Selbst Brot backen – Grundsätzliches
Vorbemerkung:
In diesem langen Beitrag sammele ich alles, was (derzeit) keinen eigenen Blogtext ergeben soll. Es ist also weder alles, was ich zum Brotbacken sagen möchte, und schon gar nicht alles, was es zu sagen gibt. Eine Übersicht gibt es auf der wachsenden Index-Seite, die mit der Raute hinter einem Stichwort (#) wieder auf diese Sammlung hier verweist.
Inhaltsübersicht (mit Sprungmarken):
– Anekdotische Einleitung
– Ein paar Vorüberlegungen zum “Projekt selbst Brot backen”
– Mengen- und Zeitangaben in Brotrezepten
– Gärkorb
– Temperatursteuerung des Teigs (Lösung: Gärbox)
– Teigling einschneiden
– Lagerung von Brot
Anekdotische Einleitung
Es gibt tausende verschiedene Brote. All die unterschiedlichen Rezepte mal (erfolgreich) zu backen, dafür reicht ein Leben nicht – stellte der große Lutz Geißler („Plötzblog“) einst fest, und der beschäftigt sich ja nun wahrlich ausgiebig – weil seit Jahren sehr kommerziell – mit Brot.
Ich habe nichts gegen Abwechslung, aber in vielen Bereichen brauche ich sie tatsächlich doch nicht. Mit zwei Sorten Bier bin ich völlig zufrieden (eine davon ist das Bochumer Fiege Pils). Bei Pizza genügt mir eine Teigversion, nämlich meine eigene, und obwohl ich aufgrund langjähriger Experimente wirklich eine Vielzahl von Wegen zum Ziel kenne mache ich Pizza immer nach demselben Schema.
Auch beim Brot komme ich mit einigen wenigen Varianten gut durchs Leben. Jahrelang habe ich auf dem kleinen Öko-Markt vor der Wohnung jede Woche das gleiche erstklassige “Hutzel-Brot” gekauft, daneben gab’s dann mal einen simplen Weißbrot-Toast oder Knäckebrot, fertig.
Heute würde ich sagen: ein reines Roggenbrot (freilich mit jedes Mal anderer Mehlkomposition), ein Mischbrot (Bauernbrot oder wie immer es dann heißt), ein Körner-Saaten-Kastenbrot (Acht-Zehn-Hausbrot), Baguette und ihre Portionsvariante Brötchen, die technisch etwas anderen Seelen – mehr muss ich im Brotbereich nicht backen (können). Das meiste, was es dann noch an Rezepten gibt, sind ohnehin nur Variationen davon. (Einen Teigling beispielsweise vorm Backen noch kurz in Natronlauge zu baden verlangt keine neuen Backkenntnisse…)
Aber natürlich schaue auch ich bis heute gelegentlich nach neuen Rezepten, lese Buch-Novitäten (und einige Jahre die Zeitschrift Brot, bis mir da auch zu wenig Inspirierendes kam und mich das Konzept Zeitschrift vs. Buch nicht mehr überzeugt hat), höre in Podcasts hinein, sammle diese und jene Inspiration. Nur halt nicht, um all diese – oft ja nur marginal unterschiedlichen – Varianten zu probieren, sondern um die Brotentstehung an sich immer besser zu verstehen und um Ideen ggf. in meine Abläufe zu integrieren. Denn natürlich kann man sehr lange Zeit immer noch irgendwas verbessern, und sei es nur das Zeitmanagement. (Das meiste Verbessern ist aber schlicht Übung, so wie bei jeder anderen Kunst. Ein guter Musiker braucht auch nicht ständig neue Noten oder Übungen, sondern nur Übung, sprich: er muss musizieren, wir Bäcker müssen backen.)
Brotbacken ist keine Leidenschaft von mir, und ich wundere mich, wie viele Menschen das inzwischen als ihr Hobby ausgeben. Ja, es kann spannend sein, mit Teig zu experimentieren, es ist eine Herausforderung, seine Biokulturen zu optimieren, und Brotbackduft in der Stube hebt immer die Stimmung. Nur bedeutet Brotbacken halt vor allem: Mehltüten und Behältnisse öffnen und verschließen, abwiegen, mischen, rühren, Dinge von A nach B räumen, warten und ganz viel zu putzen, zu spülen, aufzuräumen. Was sollte daran Spaß machen? (Okay, es gibt Menschen, die sagen so Dinge wie “ich bügele gern” – aber vielleicht meinen sie auch nur “ich find’s nicht schlimm”, und das gilt halt für sehr vieles, was irgendwie “sein muss”.)
