Kampfzonen Wald, Publikum und Medien

+ In der Radio-Glosse “Kampfzone Wald habe ich meine Strategie zur Vermeidung menschlicher Interessenskonflikte verraten: sich nachts dort aufzuhalten, am besten bei bedecktem Himmel ohne Mond, weil dann auch die Jäger (derzeit noch) nicht aktiv sind.
Dazu erreichte mich eine Hörerzuschrift mit grundsätzlichem Lob und folgender Widerrede:

>Schön, dass das mit der Antizyklizität erkannt wurde. Aber mit der Wahl des nächtlichen Waldbesuchs überginge man den optischen und auditiven Kanal komplett. Für ein zweckgebundenes Kleintierausführen sicherlich dienlich, aber mit Ihrem Besuch würden Sie auch nichts nachts durch den Wald streifen, noch würden das Menschen tun, die wegen des Waldes in selbigem sein wollen. 
Empfehlung: Sonntag morgens um 0700 im Wald. Da ist die Natur voll da, homo sapiens nahezu vollständig abwesend und man hat danach noch den halben Tag guten Gewissens Zeit für Kurzweil.<

Genau solchen frühen Vögeln möchte ich aber eben nicht begegnen. Außerdem habe ich um diese Zeit noch ein Rendezvous mit dem zweitbesten vierbeinigen Freund des Menschen: dem Bett.

+ Rezipientendialog ist m.E. ein journalistisches Qualitätskriterium. Rückmeldung der Leser, Hörer und Zuschauer sind wichtig und sollten keinesfalls unbeachtet bleiben. Hinweise auf Sach- oder Argumentationsfehler müssen auch beantwortet werden.

Schwieriger ist es bei Meinungsverschiedenheiten. Die lässt man am besten so stehen und bedankt sich nur kurz. Meine eigene Erfahrung ist jedenfalls, dass es sonst meist ungut endet. Denn wenn man das Thema, zu dem man berichtet, als Journalist wirklich durchdrungen hat, dann wird ein einzelner Leserkommentar dazu einen meist nicht zu einem Standortwechsel bewegen müssen.

Besonders heikel ist es, wenn man mit politischen Reformvorschlägen konfrontiert wird. Denn auch wenn da regelmäßig so etwas steht wie “was halten Sie davon?”, folgt meist recht Unschönes, wenn man nicht in Jubel ausbricht.

Zu meinem Fachthema “aleatorische Demokratie” erhalte ich immer wieder umfangreiche Ausarbeitungen. Aber da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder entsprechen sie dem, was ich selbst dazu schon veröffentlicht habe. Oder ich habe diesen Vorschlag eben bewusst nicht gemacht, er widerspricht meiner Argumentation oder passt systematisch nicht dazu.

Anders sieht es natürlich bei Detailfragen aus. Gerade, wenn der Rezipient hier nicht nur aus seiner Denkerstube berichten kann, sondern irgendwelche praktischen Erfahrungen gesammelt hat, können da natürlich hilfreiche neue Impulse kommen. Aber solche Rückmeldungen, die ja dann von Fachkollegen wären, sind sehr selten. Da ist es wie in der Wissenschaft insgesamt: Ein jeder publiziert gerne selbst, Dialoge werden als Zeitfresser ohne öffentliche Wirkung gesehen und daher vermieden. Das ist schade.

+ Die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen gehört wesentlich zum demokratischen Rechtsstaatsprinzip. Denn Gerichte entscheiden nur stellvertretend für den Souverän, die Staatsbürger, so wie auch die anderen zwei “Gewalten” nur stellvertretend für diesen arbeiten und ihn gerade nicht beherrschen.
Das scheint nicht allen Richtern immer bewusst zu sein. Wer Verhandlungen aus dem echten Leben (statt dem fiktionalen Fernsehen) kennt, hat immer mal wieder den Eindruck, mindestens das Publikum, gelegentlich aber auch die Verfahrensbeteiligten seien zu Gast im privaten Wohnzimmer des Vorsitzenden.
Auch eine häufig zu vernehmende Phrase deutet auf mangelndes Verständnis von Öffentlichkeit: “Wir kennen die Rechtsprechung” entgegnen Richter immer mal wieder auf Ausführungen einer Partei bzw. der Verteidigung, so wie gerade in einem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg.

