Brotpanscher
Über das angeblich kunstvolle am Bäckerhandwerk habe ich mich schon oft gewundert. Etwa, wenn die „Vollkornbrötchen“ aus ganz verschiedenen „Backstuben“ in weit auseinanderliegenden Teilen unseres Brotlandes – sehr gleich schmecken, riechen, ausschauen. Oder wenn eine Bäckerei zwar für ihre nach alter Familientradition handgemachten Brötchen wirbt, in der Variante „Komposthaufen“ (Malmsheimer) aber den billigsten Kochschinken*) vom Discounter statt vom Metzger nebenan vergräbt.
In Binz auf Rügen, einem der dummseligsten Käffer, das die menschliche Spezies hervorgebracht hat, und das ich bereits nach 45 Minuten bis zur Erschöpfung angewidert verlassen hätte, wenn mich der Vorsaison-Fahrplan der DB nicht gezwungen hätte, mehr als 120 Minuten in dieser künstlich geschaffenen Trostlosigkeit zu verbringen und mir dabei auszumalen, wie dieses Grauen in der Potenz sommerlichen Hochbetriebes wohl auch rheinmetall-starke Menschen zu Sand zerbröselt, in diesem Binz jedenfalls warb ein Konditor mit Zeitungsausschnitten für seine vorzüglichen Meisterleistungen, und um keiner Touri-Torte auf den Leim zu gehen verlangte ich nach einem Croissant, nicht ohne mich zu vergewissern: „Wenn Sie schon so tolle Torten fabrizieren, sind Ihre Croissants doch sicherlich auch hausgemacht?“ und verwies noch mit der größten mir möglichen Beiläufigkeit darauf, einige Jahre im ersten Stock über einem hervorragenden Konditor gewohnt zu haben, dessen Croissants alles, was ich in Frankreich zu diesem Thema je versucht habe, wie eine Buttermehlkugel erscheinen ließen, was ihn kein bisschen zögern ließ, mir ein überzeugt-pikiertes „Selbstverständlich!“ zu versichern. Nun, Sie ahnen, dass es sich um diese entsetzliche BÄKO-Aufbackkost gehandelt haben muss (Artikel-Nr. 402787 / 33320), jedenfalls hatte, was ich mir über die Theke hatte reichen lassen, bis auf den Preis nichts mit einem Croissant zu tun.
Im Berliner Ostbahnhof, einem der vielen sehr gelungenen Fehlplanungen der Mehdorn-Behörde, ist in den vergangenen Monaten (oder Jahren?) der Fast-Food-Bereich umgebaut worden, die Dauer der Schließung aller zuvor vorhandenen Geschäfte, welche hungernde Reisende mit unhörbarem, aber hämischem Lachen auf die beiden verbliebenen Gourmet-Tempel McDonald’s und Subway verwies, ließ auf Großes hoffen. Heute nahm ich aus der Not heraus (die näher zu begründen hier zu weit führen würde, aber sie hatte natürlich und wie immer auch mit der DB zu tun, weil sie mit all ihrem Geschick ja auch dei Berliner S-Bahn betreibt) einen in diesem neuen Gastrobereich residierenden Backwarenverkauf in Augenschein. Man sollte gewarnt sein, wenn Bäcker das traditionelle Zeichen ihrer Handwerkszunft nicht als Backwaren aus eigener Herstellung im Sortiment haben, aber da ohnehin niemand mehr richtig zu laugen vermag, sah ich mit knurrendem Magen darüber hinweg. Da es – zumindest zu diesem Zeitpunkt – gar keinen Wasserweck umfassten Komposthaufen in der Auslage gab und ich nackte Schrippen nur mit den von mir mitgeführten Mohrrüben hätte belegen oder füllen können, entschied ich mich für ein hoch kreativ mit Ananas belegtes und mit Käsespuren enthaltendem Pflanzenfett überbackenes Teigwerk. Ob der Knurrigkeit meines geräumigen Magens musste ich die Inkorporation sofort vollziehen. Nichts Gutes erwartend wurde ich gar Grässlichem gewahr. Alle Kühlkraft, die an belegten Brötchen allüberall eingespart wird, auf dass sich Wurstränder braun nach oben biegen und Käse dicke Fetttropfen schwitzt, sie steckte in diesem halben Hawaii-Produkt. Wie gottverdammt geschmacksdekadent muss man sein, um geschmolzenen Käse in Eisverfassung feilzubieten? Dass die Tresendame auf die Frage verzichtete, ob sie das von mir zu erwerben beabsichtigte Produkt in einem Ofen kurz erhitzen solle, mag ich angesichts hochsommerlicher Temperaturen und der in ihrem Gesicht dampfend arbeitenden Geysiere nicht kritisieren. Aber da hat ein Aufbackladen einmal ein Produkt im Angebot, das tatsächlich lauwarm gut zu verzehren sein dürfte und das bei dieser erhöhten Zimmertemperatur keinen Schaden nimmt – da rückt ihm das Meisterhandwerk mit Kühlung entgegen, auf dass der Kundenmagen noch stundenlang mit dem Auftauen der mundmechanisch kaum zermalmbaren Fettklumpen beschäftigt ist.
Zurecht will das deutsche Bäckerhandwerk nur Brot, nicht Brötchen zum „immateriellen Kulturerbe der UNESCO“ machen. Belegtes Brot gibt es interessanterweise in so gut wie keiner Bäckerei (kenne ich überhaupt nur vom Wiener Trzesniewski). Vermutlich wird die UNESCO im Erbfall auch jede Panscherei mit Brot untersagen.
*)= noch schlimmer soll es mit sogenannter „Salami“ sein, da gibt es ja inzwischen die Extra-Ekel-Klasse, nennt sich dann Truthahn-Pizza-Salami, ist giftig rot und für ungeübte Mägen komplett unverträglich. Ich habe es noch nie probiert, weil mir klar ist, dass gerade unter dem Begriff „Salami“ der letzte Müll vermanscht sein kann.
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