Brotbacken ist zur Notwendigkeit geworden, weil wir trotz arbeitsteiliger Gesellschaft in vielen Orten kein handwerklich zubereitetes Brot mehr bekommen (auch wenn das Angebot kontinuierlich wächst – allerdings zu Preisen, die sich ein Großteil von uns nicht leisten mag, so berechtigt sie auch sein mögen, wie wir Selbstversorgungsbäcker wohl meist nachvollziehen können – sehen wir mal von den Absurditäten wie Mietgewinn ab). Nicht nur wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren, – auch, wer geschnittenes Brot kauft (ausgenommen Toast und Pumpernickel).
Diametral zum Angebot haben sich die Möglichkeiten entwickelt: Es gibt heute so viele tolle, interessante Mehle selbst bei regionalen Mühlen, dass man schon selbst backen muss, wenn man sie wenigstens mal probieren möchte.
Zum Brotbacken bin ich gekommen, als mein Hausbäcker für mich nicht mehr regelmäßig zu erreichen war. Außerdem wollte ich endlich wieder eine Pizza essen, wie ich sie aus meiner Jugend in Erinnerung hatte. Da Pizza ja auch nur ein mit Belag gebackenes Fladenbrot ist, ging das Hand in Hand: Experimente mit Sauerteig fürs Vollkornbrot, Experimente mit (sehr hefearmen) Hefeteigen für die Pizza.
Da ich das Backen unterm Strich definitiv als Anstrengung empfinde und mir stets zig Dinge in den Sinn kommen, die gerade zu tun wichtiger oder schöner wäre, suche ich immer nach Wegen der Vereinfachung bzw. Optimierung. Das größte Aha-Erlebnis hatte ich schon relativ am Anfang meiner “Bäcker-Karriere”, als ich nämlich zum ersten Mal an bzw. in einem “Backhaus” Brot gemacht habe, angeleitet von einem sehr alten, stets sehr betrunkenem, aber eben unendlich erfahrenem Dorf-Original. Gut 40 Brote passten in diesen Holzfeuerofen (kurz und korrekt: Holzofen – der ist so wenig aus Holz wie ein Elektroofen aus Strom besteht), und so sehr mich im ersten Moment die Arbeit an der großen Teigwanne, die reine Handarbeit mit 60 Kilogramm Teig abgeschreckt hatten, so klar war mir schon nach dem ersten Erlebnis, dass man nur so halbwegs effizient Brot backen kann. Für das einzelne, freigeschobene Roggenbrot im Haushaltsofen investiert man schnell zwei Stunden. (Ich werde es sicherlich noch an anderen Stellen auswalzen, aber die Zeitangaben in Rezepten sind überall, immer und ohne Wenn und Aber schlechte Witze oder pure Angeberei, niemals geht es auch nur annähernd so schnell wie vom Meister oder von der Meisterin behauptet: in Wahrheit ist man ständig am Gucken, Schütten, Wiegen, Räumen, Rühren, Kneten, Händewaschen, Laufen, wieder Gucken…) Für 40 Brote im Backhaus braucht man trotz der altmodischen Heiztechnik mit Reisigfeuer, wirklich alles inklusive, 12 Stunden, z.T. auf zwei Personen aufgeteilt. Damit sind wir zwar immer noch ein ganzes Stück davon entfernt, für unsere Arbeit einen angemessenen Lohn zu erhalten, wenn wir unser Nicht-Hobby mal marktwirtschaftlich rechnen (denn die guten Zutaten und die Infrastruktur müssten wir ja auch einrechnen), aber wir sind wenigstens rein vom Zeitaufwand bei etwa knapp 20 Minuten für ein Brot im Gegensatz zu ca. 120 Minuten bei Einzelfertigung im heimischen Backrohr. (Dieses frühe Schielen aufs Mengenbacken hatte wohl auch Sebastian Däuwel getrieben, der schon kurz nach Beginn seiner Selbstversorgungsbäckerei samstags in seinem leerstehenden Tennisheim 80 Brote fabriziert hat, wie ich im Podcast “Mipano” gehört habe. Däuwel hat dann schon kurze Zeit später einen bisher sehr erfolgreichen Profi-Betrieb aufgebaut.)
