Demokratie-Satire oder Satire-Demokratie

Mehr-Demokratie-Abstimmung-2+ Der Verein „Mehr Demokratie NRW“ kommuniziert nicht so viel mit anderes Denkenden, wie jeder gute Missionar setzt er auf Sendung, nicht Empfang von Botschaften. Deshalb blieb meine Frage, ob es sich bei dieser Abstimmung um Satire handeln sollte, auch unbeantwortet – und ich gehe einfach mal davon aus: ja, es war eine gelungene Persiflage auf ahnungslose Wähler, Twitter-Leser übe ein Buch abstimmen zu lassen, das kaum jemand von ihnen bisher gelesen haben konnte. Denn genau das kritisieren ja Reybrouck und andere an Wahlen und Volksabstimmungen: dass uninformiert Daumen rauf oder runter gezeigt wird.

+ Einem weiteren Satirestreich bin ich bei „Demokratie Plus“ auf die Schlichte gekommen. Da fordert Nicol Ljubic Zwangsliebe zu Parteien – und der Verkupplung soll ein Pflichtpraktikum dienen. Wörtlich:

Ich bin überzeugt davon, dass es der Demokratie gut tun würde, wenn Kinder und Jugendliche ein Bewusstsein dafür bekämen, was es bedeutet, sich demokratisch zu beteiligen. Demokratie muss erfahrbar werden. Ich plädiere für ein Praktikum in einer Partei und zwar als Pflicht. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet die Menschen, die sich tagtäglich für die Demokratie verdingen und Demokraten im wahrsten Sinne des Wortes sind, so wenig wertgeschätzt werden.

Wer „Kinder und Jugendliche“der Gegenwart etwas besser kennt, wird den Charme dieser parteienzersetzenden Idee erahnen können.
Leider gibt es kaum noch irgendwo das morgendliche Schulgebet wie einst an meiner humanistischen Bildungsstätte. Denn da könnten die Berufspolitiker preisgünstig und weihevoll wertgeschätzt werden, in der täglichen Fürbitte („gibt ihnen Verstand… Einsicht… Herz…“) .

+ Ein bisher auf diesem Kunstgebiet wenig beachteter Satiriker in Sachen Demokratie ist Alexander Görlach, meine persönliche Neuentdeckung des bisherigen Jahres. Denn bis dato hielt ich Görlach nur für einen langweiligen Intellektuellen, der sich seine Krawattenwelt zurecht träumt und davon auch noch leben kann. Doch nun hat er eine fulminante Satire auf genau diese intellektuelle Drögheit geschrieben:

Die aktuell tiefste Krise der europäischen Demokratie scheint daher bei ihren Bürgern zu liegen. Viele Menschen sind aus Angst vor Zuwanderung und Furcht vor dem Islam blind für Argumente geworden. Die Frage drängt sich auf, ob sich die Demokratie nicht selbst suspendiert für die Zeit, in der das Wahlvolk nicht in der Lage ist, klar zu denken. Die Bewohner des Kontinents sind Bürger und nicht Konsumenten. Sie sind aufgerufen teilzuhaben, ihre Bürgerpflicht wahrzunehmen und ihre Bürgerrechte in Anspruch zu nehmen.

Görlach spielt in der Verkleidung des Priesters Psycho-Doktor und klopft das verehrte Publikum auf seinen Geisteszustand hin ab. Befund: wahlschwachmat. Also Wahllokal absperren und den Patienten zur Besserung in den Keller schicken. Mit Görlachs Worten:

Die Europäische Union hat kein Elitenproblem, sondern ein Problem mit ihrer vor allem in Westeuropa durchsedierten, konsumgeilen und apathischen Bevölkerung.

Der Typ ist grandios – trotz seines bezaubernden Aussehens. Ich nehme ihn in die morgendlichen Fürbitten auf.

+ Lesehinweise in Blogs sind out, seit die „sozialen Netzwerke“ davon überquellen. Egal, es dient ja auch mir selbst als Archiv: Bundesrichter Thomas Fischer ist einfach ein begnadeter Autor.

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