“Idea” ist journalistisch unten durch
“Ein blutiges Ausrufzeichen nach der EKD-Synode“ überschrieb die evangelikale Agentur „Idea“ am Samstag einen Kommentar von Uwe Siemon-Netto. In diesem wirft er mit Blick auf die Terroranschläge in Paris Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor, die Gefahr des Islam nicht zu erkennen.
“Da konstatierte doch der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, vor seiner Synode in Berlin, dass Christen Muslime nicht zum ‘Missionsobjekt’ machen dürften; da hatte zuvor schon eine Oberkirchenrätin aus Düsseldorf [gemeint ist Barbara Rudolph – SpKr] auf die Frage nach der Aktualität des Missionsauftrages Jesu geantwortet, man dürfe den Muslimen doch jetzt nicht auch noch den Glauben wegnehmen nachdem sie auf der flucht nach Deutschland schon alles verloren hätten.”
Diese Haltung findet Siemon-Netto zum Kotzen (was er in ein bekanntes, Max Liebermann zugeschriebenes Zitat kleidet). Martin Luthers reformatorischen Ansatz “sola scriptura” macht er kurzerhand zu einem Glaubensgrundsatz der Muslime:
„Die Heilige Schrift ist der höchste Maßstab aller Lehre und Praxis. Nun ermahnt die heilige Schrift der Muslime diese aber nicht zur Feindesliebe, sondern ruft sie auf: ‘Erschlagt (die Ungläubigen), wo immer ihr auf sie stoßt’ (Sure 2, Vers 191) und: ‘So haut ein auf ihre Hälse und haut ihnen jeden Finger ab’ (Sure 8, Vers 12) […] Die Mörder von Paris haben sich an den sola-scriptura-Grundsatz gehalten […]“
Nach den Terroranschlägen müsse Schluss sein “mit dem deutschen Protestantengesäusel zum Thema Islam”. Christen sollten dem Islam ihre Bibel entgegenstellen:
“Dieses Geschütz bellt nicht wie Kanonen und tötet niemanden. Es ermahnt lediglich uns alle, auch die politisch-korrekt verwirrten Kleriker in den EKD-Gliedkirchen: ‘Gehet hin und lehret alle Völker, taufet sie im namen des Vaters und des Sohnes und es Heiligen Geistes’ (Matthäus 28,19).”
Dieser Beitrag von Siemon-Netto fand erwartbaren Zu- und Widerspruch. Besonders weit in seiner Erwiderung ging Horst Peter Pohl, evangelischer Pfarrer in Hessen: Zum einen stellte er Siemon-Netto’s Beitrag in die Nazi-Ecke, zum anderen nahm er seine „evangelikale Freundinnen und Freunde“ quasi in Sippenhaft, indem er sie verantwortlich macht für die Inhalte von Idea und sie fragt:
„seid Ihr wirklich in der braunen Ecke angekommen? Ist Euch wirklich das Gefühl für politischen und auch geschwisterlichen Anstand abhanden gekommen?
Ich schäme mich für das, was Euer Nachrichtendienst nicht nur an die Presse verteilt, sondern als ‘evangelisch’ verbreitet.
Wenn ein journalistischer (oder hier: weltanschaulicher) Kommentar zu Diskussionen führt, hat er seine wesentliche Aufgabe erfüllt. Leider wissen wir aus der Medienwirkungsforschung, dass dies nun selten geschieht, weil ein jeder in seiner Meinungsblase sitzt und nur lesen möchte, was er selbst schon so ähnlich denkt; die Bereitschaft, seine bisherige Meinung durch neue Aspekte infrage stellen zu lassen, ist keine menschliche Tugend.
Doch als die Diskussion über den Idea-Kommentar gerade in die Gänge kommt, begeht die Wetzlarer Glaubensagentur ein Sakrileg: Am Montagmittag (16.11.2015) nimmt Idea Siemon-Netto’s Beitrag aus dem Netz, löscht den eigenen Facebook-Post dazu – und zusätzlich alle kritischen Anfragen und Stellungnahmen auf der eigenen Facebook-Seite. Gut 20 Stunden lang äußert sich die Agentur nicht zu diesem völlig unprofessionellen Verhalten. Erst am Dienstagvormittag dann folgender Eintrag:
idea hat einen Kommentar des Theologen und Journalisten Dr. Uwe Siemon-Netto veröffentlicht. Der Beitrag hätte in dieser Form nicht publiziert werden dürfen. Dafür entschuldige ich mich!