Natürlich wurde mir auch an dieser Stelle bewusst, wie die heutige mehlverarbeitende Schwerindustrie entstanden ist: mit einem Backhaus mach man keinen Profit, es braucht Backstraßen und möglichst kurze Teigreifungszeiten – eben industrielle Optimierung. Oder man muss ein Hochpreis-Produkt vermarkten, was zwar schön im Erfolgsfalle ist, aber uns einer guten Ernährung für alle nicht näherbringt.
Das ist also mein Spagat: gutes Brot mit aller benötigen Zeit in der Herstellung einerseits, möglichst effizienter Einsatz meiner Arbeitszeit andererseits. Und vielleicht auch Ihr Spagat?
Ein paar Vorüberlegungen zum “Projekt selbst Brot backen”
+ Brot zu backen ist kein Kinderspiel. Es ist zwar kein „Hexenwerk“ und daher jedem möglich, der guten Willens ist, aber es ist aufwendig (=Arbeit/ Anstrengung) und erfordert für gute Ergebnisse reichlich Erfahrung (= noch mehr Arbeit) (von Wunderkindern abgesehen, die gibt es in jedem Metier, aber eben selten).
+ Deshalb: Prüfen Sie Ihre Ambition. Wenn Sie ein Brot „so wie von meinem Bäcker XY“ haben wollen, dann sollten Sie es schon mal lassen. Kaufen Sie Ihr Brot weiterhin beim Bäcker XY, oder wenn der nicht (mehr) erreichbar ist soweit möglich etwas Ähnliches bei einem anderen. In der normalen häuslichen Küche so backen zu wollen, wie die heutigen Profi-Bäcker (oder Backfabriken) arbeiten, ist unmöglich – ich wiederhole: unmöglich. Es ist aber vor allem auch sinnfrei.
+ Brotbacken ist etwas völlig anders als (heutiges) Kuchenbacken! Beim Brot arbeiten Sie mit Lebewesen, Sie haben es also vor allem mit Biologie zu tun und am Rande mit Physik und Chemie. Und als Ethologe kann ich Ihnen sagen: das Leben geht so seine ganz eigenen Wege.
+ Die Lebewesen, mit denen wir es beim Brotbacken zu tun haben, sind zwar nach gebräuchlicher Definition nicht wahnsinnig intelligent (man darf sie wohl als „einfach gestrickt“ bezeichnen), weshalb sie auch nur im Ausnahmefall „machen, was sie wollen“ – aber sie sind doch deutlich eigensinniger als Backpulver. Und sie sind bisher sehr evolutionsstabil!
+ Deshalb geht in einer „Natur-Bäckerei“ auch dem Meister des Biobackens mal etwas daneben. Es gelingt nicht so, wie es schon hunderte Male gelungen ist. That’s life!
+ Man muss das als Herausforderung annehmen, wenn man „Broterzeuger“ sein möchte. Sicherlich ist es hilfreich, wenn man dies mit einem Dauergrinsen tut – aber das gelingt nicht jedem immer. Brot zu backen ist Arbeit, und es ist mit vielen wenig euphorisierenden Arbeiten verbunden. Für mich ist die Motivation allein das Ergebnis. Wo immer es jemand auch nur annähernd so gut wie ich mit meinen sehr bescheidenen Fertigkeiten hinbekommt, greife ich gerne bei seinen Produkten zu – ich kann gut leben, ohne Teigausbeuten zu berechnen oder einer Knetmaschine bei der Arbeit zuzusehen.
+ Sollten Sie auf der Suche nach Anleitungen für Anfänger zu mir gelangt sein, empfehle ich gerne Bücher, Blogs und andere Tutorials. Ich kann und will hier in meinem Blog nur einzelnes ergänzen bzw. betonen/ diskutieren. Neu ist hier nix.
