Nicht jeder Männersex ist schwul

In der Diskussion um Matthias Matussek’s Kommentar „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“ spricht Heiko Werning von „Vulgärdarwinismus“. Dabei argumentiert er biologisch leider nicht exakt. So doof die Debatte und einige ihrer Wortführer auch sein mögen – ganz so einfach ist es mit dem Sex dann doch nicht.

Die Debatte interessiert mich eigentlich gar nicht. Ich hatte den Matussek-Text bislang tatsächlich – und damit erfolgreicher als manch anderer – ignoriert. Ich wundere mich ein wenig über die hohe Anschlagszahl neuer Beiträge zur Homosexualität und gesellschaftlichen Gleichstellung – aber sie ist mir reichlich egal. Ich erwarte da für mich keine neuen, notwendigen Erkenntnisse, und jeder soll sich mit dem beschäftigen, was ihn bewegt. Aber der im Web ein wenig gefeierte Kommentar von Heiko Werning in der taz zu Matusseks angeblich fatalem Unverständnis der Biologie hat mich dann doch gepackt.

Doch bevor man etwas zu diesem hoch-emotionalen Thema sagt, muss man sich erstmal „verorten“. Das allein mag schon Beleg für die gesellschaftliche Relevanz sein – oder auch nur dafür, wie fachlich unbearbeitet das Thema bislang ist. Denn ein „falsches“ Wort genügt ja schon, um sich plötzlich in unseliger Gesellschaft wiederzufinden, etwa der eines hugenottischen Berliners, der dies möglicherweise in seinem neuen Buch zurecht beklagt, was ich nie sicher erfahren werde, weil ich es wie den vorangegangenen Aufreger nicht lesen werde, – es liegt einfach schon genug bedruckter Mist um mein Bett herum.
Matusseks Video-Kolumne bei Spiegel-Online fand ich überwiegend großartig, einige seiner Texte bescheuert. Und Heiko Werning schätzte ich als Autor sehr (und sonst kenne ich ihn nicht).

Ob das an Vorrede genügt, um ein wenig widersprechen zu dürfen?

Es lässt mich immer aufhorchen, wenn jemand von „Vulgärdarwinismus“ und „verbalem Amoklauf“ schreibt. Denn das Erste gibt es nicht, und das Zweite ist sehr selten.

Zunächst: es geht in der Evolution nie um „Arterhaltung“. Das ist ein politisches, ein rassistisches Konstrukt. Die Evolution ist da, wie Werning ja selbst andeutet, völlig frei von Fahne, Partei und ähnlichem Klimbim. Wenn sich ein Schmetterling mit einem Elefanten paaren könnte, würde er es sofort tun. Er unterlässt es schlicht, weil es nicht funktioniert. Vielleicht probiert es der ein oder andere sogar mal, Evolution basiert ja auf dem Zufall, aber da es eben meistens Ressourcenverschwendung bedeutet, bleibt man lieber bei dem, was man als erfolgreich „kennt“. Und da ist dem Schmetterling nicht nur der Schmetterling näher als ein Elefant, er achtet tatsächlich auch noch aufs weitere Aussehen und Duften und Verhalten – was unter Männern so schön protzig „Beuteschema“ heißt (und natürlich auch Quatsch, aber damit noch lange nicht Vulgärbiologie ist, weil das mit der Sexbeute meistens und vor allem bei uns Affen andersherum läuft und damit schlicht gar keine Biologie ist – Quatsch eben oder Jägerlatein oder Macho-Spruch).

Die „Art“ ist nichts anderes als eine vorübergehende Reproduktionsgemeinschaft, die Beschreibung einer Art muss von Zeit zu Zeit angepasst werden, weil sie eben im Wandel ist – das ist nichts für publizistische Zeitleisten, die Evolution ist da extrem relaxt. Wer gerne über Katholiken und andere dem „Gotteswahn“ Verfallene spottet weiß, dass einer der medialen Haupt-Claqueure vor seiner Zeit als missionarischer Atheist dazu das bahnbrechende Buch geschrieben hat.

Wernings Bienen-Beispiel wäre nach seiner eigenen Klassifizierung Vulgärdarwinismus (oder noch schlechter: Vulgärethologie), denn es stimmt vorne und hinten nicht, um mal auf den Sex zu kommen. Arbeiterinnen der Honigbiene sind ja nicht lesbisch, sie haben einfach gar keinen Sex, und das eben weder aus freiem Willen noch aus moralischem Konzept heraus, sondern schlicht, weil es ihre biologische Rolle im Bienenvolk ist. Müßig zu fragen, was die einzelne Biene denn gerne so zu ihrer Selbstverwirklichung täte (zumal „Emma“ seit Jahren dazu schweigt). Der Reproduktion ihrer eigenen Gene leisten sie mit ihrer asexuellen Beschäftigung gleichwohl große Dienste, denn sie unterstützen ihre Mutter, ihre Brüder und ihre „königlichen Schwestern“. Das ist in ihrer Lage offenbar das Beste, was sie tun können.