Ich habe veranlasst, dass dieser Kommentar nicht in ideaSpektrum veröffentlicht und aus dem Netz genommen wird. Er ist leider in seiner Wortwahl und in seinem Vergleich unangemessen und falsch.
Helmut Matthies, Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar)
Der Pressesprecher der EKHN, Volker Rahn, kommentierte dies mit den Worten: „Einsicht ist ein guter Weg. Gerade am Tag vor Buß- und Bettag. Das macht Hoffnung.“
Doch einen Beitrag zu löschen hat wenig mit Einsicht zu tun (entspricht aber durchaus kirchenleitenden Vorstellungen von PR-Hygiene), zumal in diesem Fall: Siemon-Netto’s Beitrag darf man beliebig doof finden – dass er hätte „nicht publiziert werden dürfen“ ist geradezu grotesk, journalistisch jedenfalls nicht haltbar und aus dem Hause Idea zudem unglaubwürdig. Denn was der nicht-ordinierte Theologe aus den USA da schreibt, ist letztlich sattsam bekannt, auf die mutmaßlich islamistischen Terroranschläge in Paris mit einem „Da habt ihr’s“ zu reagieren war rhetorisch sehr naheliegend. Der evangelikale Prediger macht auch nicht die EKD in irgendeiner Form für die Anschläge verantwortlich – er widerspricht nur sehr deutlich theologischen Positionen aus der EKD-Synode (was für Freikirchlicher zum Tagesgeschäft gehört – natürlich finden diese Landeskirchlicher luschig).
Einen Online-Beitrag zu löschen schafft ihn nicht aus der Welt. Natürlich war er zunächst noch im Google Cache, außerdem hatten ihn bereits andere Websites übernommen (ob zulässig oder nicht); gespeichert sein dürfte er auf vielen Rechnern.
Mit dem „Depublizieren“ hat Idea aber auch die bis dahin aktive Diskussion aus dem Netz genommen – medienethisch ein No-Go, denn es ist eine Missachtung der Leserbeiträge. Wer mit einem Kommentar provozieren will, muss das Feedback nicht nur aushalten, sondern auch verarbeiten, als Nachrichtenagentur natürlich publizistisch. Dass der Schritt nicht zuvor mit dem Autor besprochen wurde, ist mehr als nur unhöflich.
Das Unding einer digitalen „Löschung“ wird immer deutlich, wenn man es auf die Printwelt überträgt: was müsste passiert sein, damit eine Nachrichtenagentur einen Beitrag rund 45 Stunden nach Veröffentlichung zurückruft, aus Zeitungen wieder ausschneidet, die Auflage einstampft oder wie auch immer? Im Internet wirkt es so einfach: offline setzen, weg ist die Chose. Ja denkste!
Im vorliegenden Fall wäre eine Löschung des Beitrags allenfalls dann akzeptabel, wenn Helmut Matthies deutlich benannt hätte, WAS an dem Kommentar unmöglich war, von welchen Seiten (LOBBYGRUPPEN) es dazu nicht-öffentliche Forderungen des Depublizierens gab (EKD und EKiR vermutlich, andere? [Update unten: *], was DER AUTOR selbst dazu sagt und wie man in Zukunft bei Idea so VERANTWORTLICH arbeiten will, dass neuerliche Versuche, Publizistik ungeschehen zu machen, unterbleiben können. Als Bonustrack hätte Matthies verraten müssen, warum auf der Idea-Facebookseite Anfragen und Stellungnahmen gelöscht worden sind und seit heute gar keine Möglichkeit mehr besteht, an die Pinnwand zu schreiben (was ja eine so grundlegende Änderung der Kommunikationsstrategie in einem Netzwerk ist, dass sie wohl kaum mit einem einzigen Artikel bzw. den wenigen Reaktionen darauf erklärt werden kann).
Idea-Leiter Matthies hat dies alles jedoch nicht erklärt. (Und es sei daran erinnert, dass erst vor fünf Monaten das im selben Haus residierende „christliche medienmagazin“ Pro, Verbandsorgan der ehemaligen „Konferenz evangelikaler Publizisten“, einen Kommentar von Siemon-Netto aus dem Netz genommen hat.)
