Die herrschende Klasse will keine Demokratie

Das kollektive Entsetzen der herrschenden Klasse über den Ausgang der US-Präsidentenwahl hält nun schon seit Tagen an, ist also nicht mehr als Affekt abzutun. eigentlich bin ich sprachlos ob dieses intellektuellen Scheiterns, daher notiere ich nur einzelne Gedanken dazu:

* Wenn eine herrschende Klasse meint, das Ergebnis einer Wahl bereits vorab zu kennen bzw. den zulässigen Ausgang festlegen zu dürfen, dann sollte man sich den Wahlzirkus schenken. Oder anders gesprochen: wie kann man eine Abstimmung für demokratisch halten, wenn man nur ein Ergebnis für denkbar hält – wie das im Falle der Präsidentenwahl nun Publizist um Publizist, Politiker um Politik bekennt?

* Alles Klagen über das Wahlergebnis ist Bekenntnis zum Führertum: man will keine Demokratie, in der Besserwisser und Dummdödel gleichberechtigt sind, sondern eine Aristokratie, eben eine herrschende Klasse, zu der man nicht mehr nur durch Geburt gehören kann, sondern auch durch schleimkräftige Anbiederung.
(In diese Richtung gehen übrigens auch alle in Deutschland vorgetragenen Bedenken gegen Volksentscheide auf Bundesebene, Abstimmungen über EU-Verträge etc. – das Volk soll ob seiner Unzulänglichkeit nicht entscheiden, das regeln die „Experten“.)

* Es ist allerdings keine neue Erkenntnis, dass Wahlen nicht eingeführt wurden, um den Mehrheitswillen der Bevölkerung umzusetzen. Sehr gut erklärt nachzulesen u.a. bei David Van Reybrouck: „Gegen Wahlen„.

* Es ist mir völlig schleierhaft, in welcher Rolle sich Politikjournalisten sehen. De facto machen sie fortlaufend PR für bestimmte politische Positionen. Dass Ergebnisse von Wahlen und Abstimmungen schlichte Fakten sind, die mithin die weitere Arbeit bestimmen müssten, kommt ihnen nicht in den Sinn. Wie schon beim „Brexit“, Referenden zur EU-Verfassung, dem kurzzeitigen Nein der Wallonen zu CETA wird auch die Wahlentscheidung der Amerikaner schlicht für ein Fehler gehalten – und als solcher behandelt. Es sind Dinge, die nicht passieren dürfen und gegen die der Politikjournalismus im Verein mit Politik und Wirtschaft anzugehen sich berufen fühlt. Dass sich dann viele Menschen von den Medien verschaukelt fühlen, kann niemanden wundern.

* Die Wahl von Trump ist ein Problem des demokratischen Systems. Und die Diskussionen um seine Wahl sind ein Problem des demokratischen Verständnisses. Wir haben ein massives systematisches Problem mit der repräsentativen Parteiendemokratie – in allen sog. demokratischen Ländern dieser Erde. Allerdings wird dieses Problem nur thematisiert, wenn einem das Ergebnis nicht passt – und dann sind der Einfachheit halber die Wähler schuld (diese egoistischen, rassistischen, unaufgeklärten, populistisch verführten Bürger).

* Es gab großes Entsetzen und bissige Kommentierung, als Donald Trump im Wahlkampf sagte, er behalte sich vor, gegen ein fragwürdiges Wahlergebnis juristisch vorzugehen, was wohl hieß: eine Neuauszählung zu beantragen, wie das in der Vergangenheit ja schon vorkam. Ein Kandidat sei demokratisch nicht tragbar, wenn er schon vor der Wahl an ihr zweifle, wenn ihm das Ergebnis nicht passe – so die nachvollziehbare Kritik. Doch was ist seit dem Wahlausgang in Medien weltweit en vogue? Das Wahlergebnis anzuzweifeln, es zu ignorieren, es zu verspotten, sich der Bürger-Entscheidung zu entziehen: „Not my president“ skandieren die Unterlegenen, es gibt Aufrufe, die Wahlmänner sollten anders abstimmen, als es das Wahlergebnis von ihnen verlangt, vor allem aber wird der künftige Präsident weiter verspottet.
Soll das demokratisches Benehmen sein? Auch hier gilt: Man hatte VORHER genügend Zeit, über alles zu diskutieren. Man kann vorher sagen: wir sagen die Wahl ab, weil wir Angst vorm Ergebnis haben. Wir entmündigen die Bürger (ist ja gerade auch en vogue, unübertroffen Alexander Görlach, der bis heute durch kein ärztliches Attest annulliert von sich gab: „Die Frage drängt sich auf, ob sich die Demokratie nicht selbst suspendiert für die Zeit, in der das Wahlvolk nicht in der Lage ist, klar zu denken“).

