Unverstand (KW 33)
+ Rasenmähender Männer muss ich mich unbedingt irgendwann noch annehmen. Vermutlich lässt sich mit der Entschlüsselung dieser Tätigkeit die halbe Welt erklären. Denn was ein richtiger Mann ist, der fuhrwerkt natürlich trotz unserer aktuell größten Trockenheit seit 50 Jahren wöchentlich mit dem Rasenmäher durch die Landschaft, auf dass die letzte Wurzel verbrennt und Deutschland gepflegt braun aussieht. Denn nichts ist dem Rasenmäherbesitzer so Dorn im Auge wie Gras über 4 cm Länge.
(Derweil ein Sohn, des Rasenmähens wie jeder anderen, nicht der eigenen Nahrungsaufnahme dienenden Tätigkeit äußerst unverdächtig, aus seiner verdunkelten Genussbude heraus behauptet, es habe doch total viel geregnet diesen Sommer, bei wetter.de hätten die immer mal wieder …)
+ Verstehen ist vor allem eine Frage des Wollens. Wenn ich mir die vielen Twitter- und Facebook-Kommentare anschaue zu einer eh schon missglückten Berichterstattung über einen Pfarrer, der angeblich Homosexualität mit Kindesmissbrauch vergleicht, sehe ich fast nirgends den Willen zu verstehen. Das beginnt ja schon damit, dass sich die meisten Zeitgenossen für ihre Urteilsbildung mit dem Material einer Überschrift begnügen – vom Lesen der Primärquelle mal ganz ab. Ein jeder schreibt und schreit nur für die eigenen Fans. Schon arg jämmerlich.
Besonders irritierend an dem “Eklat” ist, dass ausgerechnet Menschen, die beruflich Gleichnisse auslegen, mit dem Erkennen eines Vergleichs komplett überfordert sind. So sagt die zuständige Regionalbischöfin Dr. theol. Dorothea Greiner im Interview mit dem Nordbayerischen Kurier: “Ich rede nicht öffentlich über Pfarrer Weigel, bevor ich mit ihm selbst gesprochen habe. […] Allerdings ist der Vergleich sexueller Phänomene – wie er im Gemeindebriefartikel zu lesen ist – in meinen Augen unerträglich.” Immerhin phantasiebegabt ist sie – denn die “sexuellen Phänomene” hat sie sich selbst ausgedacht.
+ Kommunikation ist auch etwas anderes als die Verknüpfung diverser Newsfeeds. Aber da lacht sich Herr Facebook natürlich eins, denn Geld macht er mit seinem speziellen Unvermögen kräftig.
Fünf Minuten später darf auch ich rein. Die junge Frau steht nun mit einer Kollegin und einem Kollegen hinter dem Facebook-Empfangstresen. „Mit wem darf ich sprechen?“ Sie zuckt die Schultern: mit niemandem. Ich staune. Kafka kommt mir in den Sinn: im weltweit führenden Unternehmen für die Kommunikation zwischen Menschen im Internetzeitalter findet sich niemand (außer der Empfangsdame), der ansprechbar wäre, der mit mir kommunizieren mag? (Axel Schröder: Festung Facebook)
Korrektur: Thomas Knüwer, den ich nur ungerne zitiere, hat die Story aber wohl korrekt als Fehlleistung entlarvt. Dabei passte sie natürlich schön ins Weltbild.
+ Radfahren im NRW-Wald soll verboten werden. Der weiche Boden darf nur von Harvestern gestriegelt werden. Immerhin können in den verbleibenden Kratern Gelbbauchunken Weisheiten ausbaden. Derweil Wildschweine und Rehe das Fliegen lernen.
+ Wie wächst eigentlich Druck auf Menschen? Indem die Medien fünf Mal hintereinander vermelden, dass gerade der Druck auf jemanden kräftig wächst. Der immer lesenswerte Bundesrichter Thomas Fischer über die mediale Inszenierung des Landesverrats.
