Erfundenes Eigentum

Ein 4-Minuten-Kommentar kann wohl nur ganz selten vorhandene Meinungen ändern. weil das Format eben nur Platz für einige wenige Ausführungen lässt und vom Leser oder Hörer verlangt, genau hinzuhören, die Begriffe richtig zu interpretieren, den vorgetragenen Gedanken einmal zu folgen (ohne sich diese zu eigen zu machen natürlich). Überhaupt halbwegs richtig verstanden zu werden erscheint mir fast unmöglich, wenn jemand schon eine Meinung hat oder mit dem ersten Stichwort andere Assoziationen herstellt als der Autor. Das kennt jeder aus politischen Debatten.
Kommentare sollen auch gar nicht die Meinung von Menschen ändern. Sie sollten im besten Fall ein Denkanstoß sein, zeigen, wie man eine Sache sehen kann. Das kann selbstverständlich immer auch die gegenteilige Meinung bestärken, die Argumentation dafür verfeinern. Zumindest journalistische Kommentatoren sollten keine Ideologen sein.

So verstehe ich jedenfalls meine kleinen Beiträge auf dem Gebiet. Anlässlich meines aktuellen Feuilleton-Beitrags zum Wohngipfel und den – ehrlich gesagt erwarteten – Reaktionen dazu möchte ich drei grundsätzliche und einige thematische Anmerkungen machen.

[1] Da ist zunächst der Umgang der Rezipienten mit dem Autor. Es erstaunt mich doch noch immer wieder, mit welcher Chuzpe einzelne schicht- oder milieuübergreifend uns Autoren für Volltrottel halten. Es fehlt regelmäßig jeder Anflug von Ahnung, dass man sich als Journalist beruflich in kommerziellen Nachrichtenmedien erst dann zu einem Thema äußert, wenn man dazu hinreichend recherchiert hat. Aber die Unterstellung totaler Ahnungslosigkeit gehört zum Standardrepertoire giftiger User. Als ich einmal die Demokratisierung der Deutschen Bahn gefordert habe, wurde mir natürlich von den meisten Kontrahenten unterstellt, ich hätte wohl noch nie einen Zug von innen gesehen, sei allenfalls der typische Gelegenheitsfahrer, der einen Einzelfall für den Normalfall hält. Bei dieser Unterstellung ist dann selbstredend jedes inhaltliche Argument verloren. Noch doller wird es, wenn man über ein Thema spricht, von dem nun die Leser, Zuschauer, Hörer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts verstehen, weil es sehr speziell ist. Das hindert einig dennoch nicht, dem Autor Schwachsinn zu attestieren (wie ich das z.B. bei meinem Spezialthema “aleatorische Demokratie” regelmäßig erlebe).
Es fehlt also oft das positive Vorurteil, der Autor werde schon Ahnung von seinem Thema haben. Natürlich darf man das am Ende des Beitrags revidieren (wenn man selbst genug Ahnung hat bzw. Anhaltspunkte, warum der Autor schlecht oder falsch argumentiert haben soll).

[2] Davon leitet sich das zweite Grundproblem ab: es fehlt eben vielen die Bereitschaft, sich mal auf eine andere Meinung als die eigene einzulassen. Entsprechend hört und liest man, was man hören und lesen will – ein schon sehr lange bekanntes Phänomen, das im Internet verschärft auftritt, weil nur noch Schlagzeilen, Teaser, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate mit halbem Ohr oder zugekniffenen Augen wahrgenommen und als Vorlage für die eigene Meinungsbekundung werden.
Es macht aber leider alle Versuche einer sachlichen Diskussion kaputt.

[3] Und ein drittes Grundproblem möchte ich benennen: die Erwartung, ein Beitrag berücksichtige alle denkbaren Aspekte, insbesondere natürlich all jene Sonder- und Spezialfälle, die dem einzelnen Rezipienten gerade durch den Kopf gehen. Fehlt auch nur ein Aspekt davon, kann der Beitrag als völlig ungenügend abgetan werden. Auch dieses Problem kennen wir aus der Alltagskommunikation: Ich, ich, ich, – alles andere zählt nicht. Mein Erlebnis, mein Empfinden, meine Situation – wer das nicht berücksichtigt, ist raus.

