Diverse Grenzen des Sagbaren
+ Der Podcast „Hoss & Hopf“ steht schon einige Monate weit oben in den Hörer-Charts bei Spotify. Im Februar hat er z.B. auf Youtube zahlreiche Abonnenent dazugewonnen. Denn mit einem Schlag interessierten sich die Massenmedien für ihn – jedenfalls problematisieren sie ihn. Einen konkreten Anlass dafür gab es zunächst nicht, dann gab eine Sperrung auf TikTok Zunder. Dass der Journalismus hier mal wieder kampagnenhaft auftritt, lässt sich nicht gut bestreiten. Oder anders gesagt: Was jetzt als hoch gefährlich vor allem für die Jugend gilt, hat den Journalismus 16 Monate lang nicht interessiert. Sollte hier kein Herdentrieb vorliegen, haben zuvor alle journalistischen Radarsysteme versagt: Eine Medienkritik.
+ Zu den Grenzen des Sagbaren ein Zitat von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus dem Zeit-Podcast „Alles gesagt“ (ungefähr bei 03:32:30):
Es ist nicht nur, was da so plakativ nach außen erscheint. Sondern es gibt die vielen, die sagen: „Hab nichts gegen Ausländer, aber sind doch ein bisschen arg viele bei uns vor Ort.“ Und das gibt’s ja bei vielen Themen, diese Ja-Aber. Genscher hat immer gegen die Ja-Aber-Europäer gewettert, weil er gesagt hat, das sind die Verkappten, natürlich Europa-Ablehner, Nein-Sager, die versuchen das nur ein bisschen zu verbrämen, weil sie das nicht so nach außen zeigen wollen.
Das „Ja-Aber“ wird sonst auch als „Whataboutism“ diskreditiert. Dabei ist es doch Kern der Ambiguitäten des Lebens. Die Welt ist nicht digital, ja oder nein. Sie hat Dimensionen. Nach Leutheusser-Schnarrenbergers Dichotomie gäbe es nur „keine Ausländer“ versus „beliebig viele“. Die erste Position habe ich noch nirgends im öffentlichen Diskurs vernommen, gegen die zweite spricht jede bisherige Politik in der Bundesrepublik unter egal wessen Führung. Denn dann gäbe es keine Grenzen mit Grenzkontrollen, keine Visa, kein Aufenthaltsrecht etc. Wie soll sich nun jemand ausdrücken, der irgendwo dazwischen die gesellschaftlich richtige Antwort sieht?
Und vor allem: Was ist gewonnen, wenn derjenige zwar noch empfinden darf, was er empfindet, sich dazu aber nicht äußern kann?
Ein Problem der Diskussion ist sicherlich, dass seit langem alle Menschen ohne deutschen Pass in einen Topf geworfen werden als „Migranten“, Zugewanderte. Oder noch unterschiedsloser als „Menschen mit Migrationshintergrund“, worunter dann auch jede Menge Deutsche fallen. Ausführlicher dazu: „Schon der Begriff ‚Migrant‘ ist eine Vernebelung“.
+ „Unbehagen bei der Bedienung von Anforderungstastern gehört somit ab sofort der Vergangenheit an“, heißt es in der Produktbeschreibung des Herstellers.< So jetzt auch am Straußberger Platz in Berlin. Denn die dortigen Ampeln werden umgerüstet und erkennen künftig selbstständig, ob ein Fußgänger in der Nähe steht – wenn er denn richtig steht. Dann jedenfalls ist es mit dem „Unbehagen bei der Bedienung von Anforderungstasten“ vorbei. Andernfalls muss man halt weiterhin bei Rot über die Straße gehen. (Quelle: Tagesspiegel)
+ Bei Rot über eine Ampel gehen? Im richtigen, nicht farblich eingetrübten Lichte betrachtet sind Ampeln für und wegen der Autofahrer da, nicht für Fußgänger oder Radfahrer. Ich habe das mal expliziert (4 Minuten Audio bei Deutschlandfunk Kultur).
+ Diversität bedeutet Vielfältigkeit. Wer Diversität in Firmen oder Gremien fordert, setzt sich also für ihre vielfältige Zusammensetzung ein. Das kann zwar keine Repräsentativität für die Gesamtbevölkerung meinen, wohl aber eine für die Grundgesamtheit all derer, die für den Job (im weitesten Sinne) irgendwie infrage kommen. Reduziert wird diese Diversität regelmäßig auf Geschlecht, ethnische Herkunft und sexuelle Orientierung bzw. Identität. Die biografische Herkunft wird meist noch weiter reduziert auf die Unterscheidung mit oder ohne „Migrationshintergrund“.
Damit werden Gruppen aber kaum diverser. Dass das Merkmal „Migrationshintergrund“ bedeutender für die Perspektivenvielfalt ist als beispielsweise das Kriterium „aus Alkoholiker-Familie“ ja oder nein, bestreite ich. Im Journalismus etwa stammen die allermeisten aus dem gleichen akademischem Milieu, was für den Blick auf die Welt wesentlich prägender sein dürfte als die üblichen Diversitäts-Marker.
Wie sehr Diversität oft missverstanden wird, manifestiert sich in der Aussage, wenn sich eine einzelne Person selbst als divers bezeichnet (soweit damit nicht nur die Offenheit für die eigene sexuelle Identität gemeint ist).
Beispiel: Im „Brand eins“-Podcast sagt die Unternehmerin und Beraterin Tijen Onaran:
„Da ich ja sozusagen selbst Diversität auf zwei Beinen bin…“ (14:30)
Wie soll das gehen? Will sie mehrere Personen mit unterschiedlichen Biografien in einer sein? Einzelne Menschen können in ihrem bisherigen Leben mehr oder weniger prägende Erfahrungen gemacht haben, viel oder wenig von der Welt gesehen haben (wie auch immer man das messen und gewichten möchte), – aber sie können unmöglich „Diversität auf zwei Beinen“ sein.
+ Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast gab es ein sehr interessantes Gespräch mit dem Immobilienmakler Achim Amann. Er behauptet aufgrund seiner 17-jährigen Erfahrung, gerade die Einkommensmittelschicht habe es schwer, Mietwohnungen zu finden. Und er gibt Tipps, wo sich die Suche noch lohnt. Gestolpert bin ich aber über eine Nebenbemerkung: Dass sich Kevin Kühnert über seine Probleme bei der Wohnungsfindung nicht wundern dürfe angesichts seiner geäußerten Meinung zum Privateigentum (Stichwort: Enteignung). Natürlich wolle kein Immobilienbesitzer so jemanden als Mieter, da habe er ein Eigentor geschossen.
Und dann wird gerade in den Massenmedien ganz überwiegend bestritten, es gäbe ein Problem mit der freien Meinungsäußerung? Wenn völlig zulässige Überlegungen zum gesellschaftlichen Umgang mit Grund und Boden dazu führen, keine Wohnung mieten zu können, weil die Eigentümer sagen: dich mit deiner Meinung nehmen wir nicht? Ich verweise daher auf meinen Radio-Essay „Eigentumsreligion„.
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