Wenn Sie ein wenig experimentiert haben und merken, dass Sie wirklich weiter kommen wollen, dann spätestens sollten Sie sich Lehrmeister suchen. Einmal zusehen und mitmachen bringt ungleich mehr als dutzende Stunden im Internet von einem Video zum nächsten Brotback-Blog zu springen. Allerdings: Einige namhafte Brotblogger (wie auch altehrwürdige Akademien) rufen für ihre Kurse und Seminare Preise auf, die hanebüchen sind – oder wie man früher gesagt hätte: gotteslästerlich. Wenn Sie selbst schon in der Meisterklasse spielen, können Sie sich natürlich einen schweineteuren Kurs beim Ober-Guru vom Munde absparen. Solange Sie aber nur ein wenig Ihre Fertigkeiten für profanes Brotbacken verbessern wollen, unterstützen Sie bitte nicht die Abzocker der Branche mit ihrer Kursbuchung. Leider werden die “Dorf-Originale” rar, die einem herzlich gerne völlig kostenlos und mit zig-mal mehr Erfahrung als die meisten kommerziellen Kursanbieter das Brotbacken zeigen, aber es gibt sie noch, horchen Sie sich um, und gelegentlich organisiere ich auch selbst Backhaus-Wochenenden mit solchen Kauzen – für umme.
Und damit nun zur versprochenen Sammlung grundsätzlicher Anmerkungen zum Brotbacken. Eine wachsende Liste mit hier im Blog besprochenen Brotthemen gibt es in “Brotbacken: Blogübersicht” (die für alle Kleinigkeiten aber wieder auf diesen Beitrag hier verweist, jeweils mit “#” gekennzeichnet).
Die hier folgenden Stichwörter sind nicht alphabetisch sortiert, sondern thematisch, nach Möglichkeit in etwa dem Ablauf des Brotbackens folgend. Wenn Sie ein bestimmtes Schlagwort suchen, etwa weil in der Blogübersicht hierher verwiesen wird, dann sollten Sie ggf. die Suchfunktion nutzen (Tasten: STR + F)
Mengen- und Zeitangaben in Brotrezepten
Auch wenn Sie es vermutlich schon zig Mal gelesen haben, man kann es nicht oft genug sagen: es gibt keine fixen Mengen- und Zeitangaben bei Brotrezepten! Das Verhältnis von Mehl und Wasser hängt entscheidend von den verwendeten Mehlen ab, nicht nur dem Ausmahlungsgrad (also z.B. Roggen Typ 997 gegenüber Roggen Typ 1370 oder Roggen-Vollkornmehl), sondern auch konkret vom verwendeten Mehl. Vergleichen Sie einmal die Nährwertangaben verschiedener Anbieter desselben Mehltyps – Sie werden Unterschiede feststellen. Und selbst diese Angaben sind nur ein ganz grobes Indiz – Mehlqualität ist eine Wissenschaft für sich (und da ich kein angelesenes Halbwissen weitergebe, verzichte ich auf alle weiteren Erläuterungsversuche, verweise aber im Beitrag über Mehle (noch nicht online) auf interessante Beiträge von Experten). Außerdem kommt es entscheidend auf die Abläufe an: warme oder kalte Gare machen z.B. einen großen Unterschied.
– Kaufen Sie daher Ihre Mehle immer von denselben Mühlen bzw. Müllern (im Laden). Jeder Anbieter bemüht sich, durch Mischungen die Eigenschaften seines Mehls über die Jahre konstant zu halten.
Und trotzdem müssen Sie Ihren jeweils individuellen Teig beobachten und entsprechend reagieren: mehr oder weniger Wasser, längere oder kürzere Ruhezeiten. Vollkornmehle binden grundsätzlich mehr Wasser als Auszugsmehle, gröber gemahlenes Mehl nimmt Wasser langsamer auf als feingemahlenes etc.
– Anstatt sich stur auf Mengenangaben zu verlassen, sollte jeder Bäcker von Anfang an sein Auge und seinen Geschmack trainieren. Die optische Beobachtung ist wichtig für jede Stufe in der Brotherstellung, man muss sehen, wie weit ein Teig gerade ist. Und ebenso wichtig ist an vielen Stellen der Geschmackstest. Es klingt für Neulinge meist befremdlich, aber: schmecken Sie alle Zutaten und Verarbeitungsstadien Ihres Brotes, nicht nur das Endergebnis! Sie müssen lernen, wie ein guter Sauerteigansatz riecht und schmeckt, wie er auf der Zunge bitzelt (und wie er es nicht tun sollte). Sie sollten Mehlproben nehmen und kosten, um den Unterschied zwischen Weizen und Dinkel sowie zwischen Mehl, Teig und Brot zu verinnerlichen – und entsprechend reagieren zu können. Gerade weil die Zutaten völlig anders schmecken als das Endprodukt ist dies eine Herausforderung, aber es lohnt sich. Wer stets vor dem Backen eine kleine Kostprobe nimmt, wird z.B. nie erst nach dem Backen entsetzt feststellen, dass das Salz fehlt und die Brote daher mehr oder weniger ungenießbar sind. Erst das Abschmecken macht Brotbacken zur Kunst: nur wer weiß, in welchem „Zustand“ sich der Teig in jeder einzelnen Phase befindet (und dazu gehört ggf. der Geschmackstest), nur der kann richtig reagieren – und den Geschmack des Endproduktes aktiv steuern.