Und damit zum aktuellen Beitrag “Den Wohngipfel kann Seehofer sich schenken“.
Die Kernprovokation sah die Online-Redaktion von Deutschlandfunk Kultur natürlich in dem Satz: “Jeder Cent, den ein Vermieter oder Verkäufer von Wohnraum verdient, ist schon genau dieser Cent zu viel.”
Das könnte man mit entsprechend Platz natürlich mit beliebig vielen Beispielen illustrieren, die letztlich alle darauf hinausliefen, dass die Geschäftsmodelle von gutem Verkäufer und bösem Spekulanten auf derselben Fiktion beruhen: der Behauptung von Eigentum an Grund und Boden sowie den ggf. darauf befindlichen Dingen.
Leider haben zahlreiche Internet-Kommentatoren den Unterschied zwischen Einnahmen (Umsatz) und Verdienst nicht verstanden oder zumindest hier nicht wahrgenommen. Ich habe nicht gefordert, dass ein Hausbesitzer sein an anderer Stelle verdientes Geld in die Einliegerwohnung stecken soll, damit dort ein Student kostenlos wohnen kann. Er soll daran nur nichts verdienen. Verdienst ist das, was für die Einkommenssteuerberechnung des Finanzamtes relevant ist.
Wer nicht weiß, was Verdienst ist, kann natürlich meinen Beitrag überhaupt nicht verstehen. Und weil es eben an der positiven Unterstellung fehlt, der Autor habe vielleicht nicht nur Blödsinn zusammengedichtet, bleibt das Hinterfragen der eigenen Interpretation aus und der Autor wird öffentlich als doof dargestellt, was freilich Applaus gibt von denen, die genauso wenig verstanden haben (weil zahlreiche die diskutierten Beiträge erst gar nicht zur Kenntnis nehmen, sondern direkt mit der eigenen Kommentierung beginnen).
Dass es sich bei meiner Cent-Angabe um eine bewusste Zuspitzung, eine rhetorische Übertreibung handeln könnte, sollte wenigstens erwogen werden.

Beispiel 1 von Facebook:

Sebastian von Jena was für ein Schwachsinn! … in der DDR z.B. war die Miete in den herrlichsten Altbauten so gering, dass private Eigentümer und selbst Mieter alles in Eigenleistung erbringen mussten, um die Häuser einigermaßen zu erhalten. Das Fazit war, dass der private Hausbesitz nur mit Ärger und riesigen Aufwand verbunden war und viele alte Häuser den Verfall preisgegeben waren.
Die Sanierung und der Erhalt war erst durch Rückkehr zur privaten Wohnwirtschaft möglich.

Ich habe allerdings mit keinem Wort gesagt, dass Mieten niedriger sein sollten, als es zum Erhalt der Immobilie notwendig ist. Das wäre auch etwas strange – und sollte bei echtem Diskussionsinteresse zu einem zweiten Nachdenken führen, ob man wohl alles richtig verstanden habe. Einfacher ist natürlich, ein “Schwachsinn!” herauszubrüllen.

Beispiel 2:

Tobias Reimann Klar, ich muss für mehrere hunderttausend Euro Wohnraum schaffen und instandhalten, ihn aus eigener Tasche abbezahlen und ihn kostenfrei anderen zur Verfügung stellen. Geht es eigentlich noch bescheuerter?

Ob es noch bescheuerter geht, hängt von der Fähigkeit ab, Dinge zu erfinden, die der Autor gar nicht gesagt und auch nicht gemeint hat. Da ist, um die Frage zu beantworten, sicherlich noch Luft nach oben.

Ein anderer Typ der Kommentierung betrifft das oben benannte dritte Grundproblem.

Philipp Le Dann, Herr Diplom-Biologe, erklären Sie mir mal, wie man anders als mit Profitaussicht Anreize zur Investition in Wohnraum schaffen kann.

Die Frage ist absolut zulässig (wenn ihre Formulierung auch die Behauptung trägt, man könne dazu nichts sagen). Aber es sollte auffallen, dass ich keine einzige Ausführung zu Alternativen einer privaten Immobilienwirtschaft gemacht habe. Der Grund ist, dass es sehr viele interessante Ideen gibt, von denen sehr viele zumindest intensiver getestet werden sollten und vermutlich auch viele parallel existieren könnten. Mit meinem Satz “Was es hingegen braucht, ist ein Wohnraummanagement, das neben der sozialen Frage unter anderem auch die ökologische erkennt” sollte angedeutet sein, dass es natürlich zig Dinge zu regeln gibt, die aber nicht nur den Rahmen meines Kommentars völlig sprengen würden, sondern die tatsächlich auch zu komplex sind, um im Alleingang den Heilsweg zu ersinnen. Hier wäre es hilfreich, wenn User-Kommentatoren ein wenig über den Autoren wüssten, zumal wenn sie mit einer winzigen Info aus der Kurzbiografie arbeiten. Kurz: wer meine Publikationen zur Demokratie kennt, weiß, dass ich stets für deliberative Entscheidungsprozesse bin. Ich maße mir gerade nicht an, zu auch nur einem einzigen Gesellschaftsthema die perfekte Lösung zu kennen, den allein richtigen Weg.