Es ist jedenfalls keine kleine Facebook-Posse, was sich Idea gerade leistet. Die Kommunikation mit Kunden, Lesern, externen Fachleuten etc. über einen Kanal wie Facebook ist längst unabdingbar für Journalisten. Eine Agentur, die diesen Kanal willkürlich kappt, die zeigt, dass sie mit Kritik, ja schon mit Anfragen nicht umgehen kann, kann und darf journalistisch nicht mehr ernst genommen werden. Die Forderung, Idea die Kirchensubvention zu streichen, steht schon im Raum. Wichtiger allerdings ist, einem solchen Dienst die Aufmerksamkeit zu entziehen: Idea nicht mehr zu lesen, auf Anfragen nicht mehr zu reagieren, sich als „Fan“ der Facebookseite abzumelden, keine Links auf Beiträge zu setzen, sich über Beiträge nicht mehr zu ereifern, kurz: Idea wirklich sich selbst zu überlassen.
Denn dank der digitalen Vielfalt verschließt man sich heute nicht mehr anderen Ansichten, nur weil man eine Nachrichtenquelle ignoriert. Auch Siemon-Netto wird uns weiterhin begegnen, ob wir wollen oder nicht.
Updates
*=Laut Siemon-Netto kam die von mir herbeispekulierte Drohung von Irmgard Schwätzer selbst, der Präses der EKD-Synode. Das wäre dann Wulff-Dilettantismus. Idea Redaktionsleiter Matthies bestreitet dies allerdings:
In der Formulierung widerspricht Matthies aber nicht der Darstellung, “die EKD” habe sich in irgendeiner Form und Person bei ihm gemeldet. Auch hier spricht seine Ungenauigkeit allen journalistischen Anforderungen hohn. Eine Anfrage bei der EKD-Pressestelle ist bisher noch unbeantwortet. ergab bisher den wenig hilfreichen Kommentar, Siemon-Nettos Darstellung sei “keinesfalls zutreffend” – womit aber völlig offen bleibt, was vorgefallen sein soll. Schleißlich dementieren weder EKD-Pressesprecher Carsten Splitt noch Idea-Redaktionsleiter Helmut Matthies, dass sich ein Kirchenvertreter an die Nachrichtenagentur gewandt hat. Und aus meiner reichhaltigen und über Jahrzehnte gesammelten Erfahrung muss ich sagen: es wäre ein Wunder, wenn die EKD nicht interveniert hätte.
Update 21.11.2015
Da inzwischen an sehr vielen Stellen (meist recht kleine) Diskussionen laufen, nochmal deutlich zu meiner Position:
- Wie Idea mit einem bereits veröffentlichten Artikel umgegangen ist, ist einer journalistischen Redaktion unwürdig. Ich verwende mich dabei keineswegs für den Inhalt des Artikels von Siemon-Netto (der mir schlicht egal ist, ich bin nur über die Löschung auf ihn aufmerksam geworden). Wie Redaktionen vor einer Publikation entscheiden, bekommen die Rezipienten normalerweise nicht mit. Wenn eine Redaktion aber ein journalistisches Angebot nach zwei Tagen zurückzieht, muss dies transparent geschehen, nachvollziehbar bzw. diskutierbar. Bei diesem Punkt geht es also nur ums Handwerkszeug.
- Dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die EKD hinter dem angeblichen Sinneswandel steckt ist ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit, wie auf spiegelkritik.de dargelegt.
- Das Kirchenleitende hinter den Kulissen auf Veröffentlichungen Einfluss nehmen ist kein herbeifantasierter Skandal, sondern nach meiner Erfahrung sehr schlechter aber weithin gepflegter Stils, der Kirche als Institution beschädigt. Man darf davon ausgehen, dass Irmgard Schwaetzer und andere sich nicht über die Gewaltbeurteilung im Islam echauffiert haben (Idea ist voll davon!), sondern über die “zunickenden EKD-Quietisten” und “die politisch-korrekt verwirrten Kleriker in den EKD-Gliedkirchen “. Kirchenleute können weit weniger als Beleidung empfinden. Mit Meinungsfreiheit haben sie noch mehr Probleme als mit der Pressefreiheit. Dies ist aber dann ein innerkirchliches Thema.
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