* Besonders drollig ist die Feststellung, nicht die Mehrheit der wahlberechtigten Amerikaner habe Trump gewählt, sondern nur eine Minderheit: So kommen die Regierungen in Deutschland auch meist zustande! Aber bei deutschen Wahlergebnissen werden die Nichtwähler gescholten – im US-Fall nun die Wähler. Dort wie hier gibt es kein Beteiligungsquorum: die Mehrheit kann die Kandidaten nicht verhindern, sie stimmt entweder für einen von ihnen oder sie wird komplett ignoriert. Nein-Stimmen gibt es leider nicht.

* Es gab nicht nur zwei Bewerber für das Präsidentenamt. Je nach Bundesstaat standen über 20 Kandidatenpaare (Präsident + Vizepräsident) zur Auswahl. Doch die deutsche Kommentierung sprach ungeniert von der Wahl zwischen Pest und Cholera – bei der man sich natürlich für die Pest Hillary Clinton entscheiden müsse. Sollte nicht, wer das auch nur im Ansatz ernst meint, alle (Recherche-)Energie in Alternativen zu einem Wahlsystem stecken, das ein solch katastrophales Szenario möglich macht? (Wobei man dann auch feststellen könnte, dass die Auswahl in Deutschland nicht größer ist – wir haben regelmäßig auch nur zwei Herrscher im Angebot, die wir allerdings nicht einmal selbst bestimmen können, weder durch eine Vorwahl wie in den USA noch durch eine Direktwahl wie in den USA.

* Die Berichterstattung hat jede Form des Fairplay verlassen. Für alle Kommentierungen, Zoten, Witze, Karikaturen sollte gelten: gleiches Recht für alle. Aber weit gefehlt. Trump darf man an seinem äußeren Erscheinungsbild bewerten, es gehört gerade zu den Spielregeln, keinen noch so billigen Gag über seine Frisur auszulassen. Irre darf man ihn nennen, und prominente Journalisten, die bei jeder mutmaßlichen Diskriminierung das HB-Männchen machen, posten Klopapierrollen mit Trump-Konterfei.


Man muss nicht daran erinnern, dass in anderen Zusammenhängen bereits ein Blick zur Staatsaffäre taugt, – und Politiker bei jeder Gelegenheit mehr Respekt von den „Wutbürgern“ fordern.

* Wie bei der Kommentierung des „Brexit“ ist es eine unglaubliche Anmaßung von Politikern und Journalisten, besser wissen zu wollen, was „gut für die Bevölkerung“ ist. Sie verweigern sich konsequent der Einsicht, dass sie eben zu einer gemeinsamen Klasse gehören, die mit den meisten Bürgern nichts zu tun hat. Politiker und Politikjournalisten leben von einander, sie arbeiten Hand in Hand, und sie haben daher zwangsläufig gemeinsame Interessen der Herrscher gegenüber den Beherrschten. Dazu muss man nicht „Lügenpresse“ rufen und keine Verschwörungstheorie bemühen, es ist ein simples, zigfach fachlich beschriebenes Geschäftsmodell.

* Weder Hillary Clinton noch Donald Trump können die amerikanischen Bürger authentisch repräsentieren – sie gehören ja beide zur Geld- und Machtelite und sind von den Bürgern unendlich weit entfernt. 60 Millionen Wähler trauen Trump die bessere Show zu – oder hält ihn wirklich nur für das geringere Übel. So oder so: wenn man solche demokratischen Entscheidungen nicht akzeptieren will, muss man das VORHER sagen und eben solche Wahlen abschaffen.

* Dass Trump mehr Wahlmänner hat als Clinton, obwohl er etwas weniger Wählerstimmen erhielt, ist übrigens kein Fehler im System, sondern gewolltwie die Verzerrungen im deutschen Bundesrat etwa, wie das Ständemehr in der Schweiz… Interessante Grafik dazu übrigens (die allerdings auch nicht deutlich macht, dass die absichtlichen Wahlverweigerer wie immer unberücksichtigt bleiben, obwohl sie doch sogar nach deutscher lesart das einzig richtige getan haben, nämlich weder Pest noch Cholera zu wählen…):

* Demonstrationen sind natürlich zu jeder Zeit zulässig. Aber wenn jetzt massiv Trump-Gegner auf die Straße gehen und – ja was eigentlich: die Wahl annullieren wollen? – dann ist das die Aufkündigung der Wahldemokratie. Jeder Unterlegene hat dann das Recht, das Wahlergebnis für sich nicht anzuerkennen. Bislang nannte man solche Menschen „Reichsbürger“.

* Ceterum censeo: eine grundlegende Reform des demokratischen Systems ist überfällig. Den Begriff „Populismus“ kann man dann übrigens ins Archiv räumen.

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