+ Was Fischers Kollegen mal lesen sollten, ist Art. 14 Abs. 2GG: “Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.” Dass Firmen meinen, ihnen gehörte Grund und Boden, von dem sie missliebige Autofahrer abschleppen dürfen und der nach Geschäftsschluss gesperrt und bewacht wird, damit da nicht etwa Kinder skaten oder Erwachsene Party machen, gehört in den Bereich des Alltagsunverstand.
+ Neben dem reinen Machtge- und missbrauch ist es vor allem eben der Unverstand, der uns Bürger so oft über Behörden entsetzt sein lässt. In Berlin erschießt ein Polizist einen Hund, von dem er sich, da er nicht angeleint war, bedroht fühlte – so ungefähr. Und was sagen schon kurz darauf Polizei und Staatsanwaltschaft? “Keine Ermittlungen“. Sie versuchen noch nichteinamal den Bürgern die Illusion zu geben, man werde im eigenen Laden so vorgehen, wie man das gegen Bürger auch wegen jedem Scheiß tut – nein. Sie sagen einfach: für uns ist alles okay, wir machen keine Fehler – so haben wir nunmal die Rollen verteilt.
Aber wehe, irgendjemand vergreift sich bei lauter Ärger über diese “Beamtenpest” (Tucholsky) im polizeizulässigen Ton.
+ Gegen zuviel Unverstand hilft, wenigstens dem eigenen Geist,: Satire.
+ Allerdings ist das Verständnis für Satire nicht gut entwickelt in Deutschland, dem Sofaland, was auch den unglaublichen Erfolg des Flachwitzerzählers Postillon möglich macht. Stefan Winterbauer jedenfalls nimmt einen – eher zufällig gefundenen – Beitrag Volker Pispers’ auseinander:
Zu Springer, so Pispers weiter, gehörten auch noch “jede Menge Fernsehzeitschriften”. Das sagte er im April 2015, obwohl Springer diese Fernsehzeitschriften da schon längst an Funke verkauft hatte. So simpel geht es zu in der Pispers-Welt, in der sowieso “alles gleichgeschaltet” ist: “Heute kann der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Nikolaus Blome, Chefredakteur beim Spiegel werden. Das wäre früher undenkbar gewesen.” Bloß, dass Blome nie Chefredakteur der Bild-Zeitung war und auch nie Chefredakteur des Spiegel.
Was Zeitbezüge angeht, sollte Winterbauer mal in seinem Meedia-Archiv schauen, ob da noch alles up to date ist. Und was die Kritik an Künstlern oder ihren Werken angeht, ist ein gewisser Kenntnisstand hilfreich. Pispers präsentiert seit Jahren in seinen Auftritten eine Mischung aus alten und neuen Texten. Alte Texte werden normalerweise nicht geändert, weil sie ohnehin im damaligen Kontext gesehen werden müssen. Deshalb gibt’s bei Volker Pispers auch gelegentlich noch die D-Mark.
Im konkreten, investigativ recherchierten Fall wäre ein Update auch völlig verkehrt. Mein Lieblingsbeispiel für Extrembegriffsstutzige: Am 9. November 1989 wurde nicht die Mauer der “ehemaligen DDR” geöffnet, sondern die der DDR.
Wann gingen Print-Titel von Springer für 920 Millionen Euro an Funke? Zum 1. Mai 2014.
Wann spielt Pispers Medien-Komplott? 2010 bis 2012.
Gehörte damals also noch “jede Menge Fernsehzeitschriften” zu Springer?
Und wer aus jedem Vorstandsvorsitzenden, Präsidenten, Präses, Regierendem Bürgermeister, Minister etc. einen “Chef” macht, der sollte doch wohl locker damit leben können, wenn in einem Satire-Stück sowohl aus einem “Mitglied der Chefredaktion” wie einem “stellvertretenden Chefredakteur” schlicht der Chefredakteur wird.
Unverstand oder einfach nur angepisstes Verhalten eines Medienmenschen, der die Deutungshoheit für Probleme aller Art und die Rollenverteilung für Gute und Böse exklusiv bei der “vierten Gewalt” sehen möchte?
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