Impfung: Wahrheit oder Pflicht?
Dass die nun kommende Impfpflicht gegen das Corona-Virus die Konsequenz aus Fehlverhalten der Bevölkerung sei setzt dem unwissenschaftlichen Pandemie-Klabauter nur die Krone auf. Neu ist daran leider nichts. Denn schon zu allen Prognosen und Modellierungen, die sich als weit ab von der Realität erwiesen, hieß es: die Menschen hätten sich halt anders verhalten als erwartet. Kurz und bündig brachte sein Verständnis von Freiheit und Wissenschaft der designierte Kanzler Scholz auf den Punkt. Als Paul Ronzheimer ihm sagte, mit einer Impfpflicht würden alle Verschwörungstheorien wahr werden, entgegnete er:
„Die Verschwörungstheorien werden auf eine ganz bittere andere Weise gerade wahr. Es ist doch so, dass tatsächlich die Tatsache, dass es so viele sind, die sich nicht haben impfen lassen, die Ursache dafür ist, dass wir heute als ganzes Land eine große Problemlage haben.“
(Olaf Scholz, 1.12.2021 bei Bild-TV)
Inhaltlich gleich NRW-MP Hendrik Wüst, der laut SPIEGEL in der Sendung »Frühstart« von RTL/ntv gesagt hatte, die Politik habe mit Blick auf die Impfpflicht Wortbruch begangen.
„Man kann das Wort nicht halten, was man gegeben hat. Es waren auch Versprechen, die gegeben worden sind vor dem Hintergrund, dass man geglaubt hat, es würden sich alle impfen lassen. Das ist nicht passiert“, sagte Wüst. Jetzt müsse man aber mit dieser Situation umgehen, so Wüst. Er befürworte eine »breite Diskussion« zu dem Thema.
Die Logik, die auch von der großen Mehrheit der inzwischen Geimpften geteilt wird: und bist du nicht willig so brauch ich Gewalt. Wenn du nicht freiwillig tust, was ich will, dann zwinge ich dich eben dazu. Ausgerechnet der Herausgeber des Verfassungsblog, in dem einige kritische Beiträge zu den Grundrechtseinschränkungen durch die „Corona-Politik“ erschienen sind, äußerte sich in seinem Editorial geradezu populistisch:
> Die Impfgegner sind eine Minderheit. Und diese Minderheit fühlt sich unterdrückt: Wir werden drangsaliert und marginalisiert und bedrängt und unter Druck gesetzt! Die geimpfte Mehrheit will uns ihren Willen aufzwingen!
Oh, wenn es nur so wäre.
Die Impfgegner haben ihre Meinung über das Virus, über die Pandemie, über die Impfstoffe und ihre jeweilige Gefährlichkeit. Die tragen sie vor, lautstark und ausführlich, unter anderem in der Kommentarsektion des Verfassungsblogs, und das ist alles schön und gut, aber interessiert mich nicht besonders. […] Was mich und die geimpfte Mehrheit an dieser Minderheit interessiert, sind nicht ihre Meinungen, nicht ihre Werte und Präferenzen, nicht ihr Lebensentwurf, sondern die Gefahr, in die sie mich und uns alle bringen. Deren Existenz und Ausmaß schätzen wir unterschiedlich ein, richtig. Aber wir sind in der Mehrheit. Wir können sie überstimmen. Hätten wir schon längst machen können.<<
(Maximilian Steinbeis, Verfassungsblog)
Die Gefährlichkeit von etwas wird per Mehrheitsbeschluss festgelegt? Die Grenzen der Freiheit definiert ebenfalls die Mehrheit? Das ist das billigste, ja schrecklichste Verständnis von Demokratie, denn es bedeutet schlicht Tyrannei wechselnder Mehrheiten.
Am einen Tag versprechen die Herrscher, es werde niemals eine Impfflicht geben, am anderen sagen sie, das müsse man nun leider revidieren, weil die dummen Bürger sich dumm verhalten hätten. Man kann aber auch sagen: Solange die Mehrheit noch gegen eine Impfpflicht war, hat natürlich auch die Politik sie nicht forciert. Sobald deutlich mehr als die Hälfte der (stimmberechtigten) Bevölkerung jedoch geimpft war, stand die Chance gut, nun das, was bis dahin eine Mehrheit aus mehr oder weniger freien Stücken für sich entschieden hat, der verbliebenen Minderheit per Gesetz abzuverlangen.