Ich will die Frage trotzdem beantworten.
Der Anreiz sollte eben nicht der finanzielle Gewinn sein, sondern das gute Wohnen. Das kann und soll keinen privaten Investor dieser Welt interessieren. Aber eine viel bedeutsamere Gruppe interessiert gutes Wohnen sehr: die Menschen, die irgendwo wohnen wollen bzw. bereits wohnen. Es ist ja gerade das Absurde, Dritte den Wohnraum für sie gestalten zu lassen (deshalb mein Satz: “Kein Mieter braucht einen Vermieter…”). Es gibt viele erprobte Modelle, wie Mieter ihr Mehrfamilienhaus, ihren Block selbst verwalten (lassen) können, ohne dass es dafür einen Lehnsherren bräuchte. Aber es sind u.a. von der Politik geschaffene Bankgesetze, die verhindern, dass eine Mietergemeinschaft ihr zum Verkauf anstehendes Haus selbst übernimmt (weil sie ohne Eigenkapital keinen Kredit bekommen). Ebenso könnten sich Interessenten zusammenschließen, um Häuser zu bauen, und an den nötigen Krediten müsste auch nicht die private “Finanzwirtschaft” verdienen. Aber dies nur als Stichwort, dass es nicht nur sehr viele Ideen gibt, sondern auch sehr viele in der Praxis erprobte Modelle. Es gibt staatliche Eigentumsbegrenzung, man kann verhindern, dass Investoren komplette Ländereien aufkaufen und damit Realpolitik machen, bestimmen, was ein Bauer (wirtschaftlich) anbaut oder ob und was auf einer Fläche gebaut wird.
Gerade weil das Thema so komplex ist, habe ich mich damit beschieden, auf das Grundproblem aufmerksam zu machen: die Beanspruchung von Grund und Boden als Privateigentum – und ihre Jahrtausende alte Infragestellung.
Den kapitalistischen Status quo kann ich, Philipp Le, auch biologisch begründen – und habe das auch schon ausführlich getan, unter anderem in meinem Buch “Demokratie für Deutschland” nachzulesen.

Soweit zu Kommentardiskussionen grundsätzlich und zu meinem Wohngipfel-Beitrag speziell. Es bleiben dann noch die üblichen persönlichen Anfeindungen, die es auch schon zu den Zeiten gab, als Leserfeedback ausschließlich per Schreibmaschine und Telefon kam. Auch wenn heute viel Stuss ungefiltert im öffentlichen Raum steht, lohnt sich der Widerspruch meist nicht.

Empfehlungen zum Thema und Ergänzungen:
+ “Spekulationen mit Bauland” von Rainer Schwochow
+ “Zossener 48” – Beispiel für ein Wohnprojekt der Mieter (ja, ich bin daran ein wenig beteiligt)
+ Mit Vermieten kann man nichts verdienen, wird in der  Diskusssion häufiger behauptet. Die Zahlen sagen etwas ganz anderes: Statistisches Bundesamt

PS1
Eine besonders häufig anzutreffende Form von Problem [2] ist die falsche Analogie: weil jemand nicht verstanden hat, was der Autor sagt, kontert er mit Spiegeln, Weiterdrehen, Übertreiben eines Aspekts, um das vorgebrachte Argument ad absurdum zu führen. Am heutigen Tag durften wir das auf Twitter wieder hundertfach zu einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erleben.
Eine wie vom Computer erstellte Entgegnung  zu meinem Text  lautet – in dutzend Varianten gesehen -:

Jeder Cent, den ein Journalist oder Verleger an einem Artikel, an einem Buch verdient, ist ein Cent zu viel. Journalisten verdienen nicht an einer Leistung, sondern allein an der Behauptung: „Dieser Artikel ist mein geistiges Eigentum, ich darf darüber bestimmen.“

Zum einen braucht es das Urheberrecht zumindest für die Standardgeschäfte im Journalismus nicht: da genügt ein Werkvertrag nach BGB – es wird also natürlich klar eine Leistung vereinbart und nur diese vergütet.
Was aber das sogenannte “geistige Eigentum” betrifft (über das natürlich diskutiert werden kann) ist es eben etwas völlig anderes als Eigentum an Boden. Im einen Fall wird tatsächlich etwas neu geschaffen (Lied,  Text, Film), im anderen wird etwas Vorhandenes in Besitz genommen und zum Eigentum erklärt.

