Werbeverbote und Werbeunvermögen

+ Das vom Ernährungsminister Cem Özdemir geplante Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel ist demokratisch natürlich unhaltbar und inhaltlich auch ansonsten großer Quatsch. Gerade Kinder (und Jugendliche) müssen lernen, mit der realen Welt umzugehen. Dazu gehört Werbung genauso wie falsche Versprechen von Politikern – und vieles mehr. Auch das – gesellschaftlich akzeptierte – Framing bestimmter Speisen oder gar Anbieter wie McDonalds als ungesund ist hanebüchener Unsinn. Als ob die zuhause zubereiteten Spaghetti mit Tomatensoße oder gar Ketchup in irgendwas besser wären als ein Hamburger aus der Systemgrastronomie. Und dann wird auch noch der Einfluss von Werbung kolossal überschätzt – und der Einfluss des Lebens unterschätzt. Wenn das mal soeinfach wäre: Werbung weg – ungesundes Essen weg. Werbung her – alle essen das beworgene Zeug. Aber unsere Politik braucht ja grundsätzlich keine Evidenz. Deshalb gibt es auch keinerlei Prognose, was sich konkret durch das Werbeverbot ändern wird. Und von bürgerlicher Freiheit halten Politiker sowieso nichts, ganz gleich in welchem Parteigewand sie daherkommen.

+ “Wahldebakel” gibt es nicht – außer vielleicht, wenn wie in Berlin der Wahlvorgang selbst zum technischen Fiasko gerät. Aber kandidierende Parteien und Personen können kein Wahldebakel erleben. Was in den Medien regelmäßig so bezeichnet wird, ist nichts anderes als die Entscheidung der Stimmbürger.

+ Wie schwer es viele Unternehmen potentiellen Kunden machen, Zugang zu ihren Produkten zu bekommen bzw. zunächst nur die Rahmeninformationen darüber zu erhalben, lässt mich schon immer staunen. Und in vielen Fällen ist damit meine ablehende Entscheidung bereits gesetzt. Wenn beispielsweise bei egal welchem Angebot für einen zunächst kostenlosen Test nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, welche (Abo-)Kosten danach auf einen zukommen, ist das Produkt bei mir raus – denn dieses Defizit ist nur mit völliger Verpeilung oder Arschlochverhalten zu begründen, was beides der Anbahnung einer Geschäftsbeziehung im Wege steht.
Im übrigen will ich auch vor einer “Registrierung”  wissen, welche Daten von mir gleich eingefordert werden. Die meisten Medienunternehmen bieten zwar gleich gar nicht die Möglichkeit an, einzelne Produkte bei ihnen zu kaufen (also eine Zeitung, ein Heft, eine Digitalausgabe); doch von denjenigen, die es ermöglichen wollen, verlangen die meisten persönliche Daten, die sie für den Kauf einer Datei gar nicht brauchen, nämlich vor allem eine “Rechnungsadresse” und oft auch noch ein Geburtsdatum. Nein, es gibt für diesen Schwachsinn keinen gesetzlichen Zwang, den man sonst so oft vorschieben kann.
Auch Unverhältnismäßigkeiten bzw. mangelndes Vertrauen in mich als potentiellen Kunden sind ein Ausschlusskriterium. Wenn ich etwa beim Tagesspiegel in den AGB lese, dass für ein normales Zeitungsabonnement eine Prüfung der Kreditwürdigkeit stattfindet und mithin mal wieder Daten an Creditreform und ggf. Schufa gehen, ist mein Interesse an dem Produkt auch gleich auf Null. Es mir zu armseelig, wenn ein Verlag Angst um die paar Euro eines Monatsabos hat. Und wenn er so schlechte Erfahrungen mit seinen Kunden gemacht hat: dann verlangt eine Anzahlung, aber danach tragt bitte das selbstverständliche unternehmerische Risiko.
(Eigentlich scheidet auch alles aus, was nur mittels amerikanischer Zahlungsdienstleister zu bekommen ist, also per Kreditkarte und Paypal etwa. Allerdings gibt es inzwischen bereiche der sog. “Daseinsvorsorge”, des modernen Grundbedarfs, die ohne US-Inkasso nicht mehr zu bekommen sind, so dass ich gelegentlich doch einwilligen muss, dann aber nie ohne großes Gezeter zur psychischen Gesunderhaltung.)
Zu den banalen Infos, die man bei vielen kommerziellen Medien vergeblich sucht, gehören Preis und Erscheinungsintervall. Wo steht beim “Freitag”, dass er jeden Donnerstag erscheint und was die Wochenzeitung (vielleicht noch bei welchem Umfang) kostet? Beim Spiegel etwa gibt es zwar Einzelhefte über einen Drittanbieter (“meine-zeitschrift.de” des Bauer-Verlags) – aber den Erscheinungstag sucht man vergeblich (natürlich kann man ihn sich aus erschienenen Titeln erschließen – aber darum geht es ja nicht). Warum machen es einem Verlage bei ihren Online-Auftritten so schwer, die Rahmendaten ihres (ursprünglichen) Printprodukts zu finden?
Oder warum schafft es der Podcast-Provider “Podigee” nicht, auf seiner Seite eine  simple Suchfunktion für die bei ihm gehosteten Podcasts anzubieten? Die Seite wirbt ausschließlich neue zahlende Kunden. Zugang zu den bereits bezahlten Produkten bietet sie nicht. Dazu muss man Big Brother Google bemühen. Das wirkt auf mich geradezu irrsinnig.

