Wie man’s macht – Herrndorfs Sterbeweg

Wolfgang Herrndorfs Journal von seinem Weg in den Tod ist zweifelsohne beeindruckend. Altersübergreifend. „Arbeit und Struktur“. Allerdings muss man sich natürlich stets vergegenwärtigen, wie wohl Herrndorf seine Worte wählte. Es sind mitnichten spontane Blogeinträge. Obwohl ja das gesamte Tagebuch online steht, live Stück für Stück veröffentlicht wurde und dort einen wachsenden Leserkreis versammelte, sind die einzelnen Einträge geschmiedete Alltagsprosa.

Darauf verweisen nicht nur Marcus Gärtner und Kathrin Passig, die den Blog für die Buch- und öffentliche Onlinefassung editiert haben, es ist den meisten Stücken auch deutlich anzumerken. „Arbeit und Struktur“ war der Endzeitblog eines (spät berufenen) Literaten, und es war von Herrndorf auch zur Buchveröffentlichung nach seinem Tod vorgesehen.

Zum Werk an sich will ich nichts weiter sagen, das haben schon längst Beschlagenere getan, beispielsweise Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung).  Aber zwei Dinge habe ich anzumerken:

* Ich verstehe es als Respekt vor Herrndorfs literarischem Schaffen, dass sich die Herausgeber mit Anmerkungen und Erläuterungen extrem zurückgehalten haben. Denn zurecht kann man sagen: Was Herrndorf im Blog nicht geschrieben hat, muss auch nicht posthum in einer Druckfassung erläutert werden.
So aber ist man als Leser des gedruckten Blogs gezwungen, immer wieder die gesammelten Fragen im Internet soweit es geht zu klären. Beispiel Eintrag:

arbeit-struktur-shot

25.4. 2012 18:42Nach Thor Kunkel entlarvt auch Lottmann die Hirnsache im taz-Blog als Marketingcoup.“

Joachim Lottmann  hatte über seine Suche nach einem Kandidaten für den Wolfgang-Koeppen-Preis geschrieben:

„Herrndorf hätte ich noch vor zwei Jahren blind ausgezeichnet, doch zwischendurch hatte der Mann drei Bestseller und sieben Literaturpreise mit einem sechsstelligen Gesamtwert aufgestellt. Der war satt. Und wieder gesund. Jahrelang hatte es geheißen, sein tragischer junger Tod stünde unmittelbar bevor.“ („Joachim Lottmann vs. Wolfgang Koeppen“ taz Blogs)

Wolfgang Herrndorf mag sich im Blog bewusst so kurz gefasst haben, dass ihn nur Insider verstehen konnten. Da war es auch eine zeitnahe Reaktion. Für die Leser des Buches wären hier einige kurze Erläuterungen aber doch sehr hilfreich, zumal solche kleinen Spitzen wichtige Mosaiksteine für das Bild sind, das man sich vom Autor macht. Und davon gibt es zahlreiche.

* Und eine zweite Anmerkung an die Edition habe ich: Kathrin Passig und Marcus Gärtner schreiben im Nachwort selbst, es sei Herrndorfs Wunsch gewesen, seinen Suizid zu erläutern. „Herrndorf wünschte sich dabei eine medizinisch-fachliche Beschreibung seines Todes: ‚Wie es gemacht wurde, wie es zu machen sei. Oder bei Misserfolg: Wie es nicht zu machen sei. Kaliber, Schusswinkel, Stammhirn etc., für Leute in vergleichbaren Situationen. Das hat mich so viele Wochen so ungeheuer beunruhigt, keine exakten Informationen zu haben.'“

Wenn ich es nicht überlesen habe (was gut möglich ist), dann fehlt mir die Auseinandersetzung mit der gewählten Suizidmethode. Am 10. August 2010 notiert er wohl den Waffenkauf*), und Herrndorf lässt sich später sehr eindeutig über das Recht auf Selbsttötung aus:

19.11. 2012 22:17 (im Buch Seite 369)
Themenwoche Sterben auf der ARD. Komplett Enthirnte wie Margot Käßmann versuchen, ein freies Leben gelebt habenden Menschen das Recht auf Freiheit im Tod zu bestreiten. Die Position der Vernunft wie immer dünn besetzt. Ein Mann, der seine alzheimerkranke Frau beim Suizid unterstützte, sitzt neben einer Zumutung namens Kapuzinermönch Bruder Paulus, dem sein ihm das Gesicht verwüstet habender zweistelliger IQ befiehlt, eine Stunde lang mit zusammengekniffenen Augen angestrengtes Nachdenken simulierend in die Runde zu schauen und seinen Vorredner anzublaffen, warum er seiner Frau denn nicht gleich die Pulsadern aufgeschnitten habe. Lang lebe Berlin-Mitte.Nicht geladen wie immer einer, der das Naheliegende erklärt, nämlich daß in einem zivilisierten Staat wie Deutschland einem sterbewilligen Volljährigen in jeder Apotheke ein Medikamentenpäckchen aus 2 Gramm Thiopental und 20 mg Pancuronium ohne ärztliche Untersuchung, ohne bürokratische Hürden und vor allem ohne Psychologengespräch – als sei ein Erwachsener, der sterben will, ein quasi Verrückter, dessen Geist und Wille der Begutachtung bedürfe – jederzeit zur Verfügung stehen muß.

Wolfgang Herrndorf hat sich am 26. August 2013 gegen 23:15 Uhr am Hohenzollernkanals in Berlin erschossen. „Er zielte durch den Mund auf das Stammhirn. Das Kaliber der Waffe entsprach etwa 9 mm. […] Es dürfte einer der letzten Tage gewesen sein, an denen er noch zu der Tat imstande war.“ (Gärtner/Passig im Nachwort, S. 445)

Gerade in der aktuellen Sterbehilfedebatte wäre eine Auseinandersetzung mit konkreten Suizidmethoden und auch Tötungen auf Verlangen notwendig. Das Erschießen gehört sicherlich zu den unattraktiven Wegen, aus dem Leben zu scheiden – vor allem für diejenigen, die unfreiwillig mit dem Anblick des Tatergebnisses konfrontiert werden. Darüber hat Wolfgang Herrndorf sicherlich viel nachgedacht und diskutiert, oder?

*) 10.08.2010 (Auszug):
„Die mittlerweile gelöste Frage der Exitstrategie hat eine so durchschlagend beruhigende Wirkung auf mich, dass unklar ist, warum das nicht die Krankenkasse zahlt. Globuli ja, Bazooka nein. Schwachköpfe. […]
[Dieser Absatz fehlt in der Online-Fassung:] Die Waffe kann ich problemlos in die Hand nehmen. Trommel rausschwenken, […] .357er Smith & Wesson, unregistriert, kein Beschusszeichen. […] Eine der merkwürdigsten und schönsten Stunden meines Lebens. Anderthalb Stunden, Gespräch über Waffen und Philosophie.“

Siehe auch:
Zur Diskussion um den assistierten Suizid: Der verbotene Tod (Timo Rieg auf freitag.de)

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