(Überhaupt taugt ja das „Bienlein-Blümlein“-Spiel gar nicht zur Erklärung von Sexualität, weil Sex hier nur die Botanik hat, aber das wird es zu meinen Lebzeiten nicht mehr in den Stand der Allgemeinbildung schaffen – auch, weil es von den Fachleuten wie Werning scherzhaft bedient wird, worüber wie üblich aber nur die Wissenden lachen können.)

Werning schreibt dann: „Abweichungen von der Norm sind also kein Fehler der Evolution, sondern ihre Triebfeder“ (und meint damit die ständige genetische Neukombination). Das ist richtig, aber vermutlich nicht für alle richtig gesagt: Für die Evolution ist es nie ein Fehler, sie kennt gar keine Fehler, sie ist ja gerade kein Gott, kein Parteiprogramm, kein Gerichtshof. „Ihr“ ist völlig schnurz, was am Ende rauskommt. Kann Sarrazin heißen oder Matussek oder Niggemeier – oder sonstwie. Nichts ist so gleichgültig wie die Evolution. Sie ist wie das Wetter: tausende, abertausende von Einflüssen gibt es auf sie, und sie zeigt nur das jeweils momentane Ergebnis.

Anders sieht es bei den Individuen aus, die eben (aus Gründen, die wir hier mal nicht weiter vertiefen wollen) gerne ihren Genpool weitergeben wollen, oder wenigstens das Beste daraus. Eine Chance dazu besteht in der Abweichung. Darin liegt die ganze Macht der biologischen Entwicklung, der Anpassung, des Fortschritts. Man kann auf der Hauptstraße bleiben, oder wenigstens auf dem gut sichtbaren Trampelpfad. Man kann aber auch quer durchs Gebüsch gehen. Das kann zu einem tollen Ziel führen – muss es aber nicht. Meistens geht es schief. Wenn man genügend Nachkommen auf die Reise schickt, dann dürfen einige Gesellen auch die abwegigsten Wege gehen. Wenn sie auf der Strecke bleiben: es war den Versuch wert, wir haben ja noch genug Läufer auf dem sicheren, bekannten, aber eben auch nichts Neues versprechenden Weg. Aber wenn es klappt: Juchei! Unbesiedeltes Land, oder besiedeltes und sexuell attraktives Land! (Der Macho spricht an dieser Stelle von „Frischfleisch“.)

Für das einzelne Individuum gibt es natürlich einen „Fehler der Evolution“, nämlich den leider ungünstig verlaufenen Drang, neues zu entdecken, wo nichts Neues oder nichts Attraktives anzutreffen ist. Für diejenigen, die mit Christoph Kolumbus gesegelt und dabei verreckt sind, war die Abweichung von der Norm recht dumm, für die Erfolgreichen natürlich ein Erfolg. Die Evolution nahm sowohl die Abgesoffenen als auch die Massaker in Amerika gelassen hin.

Danach, um wieder auf Wernings Text zu kommen, wird es dann ganz verwuselt. „Dabei [also „bei“ der Evolution] führt natürlich vieles ins Nichts“ schreibt er, und das habe ich ja eben auch ausgeführt. Aber dann folgert er ohne Zwischentext: „Dass Homosexualität eine solche Sackgasse darstellt, ist allerdings unwahrscheinlich. Denn wir kennen sie nicht nur von ‘irgendwelchen Pantoffeltierchen’, wie Matussek schreibt, sondern quer durch alle Klassen und Gattungen.“

Dass es sich beim gleichgeschlechtlichen Sex nicht um eine biologische Sackgasse handele, will Werning offenbar auch mit seinem Bienen-Bild untermauert sehen. Dazu siehe oben.

Homosexualität gibt es aber vor allem nicht „quer durch alle Klassen und Gattungen“. Das mag als Willensparole völlig okay sein, geht aber an der Biologie vorbei. Um hier weiter diskutieren zu können, muss man sich über zwei Dinge verständigen:
a) Was ist Sex allgemein (ich schreibe bewusst nicht: „Sexualität“)?
b) Was ist Homosexualität?