[Der Anwalt des Beklagten] verweist auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2010 (Az. 1 BvR 1891/05). Dort entschieden die Karlsruher Richter […] Ob das das LG Hamburg überzeugt? [Der vorsitzende Richter] ließ sich nicht in die Karten blicken: “Wir kennen die Rechtsprechung.”<

Mag sein. (Die vielen Bewertungsunterschiede beim Instanzenzug sprechen allerdings nicht durchgängig dafür.) Aber auch wenn wir keine Schau-Prozesse wollen, sollte die Öffentlichkeit doch nachvollziehen können, wie vor Gericht nach der Wahrheit oder wenigstens der juristischen Konsistenz gesucht wird.

(Selbstkritisch sei angemerkt, dass sich Vergleichbares oft in Interviews, Podiumsgesprächen und anderen journalistischen Talk-Formaten findet. Ein jeder weiß schon alles und verbittet sich ggf. Belehrungen. Nur: sie diskutieren nun mal für die Öffentlichkeit. Und wenn die auch schon alles wüsste, könnte man sich das klemmen.)

+ Die drei Buchbände “Bochumer Bekannte sind schon lange vergriffen. Aber weil die Portraits immer noch lesenswert sind, haben wir die Texte der ersten Sammlung nun als pdf veröffentlicht. Bochumer Bekannte (Band 1): Elli-Maria ALTEGOER, Carmen GELSE, Frank GOOSEN, Dietrich GRÖNEMEYER, Frank HILBIG, Goiko JAVANOVIC, Rudolf KLEIN, Dieter MAIWEG, Johann MAUER, Sascha OTTO, Volker SENDT, Werner STRELETZ, Christof WACKERNAGEL und Dariusz WOSZ im Porträt.

+ Ein merkwürdiges Verständnis von politischer Aushandlung legt Jost Maurin in der taz an den Tag.

>Die Politik hätte nicht dermaßen vor den Wutbauern einknicken müssen. Sie repräsentieren keinesfalls alle Landwirte, von denen es in Deutschland auch nur noch 255.000 gibt. Auf der größten Bauerndemo Mitte Januar in Berlin waren 8.500 Menschen. Das ist nicht viel im Vergleich beispielsweise zu den Kundgebungen gegen Rechtsextremismus, an denen in mehreren Orten jeweils Hunderttausende teilnahmen.
Die Bauernproteste wären auch ohne den Kniefall vor der Agrarlobby zu Ende gegangen. Denn im Frühjahr müssen echte Bauern wieder aufs Feld. Sie haben dann schlichtweg keine Zeit mehr, mit dem Traktor vor dem Brandenburger Tor zu stehen.<

Oder in der Kurzfassung des Teasers:

>Die Politik schwächt wegen Treckerdemos den Umweltschutz, trotz Arten- und Klimakrise. Und obwohl die Bauern nur wenige Wählerstimmen haben.<

Wenn es nur um den Anteil potentieller Wählerstimmen geht, könnte die taz wohl viele ihrer Protestthemen einpacken. Als Argument auch noch bringen, die Demos hätten sich von selbst erledigt, weil ihre bisherigen Akteure schlicht (wirtschaftlich) keine Zeit mehr dafür haben, ist dabei der tumbe Vorwurf von “Berufsdemonstranten”, die sich auf der Straße herumtreiben statt einer anständigen Arbeit nachzugehen.

Journalisten können glücklicherweise beides miteinander vereinigen: Haltung zeigen und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Pissoir mit Display-Werbung

+ Das verschwommene Foto rechts zeigt das kapitalistische Alpha-und-Omega: Kaffeewerbung an einem Raststätten-Urinal. Anfang und Ende, Eingang und Ausgang in einem Bild. Nicht zu sehen, aber allgemein bekannt: die kapitalistische Fäkalverwertung, hier 1 Euro für die Entwässerung des 3-Euro-Kaffees.

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