+ Und wo ich gerade bei Werbeunvermögen bzw. disfunktionaler Eigen-PR bin: Zuverlässigkeit ist im gesamten Servicebereich ein oft unterschätzte Kernkompetenz. Wenn ein Späti, Kiosk, Restaurant, Lieferdienst oder Imbiss Öffnungszeiten behauptet,  dann muss er diese auch ohne Wenn und Aber einhaltn. Es ist ein Unding, dass “der Chinese” sein Abendbuffet von 17 bis 22 Uhr bewirbt, tatsächlich aber ab acht Uhr nichts mehr nachfüllt und die Küche putzt. Schön und gut, wenn ihn die Erfahrung gelehrt hat, an diesem Standort kommen danach kaum noch Gäste (in lohnender Anzahl) – aber dann soll er seine “Öffnungszeit” als “Küchenzeit” direkt auf 20 Uhr limitieren. Ebenso ist es ein Unding, die Kneipe früher dicht zu machen, weil gerade nichts los ist. Ja, ich kenne das aus Sicht hinter dem Tresen und weiß, wie groß die Verlockung ist. Aber Zuverlässigkeit an dieser Stelle muss höher im Kurs stehen. Stammkunde wie Einmalkunde müssen sich darauf verlassen können, den Weg zu einem Dienstleister gemäß seiner eigenen Werbeversprechen anzutreten.
Woraus ich diesen Anspruch ableite, wo ich doch sonst immer so auf Freiheit poche, auf die völlige Selbstbestimmung eines jeden? Weil sich der Dienstleister mit der Angabe seiner Arbeitszeiten selbst verpflichtet hat und ich mit ihm auf dieser Grundlage jederzeit einen Deal eingehen kann. Er schränkt nämlich mich in meiner Freiheit ein, wenn er dann spontan sagt: Pustekuchen, du hast dich vergebens auf den Weg zu mir gemacht bzw. deinen Einkauf, deine Party, dein Was-auch-immer in unverdientem, getäuschten Vertrauen auf mein Angebot geplant und kannst nun eben schauen, wie du damit klarkommst.
(Dass es zu akzeptierende Sonderfälle gibt, muss hoffentlich nicht eigens erwähnt werden: “Heute zu weil Oma tot” wäre eine Botschaft, die im Revier jeder verstände.)

+ Zum schrecklichen Geduze sage ich auch immer gerne was, aber hier hat es ein älterer Kollege im Politischen Feuilleton getan: “Heute schon geduzt worden?

+ Einer der Unterschiede von Waffenlieferungen zu Pizzalieferungen ist, dass bei den Waffenlieferungen der Lieferant zahlt – wenn die Ware in die Ukraine geht. Nach einer Aufstellung des ZDF wird fast alles gewünschte Kriegsmaterial unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Noch weit mehr Zahlen zu den Kriegskosten hat David Goeßmann zusammengetragen.

+ Archiv-Fund von 2013:

Man kann in einer warmen Sommernacht natürlich, jaja, schöneres tun als am Computer sitzen und schreiben. Aber das ist – ischwör – gar nicht der Grund für meinen Frust. Es ist wie so oft in den vergangenen 20 Jahren die Unzulänglichkeit von Microsoft – und die ist ein politisches Problem.
Denn in die lange Liste “Was nicht zur Wahl steht”, wenn in Deutschland gewählt wird, gehört auch das: eine funktionsfähige Textverarbeitung. Braucht nicht jeder, aber ich bin mir sicher, dass in einer Demokratie die deutliche Mehrheit einsehen würde, dass es gar nicht schlecht ist, wenn so eine zum Alltagswerkzeug vieler gewordene Software auch funktionieren würde. Zuverlässig. Fehlerfrei. Tut sie halt nicht.
Dann würde man in einer Demokratie wohl für Abhilfe sorgen, ein “public domain” Programm schaffen, steuerfinanziert und für alle gratis zu haben. Und das wäre gerade keine Wettbewerbsverzerrung, wie die Libertären sofort rufen. Genau das wäre Wettbewerb: es kann sich jeder einzelne die völlig unzureichenden Programme von Microsoft kaufen, oder man beschließt gemeinschaftlich, etwas Eigenes schaffen zu lassen. Microsoft hatte wahrlich lange genug Zeit, sich mit den Kinderkrankheiten seiner Produkte zu befassen.
Schon WordStar konnte alles, was ich von einer Textverarbeitung erwarte, sogar Register erstellen. Vielleicht ist mein Blick zurück ein wenig verklärt, aber ich kann mich da an keinen einzigen Absturz erinnern. MS Word hingegen verschluckt sich regelmäßig an seinen eigenen Dateien. Oft kann “Open Office” dann noch weiterhelfen, aber auch das kann man leichter Hand in die Knie zwingen.
In anderen Bereichen kam die Idee selbst schon bei Politikern auf. Als einigen etwa dünkte, die Abhängigkeit von Google könnte als unbefriedigend empfunden werden. Ja, es gab auch mal Suchmaschinen von Universitäten – aber man hätte da vielleicht ein paar Euro investieren müssen, um mithalten zu können – und den Zugang zum digitalen Wissen nicht einigen Aktivisten und ansonsten Kapitalisten überlassen müssen.
Wo hingegen vor Urzeiten mal eine Staatsaufgabe gesehen wurde, bleibt sie natürlich aller Realität zum Trotz bestehen. Ich sage nur: Fernsehen. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk stammt aus einer Zeit, als es nichts anders gab und auch kaum geben konnte (von wegen notwendigem Investitionskapital). Das ist jetzt aber auch fast 30 Jahre überholt – doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat so viele Sender wie nie zuvor und kostet uns ein Vermögen (natürlich kein Steuervermögen, es ist ja jetzt die staatsunabhängige Haushaltsabgabe).
Public-Domain-Programme stehen am 22. September [2013] nicht zur Wahl, jedenfalls nicht realistisch. Wie so vieles andere.

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