PS2
Ebenfalls aus Grundproblem 2, dem Nichtverstehen, Nicht-Zuhören, ergibt sich ein Vorwurf, den derzeit irgendeine Trollfabrik in Massen durchs Netz schickt: meine Kritik am Privateigentum von Boden und Immobilien (zum Vermieten, Verkaufen, Spekulieren) sei Sozialismus. (Wahlweise soll ich nach Nordkorea, zurück in die DDR oder Sowjetunion oder mich einfach begraben).
Wahnsinn, was für Weltbilder tagtäglich entstehen, weil Menschen einfache Sätze nicht verstehen, sondern Stichworte so zusammenreimen, wie es ihnen in den Kram passt.
Ich habe ja nun explizit gesagt, dass die Verstaatlichung von Eigentum nicht revolutionär wäre, sondern konservativ: es bliebe ja der gleiche Herrschaftsanspruch, nur dass ihn eine andere Clique  ausübt. Meine völlig andere Aussage ist: “Kein Mieter braucht einen Vermieter…” WIE das in der heutigen Welt genau geht, habe ich – wie oben schon erläutert – eben bewusst nicht gesagt. Der Ausgangspunkt ist schlicht, dass es – über alle biologischen Systeme hinweg betrachtet wie auch über die Menschheitsgeschichte – eine völlig singuläre Idee ist, Eigentum zu beanspruchen, dass man nicht selbst bewohnt bzw. belebt (wir denken an Äcker). Und seit es diese recht verrückte Idee gibt, gibt  es auch Kritik daran – was ich ebenfalls in meinem Radiobeitrag schon sagte. Ich verweise immer ganz gerne – nicht aus religiösem, sondern historischem Interesse – auf das 3. Buch Mose, in dem die sozialen Probleme bereits deutlich benannt und geregelt sind.

Wegen dieses Nichtverstehens gibt es inzwischen hunderte Posts wie diesen:

 

a) Ein  Vermieter soll gar keine Wohnung besitzen, die er nicht bewohnt. (Begrenzungen für den Immobilienerwerb gibt es auch schon tatsächlich vielfältige.) Genau das ist doch ein zentrales Problem: Ich habe zwar zu viel Platz (genauer: ich beanspruche Platz, den ich gar nicht brauche), aber es ist mir nicht rentabel genug, diesen Platz anderen Menschen anzubieten. Weil diese Haltung weit verbreitet ist, gibt es in vielen Kommunen  sog. Zweckentfremdungsverbote, die zu Vermietung statt Leerstand verpflichten.

b) Nie habe ich gesagt, dass ein Handwerker für seine Arbeit kein Geld bekommen soll (was wohl mit “wenn du kein  Kapital  hast” gemeint ist) – das wäre auch absurd. Der Handwerker kann aber direkt für denjenigen arbeiten, der in einer Wohnung/ einem Haus lebt oder künftig leben möchte, es braucht dazu keinen Lehnsherren.
Wenn Preise gerecht sind, steht im Falle von Immobilienbau und -renovierung einem Darlehn der volle Wert  gegenüber, es gibt keinen Grund, weshalb also nicht bis zu 100% durch einen Kredit finanziert werden sollten, den dannn auch in jedem Fall der Bewohner abschließen könnnte (oder eine Mietergenossenschaft oder…. – wie gesagt, es gibt zig Modelle dafür).

c) Es geht daher nirgends um Altruismus. Es geht nur darum, einen Händler zwischen natürlicher Ressource (Boden) und deren Nutzung (Bewohner) auszuschließen. Ihn braucht es nicht. Und wo es ihn gibt,  gibt es zwangsläufig “Spekulation”, also wie auch immer geartete Versuche, das Maximum an Profit mit den Wohnungssuchenden zu machen. Altruismus wäre eventuell (auch wenn der Begriff ethologisch hier falsch ist), wenn ein Vermieter oder Verkäufer NICHT auf maximalen Profit setzt, wenn er gönnerhaft “moderate Preise” aufruft (diese Fälle gibt es, ich kenne sie).

Obwohl also an einem Post wie dem oben zitierten praktisch alles falsch ist, bekommt er selbstredend viele Likes.

Zur Erheiterung noch ein paar Schmankerl zu Grundproblem 1 (Autor dumm, Rezipient schlau):

Ceterum censeo: Weil wir so eben nie vernünftige Diskussionen führen können, bin ich großer Fan der aleatorischen Demokratie.

Update: Am 29. März 2020 ist ein halbstündiger Radio-Essay zum Thema von mir im Deutschlandfunk erschienen: “Eigentumsrelgion – Von der Idee, mit Grund und Boden reich zu werden“. Da war nun deutlich mehr Platz für Argumente – aber leider immer noch nicht für  alle, ich musste aufgrund der Zeitbegrenzung sehr vieles wieder aus dem Manuskript streichen. Leider sind in der Online-Fassung auch meine vielen Belege nicht enthalten, mit denen ich Behauptungen referenziert habe.

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