Seit Monaten drischt der Journalismus in nur noch propagandistisch zu nennender Intensität auf Ungeimpfte ein. Wie bei evangelikalen Predigern wird die Erleuchtung durch „den kleinen Piks“ gepriesen, allerdings nicht nur wöchentlich, sondern stündlich, minütlich, auf allen Kanälen, in allen Formen. Dabei blenden die Kollegen natürlich absichtlich aus, dass auch die Mehrheit der heute Geimpften zunächst zögerlich war (wie immer übrigens). Im November 2020, kurz bevor es losging, erklärten in einer Umfrage nur 40%, sich impfen lassen zu wollen.
Trotzdem versicherte die Politik immer wieder, es werde keine Impfpflicht geben. Nun zu behaupten, man habe geglaubt, es würden sich alle impfen lassen, ist absurd. Wer das ernst meint, ist für leitende Politikämter wohl denkbar ungeeignet, wer es nicht ernst meint und trotzdem sagt, sollte seine Machtgelüste in einer anderen Staatsform ausleben.
Am Thema Impflicht könnte die Journalistik sehr eindrücklich erforschen, wie Medien ein Thema setzen, vorantreiben, am Kochen halten ohne es je zu klären, vermutlich aus einer Mischung an wirtschaftlichem und politischem Eigeninteresse. Man muss immer wieder daran erinnern, dass Politikjournalisten keineswegs repräsentativ für die Bevölkerung sind, sondern sich selbstverständlich und zwangsläufig völlig mit den Abläufen, den Regeln, den Merkwürdigkeiten des Politikbetriebs gemein machen; sie sind „embedded“. Und natürlich waren sie die ersten im Impfzentrum, schließlich war von Anfang an klar, dass man nur als Geimpfter noch mitspielen darf – und eine Beobachtung rein von außen kommt für Politikjournalisten nicht in Frage. Aus dem großen Fundus ein Teaser der Wochenzeitung „Freitag„, weil man’s vielleicht gerade bei diesem eher linken Blatt so nicht erwartet:
100.000 Tote hat das Virus gekostet, doch Deutschland sorgt sich weiterhin um die Befindlichkeiten einer Minderheit. Wir sollten aufhören, uns in die Ecke drängen zu lassen.
(Lutz Herden, der freitag)
Wir, das sind die Guten, die Geimpften, und dieses „Wir“ ist Deutschland. Dem gegenüber steht irgendeine Minderheit (für deren Leben man sich, siehe Verfassungsblog, ohnehin nicht interessiert), die – so kann man es zumindest verstehen – für 100.000 Tote verantwortlich ist (zumindest ohne die Zahl ist diese Position journalistischer Mainstream). Diese Minderheit, die angeblich das gute Deutschland in die Ecke drängt, darf selbstverständlich selbst nicht mitreden – es wäre ja noch schöner, wenn ungezogene Kinder angehört würden, bevor elterliche Strafaktionen vollstreckt werden.
In den Medien wurde das Stichwort Impfpflicht von Anfang an jongliert. Quasi als Testballon hat man mal auf die Pocken verwiesen, mal einen Verfassungsrechtler sein grundsätzliches Okay geben lassen. Trotzdem galt jede Warnung vor einer Impfpflicht als Verschwörungstheorie (oder als verfassungswidriges Misstrauen in die staatliche Organisation). Dass sie nun verbindlich kommen wird (und schon längst als indirekte Pflicht präsent ist, was die Politik ebenfalls ausgeschlossen hatte und was vom Journalismus als infames Unterstellen von Unlauterkeit weggewischt wurde), kann leider nicht mehr überraschen.
Noch mit Datum 1. Dezember 2021 findet sich unter den Corona-Mythen bei der Bundesregierung das Gerede von einer Allgemeinen Impfpflicht. Am 2. Dezember steht sie im Bund-Länder-Beschluss.
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