlicher Redakteur er ist. Er schreibt nicht etwa einen offenen Brief an die Autorin und Sprecherin des kritisierten Beitrags, Pfarrerin Nora Steen – was völlig in Ordnung gewesen wäre -, sondern er schreibt an einen Dienstvorgesetzten, an jemanden, der in der Kirchenbürokratie höher steht. Das ist so ziemlich das unterste Level, auf dem menschliche Kommunikation geschieht: “Ich werde mich über Sie beschweren.” Nicht: “Ich sage Ihnen meine Meinung und bin interessiert daran, was Sie entgegnen.” Nein, man will vom anderen gar nichts hören, erfahren, man will sich nicht ums Verstehen bemühen. Man will, dass eine ordnende Macht eingreift, und wer seinen Gebeten dabei nicht genug zutraut, der wählt den etablierten, schon von Kurt Tucholsky, Alfred Polgar oder Karl Kraus mit Wortgewalt und Intellekt vergebens bespienen Bürokratenweg: es gibt immer jemanden, bei dem man sich über reale oder vermeintliche “Untergebene” beschweren kann.

Und Markus Bräuer, der Oberpfarrer, der seine Examensarbeit über Notfallseelsorge verfasst hat, steigt darauf ein. Er entschuldigt sich quasi für das, was Pfarrerin Steen im “Ersten Deutschen Fernsehen” von sich gegeben hat. Bestätigt damit den Weg der Beschwerde an höherer Stelle. Unterstützt die Gesprächsverweigerung. Lässt die Autorin wie ein dummes Kind dastehen, für dessen ungezogenes Verhalten die Eltern beim Schuldirektor einbestellt worden sind, allerdings vor Publikum. Das ist die erniedrigendste Form öffentlicher Kommunikation. Man mag Bräuer zugute halten, dass er von mehreren Nachrichtenagenturen nach einer Stellungnahme gefragt wurde – zu einem Zeitpunkt, als er den “offenen Brief” noch gar nicht kannte. Doch auch dann wäre die einzig korrekte, achtungsvolle Reaktion gewesen, Baakes Stil zu kritisieren und inhaltlich nicht darauf anzuspringen.

Was genau Theologe Baake, der KEP-Geschäftsführer, Bräuer, dem EKD-Medienpfarrer, geschrieben hat, bleibt übrigens im Dunkeln. Denn den vollständigen Beschwerdebrief hat sein Hausmagazin Pro – trotz mehrerer Aufforderungen – nicht veröffentlicht. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb die Meldung kaum von anderen Medien aufgegriffen wurde, obwohl sie über Agenturen gemeldet wurde.

Und dann doch noch ein Wort zum inkriminierten Beitrag: Baake kritisiert, Pfarrerin Steen habe in ihrem “Wort zum Sonntag” am 1. Dezember zwar über den Advent gepredigt, „leider sprach sie aber nicht mit einer Silbe davon, was dieses Wort für Christen bedeutet: Die Erwartung der Ankunft Jesu Christi“, womit sie “die Erwartungen von etlichen Christen mit der vergangenen Ausgabe nicht erfüllt” habe.
Wer immer diese etlichen Christen sein mögen, die schon wissen, was sie hören wollen: Es könnte auch Christen geben, denen die Glaubensbotschaft “der Ankunft Jesu Christi” und, wie Baake an anderer Stelle schreibt, “dass Jesus Christus zu uns kommt, um zerbrochene Herzen zu heilen und uns mit Gott zu versöhnen” durchaus geläufig ist, so dass eine Pfarrerin ihnen mal vier Minuten lang einen anderen Blick auf den Advent zumuten kann. Frei, daraus zu machen, was sie mögen, sind die Christenzuschauer dann ja immer noch.

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