– Weil die Mengenangaben immer nur Richtwerte sind (bzw. schlicht empirische Werte der Rezeptautoren, die bei ihnen gepasst haben), wird Anfängern geraten, immer eine kleine Menge des laut Rezept hinzuzufügenden Wassers zurückzuhalten (sog. Bassinage) und zu schauen, ob der Teig es wirklich noch verkraftet. Allerdings: der Anfänger kann das gar nicht beurteilen, und wer es beurteilen kann, der wird auch einen zu wasserhaltigen Teig wieder in den Griff bekommen. Dennoch ist der Tipp richtig. (Siehe hierzu auch: Teigausbeute und Bäckerprozent)
– Am Anfang sollten Sie es nicht gleich mit Variationen versuchen – evtl. verleitet davon, dass alle Brotblogger schreiben: “Habe nach Rezept von XY gebacken, allerdings Hefe durch Hefewasser ersetzt, den Dinkel 630 durch Emmer-Vollkorn, die Hälfte des angegebenen Waldstaudenroggens durch Lichtroggen, beim Salz habe ich ein Drittel weniger genommen, dafür einen Spritzer Gerstenmalzsirup hinzugetan…”. Wer so sportlich ist, braucht ohnehin keine Rezepte mehr, sondern höchstens noch Ideen (so ähnlich wie bei “Kitchen Impossible”). Backen Sie das erste Mal exakt nach Rezept, und wenn es nicht funktioniert hat noch zig Mal exakt nach diesem Rezept (Voraussetzung natürlich: Sie trauen der Autorin/ dem Autor, aber das sollte man als erstes klären). Danach können Sie verändern, sinnvollerweise aber jeweils nur eine Variable.
– Die Individualität gilt ganz besonders auch für Backzeiten. Jeder Ofen ist anders – das stimmt einfach. Es beginnt schon damit, dass die am Regler eingestellte Temperatur nicht der tatsächlichen Ofentemperatur entsprechen muss – und diese an verschiedenen Ecken des Ofens eben unterschiedlich ist. Ein Beispiel:
Marcel Paa gibt für 40 bis 200 g Teiggewicht 25 bis 30 Minuten an, für 900 bis 1200 g 50 bis 60 Minuten. Ich starte in meinem Haushaltsofen meist mit höchster Temperatur (280 °C) und lasse sie dann je nach Brot fallen auf 180 bis 220 °C. 1 kg Weizen(misch)brot ist so nach 35 bis 40 Minuten fertig, ein 2 kg Roggenvollkornbrot nach 60 Minuten. Aber das ist eben mein Erfahrungswert in meinem Ofen (i.d.R. auf Backstahl). Wann ein Brot fertig ist, beurteile ich nach der Optik (ohne Klopfen am Boden).
Gärkorb
Weiche Brotteige müssen im Gärkorb gehen, weil sie sonst in die Breite laufen wie ein Fladen. Von Peddigrohr rate ich ab. Sehr gut funktionieren die Holzschliffkörbe. Diese gut einmehlen, z.B. einfach mit einem großen feinen Sieb oder mit etwas Übung frei aus der Hand geworfen. (Für einzelne Körbe genügt ein Teesieb, aber bei größeren Mengen wie im Backhaus ist das viel zu anstrengend – da lohnt es sich wie immer mal zu schauen, wie die Profis das machen, auch wenn man längst nicht alles von deren Equipment braucht.) Im Holzschliff-Gärkorb ist mir jedenfalls noch nie ein Teig festgebappt.
