Keine Strafverteidigung für Ungeimpfte

* Man sehe „bei Corona“ vieles Bekannte „wie unter einem Brennglas“, hieß es im ersten Pandemiejahr ständig. Fakt ist, dass sich manches klarer zeigt als zuvor, weil die dichotome Gesellschaft klare Bekenntnisse fordert und für Zwischentöne keinen Platz mehr hat. Da entpuppt sich dann halt der ein oder andere Larifari doch als Hirnie. Schon vor 12 Jahren, als ich mal mit Facebook experimentiert habe, wollte ich eine humanethologische Serie über die Selbstdarstellung machen, die wir dort sehen konnten. Aber ich fand es dann doch zu simpel, zu selbstoffenbarend, als dass ich aus der begonnenen Materialsammlung etwas gemacht hätte.
Aber eine Dekade später stoße ich noch immer auf dieselben Peinlichkeiten. Ist Selbstbeweihräucherung schick, habe ich da eine Mode verpasst? Oder stört es nur einfach nicht, wenn es der guten Sache dient? Beispielhaft mal dieser Post von Twitter:

Hoenig twitterte: „Anrufer (mit sächsischen Dialekt) möchte eine Verteidigung gg. den Vorwurf einer Impfpass-/ Testfälschung u. gg. die fristlose Kündigung durch seinen Arbeitgeber. Ist es frech, wenn ich schreibe, dass ich als ‚3-fach geimpfter Strafverteidiger‘ dieses Mandat nicht übernehmen möchte?“
Man wird ja keinem Rechtsanwalt der Welt erklären müssen, wie die Rolle von Rechtsanwälten als Organ der Rechtspflege gedacht ist. Dass der Strafrechtsverteidiger eines (mutmaßlichen) Mörders kein Mordsfreund sein muss, sondern ganz im Gegenteil von der Gesellschaft Respekt dafür verlangen kann, dass er sich um ein faires Verfahren in Anwaltschaft für den Beschuldigten einsetzt.
Aber bei Corona hört der Spaß eben auf. Da steht das Glaubensbekenntnis an erster Stelle, über allem, die Gretchenfrage schlechthin. Deshalb bekommt RA Carsten Hoenig auch nur wenige Fragen zu seiner Liebe für Wirtschaftskriminelle und viel Applaus für seine Ablehnung mutmaßlich ungeimpfter Mandanten. Ach ja, wenn sich doch immer so einfach die Spreu vom Weizen trennen ließe. (Hoenig, das ist hier zwar nicht der ganz ein wenig ähnlich aussehende Schauspieler, aber doch, ja, der mit der coolen „Kanzlei-Wanne„, dem Ex-Polizeiauto für alternative Sofortberatung.) Aber wenn wir schon mal beim Hoenig sind: Er ist auch Experte für Impfempfehlungen.

* Nicht unterm Brennglas zumindest des Medienmainstreams liegt, was den sehr simplen Erzählstrang durcheinander bringen könnte. Rund um Zahlen und daraus erstellten Statistiken gibt es da jede Menge Beispiele, aber dieses hier ist besonders eindrücklich:
Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hat seine Inzidenzwerte zu positiven Coronatests bei „Geimpften“ und „Ungeimpften“ reichlich frei erfunden. Denn wo es zum Testergebnis keine Angabe zum Corona-Impfstatus gab, hat das Amt schlicht „ungempft“ eingesetzt – weil das, wie es nun in einer Pressemitteilung rechtfertigt, der naheliegendere Wert sei. Zitat von Nordbayern.de:

Demnach waren in der beispielhaften Woche vor dem 24. November von 81.782 gemeldeten Infizierten 14.652 ungeimpft und 9641 geimpft. In 57.489 Fällen – das sind etwa 70 Prozent – sei ein Impfstatus nicht erfasst worden. (Nordbayern.de / Nürnberger Zeitung / Nürnberger Nachrichten, 5.12.2021)

* Aber auf die Behörden zu schimpfen ist einfach, schließlich sind sie immer von der Politik abhängig. Schimpfen wir lieber auf den Journalismus. Da ist es trotz erster Mahnungen vor knapp zwei Jahren bis heute mit dem Zahlenjonglieren auch nicht besser geworden. Einigermaßen sensationell folgende Schlussfolgerung von Olaf Gersemann. Der Mann berichtet seit langem täglich von den Corona-Zahlen, das kann man gar nicht unbeschadet überstehen, fürchte ich.

 

+ Noch kurz vor Corona habe ich vor zwei Jahren schon mal recht vergeblich dafür geworben, dass aus demokratischer Sicht nichts für ein „Böllerverbot“ spricht. Und ja, ich bin absolut kein Fan von Silvesterfeuerwerk, habe selbst als Jugendlicher nie Interesse daran gehabt und kenne Zeit meines Lebens den Stress unserer Hunde in diesen Tagen. Trotzdem, es geht nicht immer nur darum, was man selbst will, schon gar nicht, was die meinungsführenden Gruppen wollen (die an sich ja schon eine Demokratiebedrohung sind). Nun jedenfalls nochmal, weil die Politik zum zweiten Mal ein populistisches Feuerwerks-Verkaufsverbot beschlossen und große Böllerverbotszonen gefordert hat: „Corona legitimiert längst jedes Verbot“.

+ Irgendwo mal von Corona verschont zu werden ist eine echte Pfadfinderaufgabe. Rein auf Nachrichten bezogen gibt es von der ZEIT das Angebot „Alles außer Corona“ (wobei so ganz sicher ist man da auch nie). Aber ich habe da möglicherweise was entdeckt: WTFM 100,Null, 20-Minuten Klamauk-Radio-Persiflage. „Witzsendungen“ dürften zu den schwierigsten Genres überhaupt zählen, aber ich habe die ersten sechs Folgen am Stück weggehört und bin sehr begeistert. Ja, es kommen alle Klassiker  vor, die Fußballreportage, das Radio-Kultur-Geschwafel, sogar die unerträgliche „Sternzeit“ aus Deutschlandfunk „Forschung aktuell“ wird persifliert. Aber all diese Klassiker sind gut gemacht. Und bislang scheinen alle ihr Fett abzubekommen. Also klare Hörempfehlung, um mal abzuschalten. #Comedy

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