Sex hat unbestreitbar mehr Aufgaben als nur Nachkommen zu zeugen. Er soll sie auch groß und geschlechtsreif werden lassen. Darum kann Sex dem Zusammenhalt der Eltern dienen (damit sich beide um den Nachwuchs kümmern, nicht nur einer oder gar keiner), darum kann Sex im biologischen Sinn Streit schlichten (aber auch Hierarchien klarstellen!), darum gibt es Altruismus, Sex-Verzicht, Ehen…

Aber sexuelle Handlungen können auch ganz andere Motive haben: Dominanz vor allem (viele sexuelle Rituale dienen der Unterwerfung, der Klärung von Rangordnung), Klärung der Sozialstruktur („der/ die/ das ist meins“), Übung (die den Meister macht, deshalb sind schon Kinder auf sexueller Erkundungstour, obwohl sie sich noch gar nicht fortpflanzen können).

Werning schreibt als nächstes: „Angesichts dieser Omnipräsenz [der Homosexualität] kann man als sicher annehmen, dass homosexuelles Verhalten förderlich ist für die Gesundheit der Population, für das Überleben einer Art.“ Wenn Werning das „biologistisch“ meinte, also nach dem Motto: „Das ist eben so und deshalb ist es gut“ – okay. Aber er will hier doch offenbar etwas positiv konnotieren, was tatsächlich nicht so konnotiert ist. Was wir an homosexuellem Verhalten bei Primaten beobachten können, ist eben fast immer Dominanz-Subordinanz-Verhalten: herrschen und beherrscht werden. Wer jetzt den unmittelbaren Bezug zum Menschen braucht, möge sich mit dem Sexualverhalten in klassisch-männlichen Armeen oder in Gefängnissen beschäftigen: man kann dort vieles beobachten, was nichts mit suggeriertem „freien Willen“ oder gar „Gesundheit“ zu tun hat. Und wer auch nur ein klein wenige HipHop hört kann ahnen, wie sehr Sexualität auch als Machtsystem verstanden wird.

„Gerade bei höher entwickelten Spezies, vom Wal über den Makaken bis zum Bonobo, gilt aber wohl vor allem eines: Ihnen macht homosexueller Sex einfach Spaß.“ Wissenschaftlich korrekt wäre wohl eher: homosexuelle Handlungen kommen vor, werden beobachtet, vollziehen sich in dieser oder jener Weise. Der Spaß soll auch bei manch stöhnendem Menschenpärchen schon gefehlt haben. Jedenfalls wird hier arg gewagt interpretiert – und es werden viele naheliegende biologische Begründungen außer Acht gelassen. Ich weiß nicht, welches Bild viele Leser an dieser Stelle vor Augen haben, aber eine Analogie zu gleichgeschlechtlichem Sex bei Menschen sollte man unterlassen. Weibliche Bonobos reiben ihre Labien gerne mal aneinander (genannt: genito-genital, kurz GG), und die männlichen machen ähnliches mit dem Penis. Aber Frans de Waal als wohl einer der Primaten-Experten schlechthin hat noch nie eine Ejakulation bei männlichem Bonobo-Sex gesehen, ebenso nie eine anale Penetration. Für Berberaffen kann ich aus eigener langer Beobachtung sagen: „Aufreiten“ gibt es unter Männchen, aber mit Geschlechtsverkehr hat das nichts zu tun (und sehr viele Kopulationen zwischen Männchen und Weibchen verlaufen ohne Ejakulation – weil Sex hier eben weit mehr Bedeutungen hat als unmittelbare Fortpflanzung oder „Spaß“).

Ich will das nicht weiter vertiefen. Nicht von ungefähr sind ganze Bibliotheken mit wissenschaftlicher Sex-Literatur gefüllt. Das lässt sich nicht in ein paar launigen Sätzen abhandeln. Schwule und Lesben bedürfen für ihre Sexualität ganz sicher nicht der Unterstützung angeblich homosexueller Fadenwürmer.

Wernings „Kopflausattacke“ fand ich großartig. Bei seiner Bio-Nachhilfestunde „Matussek – ein Fehler der Natur?“ hat er sich jedoch vergaloppiert.

Auch wenn mir das der ein oder andere nach den vielen Zeilen nicht mehr glauben mag, aber wie ich am Anfang schon sagte: Mich interessiert Matusseks Homophobie nicht. Ich fahre weiterhin gut mit der Idee, dass Menschen Dinge einfach machen, weil sie diese Dinge machen können. Es ist mir völlig egal, ob das biologisch „sinnvoll“ ist.
Aber ich halte es für unlauter, sich die Biologie für irgendwas zurecht zu biegen. Ob nun für eine freie Lebensart oder gegen sie.

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