Fürs Mehlen der Gärkörbe hat jeder so seinen eigenen Favoriten. Viele Bäcker nehmen “Staubmehl”, das ist feingemahlene Kleie, also genau das, was der Müller bei Auszugsmehlen rausgesiebt hat. Gut fährt man immer mit Weizenvollkornmehl, aber auch Mischungen etwa von Roggenvollkornmehl und Reismehl sind beliebt. Es ist im wahrsten Wortsinne auch eine Geschmacksfrage, schließlich bleibt das Staubmehl in vielen Fällen am Brot (für manche Varianten wird es vor dem Backen auch abgebürstet – oder man kommt ganz ohne aus).
Für die warmen Teigruhezeiten empfehle ich unbedingt eine Gärbox (siehe: nächster Abschnitt). Für kalte Führung im Kühlschrank lässt man den Teig entweder in seiner Schüssel abgedeckt bzw. in einer Teigkiste mit Deckel oder packt, wenn man schon bei der Stückgare ist, den Gärkorb in eine aufgeplusterte Tüte, die man mit einem Clip luftdicht verschließt. (“Aufgeplustert”, damit der aufgehende Teig nicht an die Tüte stößt und dort festklebt, was er auch stark bemehlt sonst aufgrund des Kondenswassers gerne täte.)
Meine Gärkörbe stammen von der Lichtenauer Backformen GmbH, lange unter Backformen24 zu finden, nun als “Crust and Craft“.
Temperatursteuerung des Teigs (Lösung: Gärbox)
In vielen Rezepten finden sich so dubiose “Temperaturangaben” wie “Küche”, “Wohnzimmer”, “Heizungskeller” oder “Kellertreppe”. ***Räusper***
Nicht nur, weil heute längst nicht jeder ein Haus sein Eigen nennt, finde ich diese Handhabung sehr unpraktisch. Die Temperatur ist bei den einzelnen Schritten jedes Brotrezepts ganz entscheidend. Natürlich ging es “früher” auch ohne technischen Schnickschnack – aber unsere Brote sehen heute auch weit besser aus als noch vor zwei Generationen – es ging ja auch ums Sattwerden, nicht um lecker und hübsch.
Für etwa 70 Euro können wir uns das Equipment anschaffen, das uns bei der Teigführung unabhängig macht von den Lokalitäten Bett und Heizungskeller.
Wir brauchen dafür schlicht ein Behältnis, das relativ gut isoliert ist und das wir nach Belieben beheizen können. Manch einer modifiziert dazu seinen Backofen (der dann nicht nur backen, sondern auch wärmen kann, was von den Herstellern meist nicht vorgesehen ist), andere funktioniert dafür einen ausgemusterten Kühlschrank um. Alternativ empfehle ich die Anschaffung einer einfachen Styroporbox (in der exquisiten Ausführung: etwas, das der Pizzataximann vorm Bauch trägt), in die wir eine Terrarienheizung mit Thermostat verlegen. Ich habe es hier beschrieben: Gärbox für Brotteig, Pizza und andere Teiglinge.
Spoiler: Die Anschaffung der ersten Gärbox hat mein Brotbacken geradezu revolutioniert.
Unabhängig von Ihrer Methode der Teigtemperatur-Steuerung noch ein Hinweis: Die meisten Rezepte gehen nicht von einer Umgebungstemperatur aus, sondern direkt von der Teigtemperatur, denn nur diese ist von Bedeutung für das biologische Geschehen im Teig. Wenn wir dem Teig genügend Zeit geben, wird er letztlich immer (fast) die Umgebungstemperatur annehmen, aber so viel Zeit haben wir oft nicht bzw. wollen sie uns gar nicht nehmen, damit der Teig eben gezielt reift. Deshalb müssen entweder bereits alle Zutaten eines Teigs bzw. einer Teigstufe die gewünschte Temperatur haben. Oder wir müssen, wenn sie kühler sind, was meist der Fall sein dürfte, die den Teig umgebende Temperatur einige Grad höher wählen als die Zieltemperatur im Teig, damit wir möglichst schnell an diese Zieltemperatur herankommen.
Konkret: Sie nehmen einen Teig, Hefewasser oder sonst was aus dem Kühlschrank und wollen dort auch im Innersten 28 °C haben, dann stellen Sie die Umgebungstemperatur (bei mir: Thermostat der Gärbox) zunächst auf 35 oder 40 °C ein und regeln diese Temperatur erst dann runter, wenn Ihr Teig, Hefewasser oder sonst was annähernd die gewünschten 28°C erreicht hat. (Den Temperaturfühler in den Teig zu stecken klingt zwar naheliegend, empfehle ich aber aus vielfältigen Gründen nicht, u.a. weil die Teigoberfläche dann schon deutlich zu warm geworden sein wird, wenn das Thermostat die Heizung endlich abschaltet. Wir messen daher Teigtemperaturen zumindest in der Gärbox stets an der Teigoberfläche).
