Schafft den Beleidigungsparagraphen ab
„Ich hätte es natürlich auch nicht gerne, dass man mich öffentlich beleidigt“ – so lautet das Problem mit der juristischen Ehr-Konstruktion. Es ist kein demokratischer Fortschritt, wenn der spezielle Passus der „Majestätsbeleidigung“ (§ 103 StGB) demnächst wie angekündigt gestrichen wird. Denn die Beleidigung soll strafbar bleiben (§ 185 StGB) – und über die Konstruktion des „Allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ kann sie vor allem auch zivilrechtlich geahndet werden. Dabei ist jede Beleidigung, die ohne eine „Tätlichkeit“ erfolgt, nichts anderes als eine Meinungsäußerung: eine Missfallens- oder Unmutsbekundung, meinetwegen auch ein verbales oder gestisches Erbrechen, jedenfalls eine Gefühlsäußerung, die nichts anders tut, als einem einzelnen, einer Gruppe oder der Öffentlichkeit eine persönliche Einschätzung mitzuteilen. Bedeutung erlangt sie genau in dem Maße, in dem ihr andere Bedeutung zumessen – ihre Wirkmächtigkeit liegt also gerade nicht in der Hand des „Täters“, sondern in der Erregungsfreude des Objektes und der Öffentlichkeit. Wie grotesk das ist, zeigt die Novelle „Professor Unrat“ von Heinrich Mann (und ihre Rezeption): Lehrer Raat weiß, wie sehr seine Schüler ihn verspotten und dass sie ihn „Professor Unrat“ (für die jüngeren Leser: Unrat = Schmutz, Müll) nennen, doch sanktionieren kann er dies nur, wenn er ihnen beweisen kann, dass sie mit „Unrat“ ihn, den Professor Raat, meinen. Nicht die Beleidigung, sondern die allgemeine Akzeptanz des Beleidigtseins zieht sich als Blut- und Tränenspur durch die Geschichte, von der Rache über den Ehrenmord bis zum militärischen Vergeltungsschlag. Dabei sollte für die Beleidigung gelten, was für jede Kritik gilt: sie trifft nur, wenn sie zutrifft.
Ein kurzes Gedicht von Satiriker Jan Böhmermann sorgt seit zwei Wochen für eine öffentliche, inzwischen internationale Diskussion, ob es sich bei seiner Fernsehdarbietung um Satire (= Kunst = eigentlich frei = erlaubt) oder (auch) um Beleidigung („Schmähkritik“ = verboten) handelt. Dabei ist der Maßstab meist sehr unverhohlen ausschließlich die persönliche Empfindung (Bernd Gäbler, ehemaliger GF des Grimme-Instituts : „Es war, wenn man so will, keine Satire; es war schlecht, es war unter seinem Niveau, es war nicht pfiffig, es war nicht schlau“).
Dass Böhmermann keine „unwahren Tatsachenbehauptungen“ aufgestellt hat, ist offenbar unstrittig – sonst redeten wir nicht über Beleidigung, sondern von „übler Nachrede“ (§ 186 StGB), eher wohl noch von „Verleumdung“ (§ 187 StGB, weil Jan Böhmermann wohl zumindest einen Teil seiner künstlerischen Fiktionen selbst für tatsächlich unzutreffend hält). Über andere Unwahres zu verbreiten kann man zurecht sanktionieren – aber Meinungsäußerungen doch nicht!
Im konkreten Fall werden sicherlich selbst die beteiligten Juristen nicht die Erkenntnis vertreten, Böhmermann halte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für einen Ziegen begehrenden Homosexuellen. Man wird ihm weder falsche Tatsachenbehauptungen vorwerfen noch eine illegitime Meinung (weil Meinungen ja qua Definition in einer Demokratie frei sein müssen), sondern es wird um die abstrakte Tat der Beleidigung gehen: um das, was andere aus Böhmermanns Beitrag gemacht haben. Und als Rettungsanker steht evtl. die Kunst parat.
Diese Absurdität steht im deutschen Recht nicht solitär. So wird auch der zuletzt oft im Zusammenhang mit „islamistischem Terror“ zitierte Straftatbestand der „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ (§ 166 StGB) gerade an der Reaktion anderer dingfest gemacht: Nicht die „Gotteslästerung“ ist strafbar, sondern die damit ggf. verbundene „Störung des öffentlichen Friedens“. Nimmt der öffentliche Frieden keinen Schaden, ist Blasphemie in Ordnung.
Welche Gefahr drohte, wenn die spezifische Ahndung einer Meinung als Beleidigung unmöglich würde, wenn Beleidigung reine Privatsache würde? Muss man sich wirklich davor fürchten, aus jedem Fenster würde künftig „Arschloch“ gebrüllt, nur weil Straf- und Zivilrecht den Vorgang ignorierten?
Seit über zwei Wochen diskutieren auch Juristen aller Couleur, ob Böhmermann Kunst, ein Vergehen oder gar ein Verbrechen geliefert habe. Schon alleine diese Rechtsunsicherheit spricht für die Verbannung des Straftatbestands der Beleidigung ins Museum vordemokratischer Obrigkeitsstaaten.
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