Ethiker raten weiterhin zum ICE

uhr-tgDer Bundestag hat nun also entschieden: professionelle Sterbehilfe ist in Deutschland künftig verboten. Mit dem Gesetz werden wir einige Jahre leben und sterben müssen, – aber die Diskussion ist noch lange nicht abgeschlossen.

Zunächst ungeachtet der Regelungsdetails: das Gesetz frustriert mannigfach. Die Mehrheit in der Bevölkerung wünscht sich das Recht, Sterbehilfe in Anspruch nehmen  zu dürfen -das haben alle Umfragen gezeigt. Doch die Abgeordneten haben sich darüber hinweggesetzt.

Noch tragischer ist die Rolle der Kirchenvertreter dabei, die in ethisch-moralischen Fragen immer noch recht großen Einfluss auf die Politik haben – bzw. mit der Politik Händchen halten. (Es ist ja kein Zufall, dass der nun beschlossene Gesetzentwurf u.a. von Kerstin Griese kommt, SPD-Abgeordnete und berufenes Mitglied in der EKD-Synode.)
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat seine Linie in einem eigenen Buch klar gemacht. Auch ohne ihn an der Spitze der EKD wäre „das kirchliche Votum“ freilich klar gewesen.

Dabei wurde innerkirchliche gar nicht diskutiert! Stattdessen haben die den Landeskirchen (und Bistümern) vorstehenden Ober-Pfarrer in bester Dogmen-Tradition dekretiert. Hingegen äußern sich in den kleineren, medial und politisch unbeachteten öffentlichen Diskussionen unzählige engagierte Kirchenmitglieder  ganz anders. Entsprechend groß ist der Frust nun, dass die Mächtigen von oben herab über ihr Leben und das ihrer Angehörigen entschieden haben.
Die Kommunikationsprozesse hierzu werden sicherlich noch ausgiebiger untersucht werden, denn was vielfach als „Sternstunde des Parlamentarismus“ gesehen wurde kann man auch als „Sternstunde einer Elitenherrschaft“ sehen. Volker Jung, Kirchenpräsident und Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration in der EKD, erklärte nach dem Bundestagsbeschluss, dass die Beihilfe zum Suizid nur „in absoluten Ausnahmesituationen und nach einer intensiven Abwägung in Frage kommen kann“. In der Pressemitteilung heißt es weiter, für die evangelische Kirche bleibe es ein zentrales Anliegen, „Leben zu schützen, zu erhalten und zum Leben zu ermutigen“. Wie bei der Psychiatrisierung soll hier der Suizidwillige also gegen seinen Willen „geschützt“ werden – just vor dem, was ausschließlich die Kirchen gar nicht tragisch finden können: dem „ewigen Leben“ in einer „besseren Welt“.

In der Sache gab es für den neu geschaffenen Straftatbestand der „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ (§ 217 StGB) – womit jede professionelle Sterbehilfe erfasst ist – keine guten Gründe. Das beginnt schon mit großen Konstruktionsschwierigkeiten innerhalb des Rechts (wozu Kirchenvertreter sinnvollerweise nichts gesagt haben, aber etwa Juristen wie Prof. Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof).

Es ist juristisch nicht haltbar, die wie auch immer geartete Beihilfe zu einem nicht strafbaren Verhalten zu bestrafen. Nach dem neuen  Gesetz soll nun eine einmalige Tat (von Angehörigen) straffrei, aber eine mehrmalige Tat auf alle Fälle strafbar sein. Willkommen in der modernen Rechtsphilosophie. (Aber Juristen haben ja auch mal die „Freischussregelung“ ersonnen…)

An Argumenten Pro und Contra ist alles hinreichend ausgetauscht worden, so kompliziert ist das ja nun auch nicht. Nur eine Sache wurde bis zum bitteren  Ende gegen alle Vernunft unterschlagen: dass Sterbehilfe überhaupt nichts mit Ärzten zu tun hat! Dass es niemals um das Arzt-Patienten-Verhältnis gehen muss. Dass es daher völlig egal wäre, was die nach der Autobranche zweitstärkste Lobby in diesem Land dazu sagt – denn Sterben ist tatsächlich nicht das Geschäftsfeld von Ärzten (vielleicht von Medizinern, so wie die Rechtsmedizin ja auch nicht dem Wohl des „Patienten“ dient, sondern sich – so das Objekt der Untersuchung noch lebt – oft gegen dieses wendet) .
Genau deshalb wären ja spezialisierte Sterbebegleiter so wichtig. Fachleute eben nicht für die Lebensverlängerung, sondern für die Lebensbeendigung. Aber wenn sie könnten, würden Mediziner natürlich den Tod komplett verbieten, stellt er doch stets das Ende einer Geschäftsbeziehung dar.

Appendix
Für spätere Debatten seien hier noch einige interessante Verweise archiviert.

Letzte Freiheit! Kommentar von Evelyn Finger,
Auszug: „Jeder medizinische Laie, der erlebt hat, wie ein geliebter Mensch trotz „ausreichender“ Palliativversorgung vor Schmerzen wimmerte, jeder Arzt, der moribunde Krebspatienten behandelt, wird bezeugen: Sterben kann grausam sein, auch heute. Deshalb gibt es unserer modernen, siegesgewissen, fürs Sterbenlassen nicht gemachten Medizin zum Trotz noch den Wunsch nach Sterbehilfe.“ ( 6. November 2015, Zeit.de)

+ Ein paar Pressestimmen, gesammelt von der FR.

+ Beispielhaft für die Pathologisierung des Suizidenten: „Richtig ist, Vereinen und Ärzten das Handwerk zu legen, die ihre Aufgabe darin sehen, anderen Giftcocktails zu verabreichen – ob sie daran verdienen oder nicht. Wenn sich ein Mensch das Leben nehmen will, ist das ein Ausdruck höchster Verzweiflung und Hilflosigkeit.“ (Claudia Keller, Tagesspiegel)

+ Aufruf von über 150 Jura-Professoren gegen eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe (pdf); Pressemitteilung dazu.

+ Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht steht noch ganz am Anfang: „Ein Jahr Suizidhilfeverbot – Politiker auf dem Prüfstand“-  von Gita Neumann beim hpd. (7. November 2016)

+ Update März 2017: Das Bundesverwaltungsgericht hat nun irgendwie befunden, dass „in extremen Ausnahmesituationen“ der „Zugang zu einem Betäubungsmittel, das eine schmerzlose Selbsttötung ermöglicht“, nicht verwehrt werden darf. Das bleibt alles ein furchtbarer Kokolores, die übliche Ausübung von Herrschaft. Aber Politik wie Medien leben halt von der Besserwisserei, deshalb wird das gemeine Volk nie die Freiheit bekommen, mit sich selbst zu machen was es will.

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