Teigling einschneiden
Wenn man ein Brot vor dem Einschieben (“Einschießen”) in den Backofen auf der Oberseite einschneidet, sorgt man für vorgegebene Dehnungsräume: der Brotteig kann dort seinem “Ofentrieb” nachgehen und nach oben wachsen, ohne das Brot an unerwünschten Stellen aufzureißen. Das ist z.B. bei einem Baguette unerlässlich. Anders bei Roggenteig: Da ein reines Roggenbrot im Idealfall im Ofen nur noch wenig aufgeht (man es also bei voller Gare einschießt), ist es in erster Linie eine ästhetische Frage, wo man die Risse haben will, den sogenannten Ausbund. Man kann z.B. den Laib vorm Einschießen kreuzförmig einschneiden, dann wird er ggf. minimal höher – und das Ergebnis sieht für manche ganz nett aus.
Einfacher und oft auch optisch schöner ist es allerdings, das Brot aus dem Gärkorb nicht direkt auf den Brotschieber zu stürzen und in den Ofen zu verfrachten, sondern (je nach TA) 10 bis 30 Minuten lang gestürzt (also “richtig herum”) außerhalb des Ofens stehen zu lassen. Im Haushalt setzt man das Brot dafür am einfachsten auf ein Backpapier, das man dann nach dieser letzten Reifezeit in den Ofen/ auf den Backstein/ Backstahl im Ofen zieht. Wie lange man tatsächlich warten sollte, hängt von der TA (Wasseranteil im Teig) und der Teigtemperatur ab. Der Teigling geht nach dem Stürzen in die Breite, dabei entstehen an seiner Oberfläche Risse – also das, was man ohne Wartezeit mit dem Messerschnitt verursacht.
Arbeitet man ohne Gärkorb, ist das Einschneiden ohnehin obsolet, weil der Laib schon während der Stehzeit vielfältige Risse und Löcher an der Oberfläche bildet, da ihn die Schwerkraft nach unten und damit den Teig insgesamt in die Breite zieht. Im Backhaus hat vermutlich früher niemand je Gärkörbe verwendet. (Ich arbeite allerdings auch am Backhaus mit Gärkörben, weil es für den Transport einfacher ist und man die TA deutlich höher wählen kann.)
Schon wegen des Themas “Teigling einschneiden” ist das Brotbackbuch Nr. 1 von Lutz Geißler zu empfehlen, der sich sehr ausführlich damit beschäftigt und zu jedem Brot die entsprechende Schnitttechnik erläutert. Dass die perfekte Ausführung dann trotzdem noch viel Übung verlangt, sollte klar sein.
Welche (feinen) Unterschiede das Einschneiden macht (und wie sich die Stückgare auswirkt) zeigt ein französisches Video gut. Sowie hier nur Einschneide-Techniken.
Wenn Sie einschneiden wollen, gilt wie immer: erwarten Sie nicht, dass es bei den ersten Malen perfekt klappt! Es geht um die richtige Schnitttiefe, den Winkel, vor allem aber um das Tempo (es muss ein sehr schneller, beherzter Schnitt sein, je feuchter der Teig umso mehr).
Für das zu verwendende Messer gibt es ebenfalls sehr verschiedene Tipps. Ich nutze, nachdem ich alles Mögliche ausprobiert habe, stets eine Rasierklinge. Und zwar ohne Halterung (die ich mir zwar gekauft habe, die ich aber sehr unpraktisch finde, man hat mit der Klinge direkt zwischen den Fingern einfach die beste Kontrolle). Manche Teige wie Panettone werden auch mit der Schere eingeschnitten.
