Schweiger, Ampeln und Corona-Journalismus

+ Es gibt wahrlich jeden Tag genügend Nachrichten, die einem die Dysfunktionalität unserer Politik (Legislative + Exekutive) aufzeigen. Zum Beispiel wenn man lesen muss, dass es 13.000 Euro kosten soll, die Grünphase für Fußgänger an einer Ampel zu ändern, sprich “umzuprogrammieren”. Nebenbei kann man dann auch die allgegenwärtigen Qualitätsdefizite des Journalismus bestaunen, der dieses Faktum zwar mit Verwunderung präsentiert (Tagesspiegel), aber gänzlich auf die Recherche verzichtet, wie sich die Kosten von 13.000 Euro zusammensetzen, sprich: welche Arbeit zu leisten hier Menschen vorgeben und wieviel sie sich dafür in die Taschen stecken. Einer Gesellschaft, die sich von Ampeln tyrannisieren lässt, ist vermutlich eh nicht mehr zu helfen – auch wenn sie das schon seit rund 100 Jahren mitmacht.

+ Zur medialen Skandalisierung des angeblichen Alkoholkonsums von Til Schweiger verweise ich auf eine Medienkritik bei Telepolis (wobei die Überschrift nicht zum Text passt). Und weil die Medien sich immer mal wieder über Schweiger echauffieren sei noch auf einen Kommentar von  2016 verwiesen, als Til Schweiger seinen Tatort besser fand als viele journalistische Fernsehkritiker: (Beleidigte) Leberwurst-Journalismus.
Und aus den vielen aktuellen selbstgefälligen Journalistenergüssen (m/w/d) sei halb wahllos auf den von Fatma Aydemir (w) verwiesen, Überschrift: “Vom Arschloch zum Tyrannen“. Aydemir kommt – natürlich – von der #Metoo-Debatte her, und stellt dabei korrekt fest: “Mit Harvey Weinstein scheint das erst mal wenig zu tun zu haben, sexualisierte Gewalt ist nicht direkt Teil der Vorwürfe [gegen Til Schweiger]”.

>Es gab den Komplex um Regisseur Dieter Wedel, dem 2018 von mehreren Frauen sexuelle Nötigung vorgeworfen wurde, aber gegen den es nie zu einem Prozess kam, bis er 2022 verstarb. Im Fall des Comedian Luke Mockridge schlugen Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn in eine mediale Stimmungsmache gegen Aktivist_innen um, die auf den Fall aufmerksam machten. Ansonsten aber passierte im deutschen Mainstream kaum #Metoo, obwohl es ein offenes Geheimnis ist, wie anfällig auch die hiesige Film- und Fernsehbranche für Machtmissbrauch ist.<

Ein offenes Geheimnis, aber offenbar keines, das Fatma Aydemir recherchieren kann. Macht nichts, denn Raunen ist die neue Haltung (die zuvor schon die Faktensuche ersetzt hatte), und so verknüpft sie die zwei Namen, die vom Journalismus als Fälle sexueller Gewalt im Showbiz installiert wurden: Dieter Wedel und Luke Mockridge. Offenbar gerade weil es keine gerichtlich festgestellten Straftaten gibt, wird auch über den Tod hinaus geraunt. Eine unappetitliche Aufführung.

+ Es gibt viele technische Unzulänglichkeiten, die mich erstaunen können. Weil ich nicht begreife, wie sie so lange “überleben” können. Und da rede ich noch gar nicht von den umfangreichen Bevormundungen, mit der uns technische Geräte regelmäßig konfrontieren (genauer natürlich die sie entwickelnden Techniker und Programmierer): Waschmaschinen, die nur noch Programme mit fertiger Abfolge kennen und dafür dem Besitzer die Möglichkeit verwehren, selbst die wenigen Parameter (Temperatur, Umdrehungszahl, länge des Waschvorgangs) nach Belieben zu verändern. (Meine Spülmaschine kennt z.B. kein reines Kalt(vor)spülen mehr. Man kann sie nur überlisten, indem man ein Vollprogramm wählt und an der hoffentlich richtigen Stelle abbricht.) Nein, es geht mir um offensichtliche, nicht bestreitbare und nicht mit “wir wissen besser, was für dich gut ist”-Argumentation zu rechtfertigende Unzulänglichkeiten.

Beispiel 1: Die Suchfunktion auf vielen Websites. Die Welt setzt dabei auf die französische Maschine Qwant, die dann immer mal wieder nichts findet, obwohl es vorhanden ist (und mit einer alternativen Suchmaschine gefunden wird, von der Möglichkeit, die eigene Datenbank zu durchforsten ganz zu schweigen).

Beispiel 2: Die Entfernungsangabe zum Anbieter bei Ebay-Kleinanzeigen. Sie ist regelmäßig grotesk falsch, seit Jahr und Tag.

+ Auf die Idee, Blütenblätter als problematischen Müll zu klassifierzieren, muss man auch erstmal kommen. Aber dazu haben wir ja Politiker. Die folgende Problemanzeige stammt aus dem Tagesspiegel-Newsletter für Berlin Neukölln (Kontext: zur standesamtlichen Hochzeit dürfen nur 22 Gäste kommen, der Rest muss außerhalb des Geländes warten):

+ Meine medienjournalistische Beschäftigung mit der Qualität der Corona-Berichterstattung kommt nun nach drei Jahren zu einem Ende – ob es ein gutes wird, weiß ich noch nicht. Meine Recherche-Ergebnisse nebst umfangreicher Kommentierung dieser habe ich in einem Paper zusammengefasst, das inzwischen rund 150 Seiten umfasst. Es gibt ein kleines Bisschen mediale Resonanz, aber von inhaltlicher Beschäftigung, gar einem Qualitätsdiskurs innerhalb des Journalismus merke ich bisher nichts. Eine Hürde dabei ist natürlich, dass die am Corona-Journalismus aufgezeigten Probleme gerade nicht mit der Pandemie-Situation zu begründen sind. Es handelt sich um Fehler und Unzulänglichkeiten, die auch bei jedem anderen Thema zu finden sind, wenn sicherlich auch in unterschiedlichem Ausmaß (das ich nicht gemessen habe). So oder so wird es Zeit, sich endlich vom Coronafeld wegzubewegen, es ist schlicht unerquicklich.
Das Paper gibt es bei Researchgate: “Qualitätsdefizite im Corona-Journalismus. Eine kommentierte Fallsammlung“. Medienresonanz darauf wie auch viele weitere Literatur- und Medienhinweise gibt es weiterhin bei Spiegelkritik. Verwiesen sei hier  auf einen Bericht in der Berliner Zeitung, in dem der Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbands (DJV), Hendrik Zörner, meine Arbeit als irrelevant bezeichnet.

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