Natürlich gibt es auch Brote ohne jeden Ausbund, also mit glatter oder allenfalls gestippter Oberfläche. Dazu braucht es neben der Vollgare einen festen bzw. stabilen Teig (also relativ geringe TA oder hoher Weizenanteil)
Lagerung von Brot
– Frisches Brot lagert man am besten einfach offen, auf einem Holzbrett (sofern man es täglich “bewegt”) oder direkt an der Brotschneidemaschine, wenn man eine benutzt. Auf die Schnittkante stellen bzw. bei der Maschine die Schnittkante an die Maschine setzen (Schneidestärke auf Null), dann trocknet es nicht unnötig aus, andererseits bleibt eine gute Kruste kross, solange die Luftfeuchtigkeit nicht zu hoch ist. In jeder Art von Topf oder sonstigem Brotbehälter hingegen wird die Kruste zwangsläufig sehr schnell lätschert, weich, und das schmälert den Genuss doch ungemein. Hat man viele Fliegen in der Stube (auf den letzten Dörfern mit Kuhställen unvermeidlich), kann man ein Geschirrhandtuch locker über das Brot legen. Sehr saures Brot zieht allerdings ggf. Fruchtfliegen an, und da hilft auch kein Tuch. Offen gelagertes Brot ist mir noch nie geschimmelt.
– Den Alterungsprozess kann man ansonsten nur durch Kühlung hinauszögern, also im Kühlschrank oder – für längere Zeit – im Eisfach. Bei halbwegs trockener Luft regeneriert sich die Kruste wieder ganz von selbst, wenn man das Brot dann zum Gebrauch (dauerhaft) aus dem Kühlschrank oder Tiefkühler geholt hat. Ansonsten kann man es einmal aufbacken (je nach Größe ca. 15 Minuten bei 180 bis 200 °C).
Baguette hält sich in eine dichte Tüte eingepackt im Kühlschrank locker zwei Wochen, Toastbrot mehrere Wochen, gekauftes nach meinen vielen Teste sogar Monate über das angegebene Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus. In einem meiner Tests war das No-Name-Toastbrot noch nach einem Jahr Kühlschranklagerung (bei ca. 3°C) unverschimmelt und nicht ausgetrocknet.
Aber: Alles Irdische ist vergänglich. Besser wird Brot durch kühle Lagerung nie, es bleibt nur länger essbar.
– Brot lässt sich wie so vieles problemlos einfrieren. Zum Verzehren legt man es am besten mit Verpackung (Gefrierbeutel oder was immer Sie nehmen bzw. für die Größe Ihrer Brote benötigen) zum Antauen bei Zimmertemperatur und backt es dann kurz auf, wenn es aufgetaut ist. (Einige empfehlen, es im gefrorenen Zustand aufzubacken, ich konnte das bisher nicht als bessere Methode bestätigen.) Ggf. kann man es vorm Aufbacken noch mit Wasser absprühen. Gegebenenfalls meint: es ist nicht immer ein guter Tipp. Das Prinzip ist klar, durch die Hitze des Backofens entsteht Wasserdampf, der z.T. auch in das Brot/ Brötchen eindringt, den Wasserverlust durchs vorherige Lagern und nun Aufbacken etwas kompensiert und das Brot frischer wirken lässt. Bemehlte Brote sehen allerdings unschön aus, wenn man sie mit Wasser besprüht, und bei Weißbrot wird die Kruste oft zu spröde, löst sich leicht von der Krume, die Befeuchtung vorm Aufbacken hat dann also unterm Strich einen eher negativen Effekt. Und Roggenbrote (insbesondere mit Malzanteil) werden durchs Besprühen mit Wasser vorm Aufbacken sehr dunkel bis schwarz, was ebenfalls kein Gewinn ist.
+ Zum Befeuchten empfiehlt es sich daher, nur in den Ausbund zu sprühen. Für Brötchen (und ggf. Baguette) perfekt: vor dem Aufbacken aufschneiden, die Schnittflächen mit Wasser besprühen und wieder zusammengesetzt in den Ofen geben (ca. 8 Minuten, bis die Brötchen im inneren heiß geworden sind). Das schmeckt wie frisch gebacken.
+ Wenn Sie schon wissen, dass Sie Brot einfrieren wollen, backen Sie es möglichst hell aus. Bräunung kann man dann beim zweiten Backen erzeugen (es gibt ja auch Brote im Laden, die gleich so fabriziert werden, sog. Doppelback). Dunkle Krusten neigen beim Einfrieren sehr zum Ablösen von der Krume.
Siehe zum Auftauen auch: Stiftung Warentest.
Weitere Texte zum Brotbacken
sind gesammelt auf der Übersichtsseite “Brotbacken – Blogübersicht“.
(Letztes Update: 2. Juni 2024)
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