Joshua Kimmich, Till Reiners und die Langzeitfolgen einer Corona-Impfung

Was ist eine „Langzeitwirkung“? Rund um die diversen Corona-Impfungen erklären uns allerhand Medien und Medienakteure, dass die „Langzeitwirkungen“ einer Corona-Impfung schon längst bekannt seien. Beispielhaft dazu, was der Comedian und Kabarettist Till Reiners in der Fritz-Sendung „Talk ohne Gast“ gesagt hat. Ausgehend von der medialen Präsenz um das Bekenntnis des Fußballspielers Joshua Kimmich, nicht geimpft zu sein, weil er da noch Fragen habe, führte Reiners aus (der zuvor unumwunden seinen Missionseifer für die Impfung auch mit beruflichen Eigeninteressen begründete – denn der Kulturbetrieb sei wieder der erste, der dicht gemacht werde, wenn die Politik die Pandemie mit Maßnahmen eingrenzen will) [ungefähres Transkript]:

„Ich habe mich auch ein bisschen drüber lustig gemacht [über Kimmich], bei der Heute-Show, ich meine, das ist ja auch unser Job. […] [Langzeitfolgen einer Impfung sind] Nebenwirkungen, die in den ersten Stunden oder ersten Tagen  auftreten […] Und es gibt bisher bei keiner Impfung sowas wie: dann merkt man nach zwei oder drei Jahren, dass jemand tot umfällt oder so; oder der hat dann Nebenwirkungen; das taucht nicht auf. Sondern es gibt eine sehr schnelle Körperreaktion, und die kriegt man aber erst mit oft, wenn man sehr, sehr viele Menschen impft. Nun sind aber mehrere Milliarden Menschen schon geimpft worden, also man weiß  jetzt, es gibt nichts, was so gut getestet wurde sozusagen, wie diese Impfstoffe, und man weiß jetzt sehr, relativ präzise, was so Nebenwirkungen sind und man stellt fest, aha okay, die sind alle, da gibt’s welche, ich hatte z.B. auch welche, ich hatte auch Fiber, lag im Bett und so, habe ich erzählt,  die sind aber alle im Vergleich zu Corona-haben absolut handelbar. So, das ist rausgekommen. Und das könnte auch ein Fußballspieler wissen. Aber man muss die Information halt zu den Leuten bringen,“
(Till Reiners in „Talk ohne Gast“ vom 5. November 2021, ab ca. Minute 58)

Da Reiners zwar ein kluger (und von mir sehr geschätzter) Kopf, aber auf dem Gebiete, über das er spricht, wohl doch Laie ist, hat er sich bei seiner Belehrung auf das gestützt, was in den Medien rund um die Corona-Impfungen seit langem verbreitet wird und auch alle Suchmaschinen als erste Treffer auswerfen. Alle Faktenchecks erklären, welche Stoffe wie schnell im Körper abgebaut werden und dann nicht mehr nachweisbar sind, so dass von ihnen gar keine Nebenwirkungen mehr ausgehen können. Alles richtig – aber wie so oft eben maximal „die halbe Wahrheit„. Ignorieren wir – als uns selbst für halbwegs vernünftig haltende Wesen – den Klimbim, der tatsächlich in Schwurbler-Foren verbreitet wird, bleibt doch eine sehr einfache Feststellung: eine Langzeitfolge ist, was erst nach langer Zeit feststellbar ist. Und das lässt sich auch mit keiner Modellrechnung vorhersagen, denn niemand kennt die Zukunft, so banal das klingt.

Von einem Impfstoff, der noch nicht einmal ein Jahr auf dem Markt ist, kann schlicht niemand sagen, welche „Langzeitfolgen“ er in zwei, drei oder zehn Jahren haben wird. Man kann, wenn man mag, gerne annehmen, dass da nichts kommen wird, weil man ein gewisses Zeitfenster schon beobachtet hat und Vergleiche zu anderen Stoffen anstellen kann. Aber WISSEN kann es niemand.

Das ist der erst und grundsätzliche Punkt in dieser Diskussion. Denn es wird für dumm erklärt, wer Zukunftsprognosen für Prognosen hält – obwohl das ja der Standard sein müsste, wenn natürlich auch der Grad der Ungewissheit je nach Fall sehr unterschiedlich ist. Und man in vielen Fällen eine gewisse Unsicherheit für eine Entscheidung akzeptieren wird, weil nichts zu tun mit größerer Sicherheit die schlechtere Entscheidung sein wird. Für individuelle Entscheidungen gibt es dabei aber keine allgemeingültige Abwägung. Da es schließlich keine Instanz gibt, die die Verantwortung für solche Zukunftsprognosen übernehmen könnte, ist es bei allem, was einen selbst betrifft, die eigene Verantwortung. Ob eine Ehe gut oder schlecht verlaufen wird, sollten wohl besser die (angehenden) Ehepartner für sich entscheiden, als eine irgendwie geartete Ehe-Ethik-Kommission. Wenn hingegen viele bis alle Menschen von einer Handlung betroffen sind (Stichwort: Klimawandel), dann muss man sich verständigen, welchen (immer unsicheren) Prognosen man vertrauen will.

Ich überspringe jetzt mal den hinlänglich diskutierten Punkt, ob die Corona-Impfung eine individuelle Entscheidung oder eine Gruppenentscheidung sein sollte (dass grundsätzlich jede individuelle Entscheidung auch Auswirkungen auf andere hat, ist selbstverständlich, das gilt aber für jeden Coffee-to-go, jede Urlaubsreise, die Ernährung, die Entscheidung, Kinder zu bekommen oder nicht und alles andere ebenso). Die Frage ist hier nur: Was sind Langzeitfolgen und können wir sie bei den Corona-Impfstoffen verlässlich für die Zukunft abschätzen, obwohl wir noch gar nicht in dieser Zukunft sind, also keine Empirie vorliegt?

Wir können die Langzeitfolgen von Corona-Impfungen heute noch nicht kennen, und zwar nicht nur aus grundsätzlichen (und ggf. auch dogmatischen) Gründen, sondern evidenzbasiert: Einige wichtige Prognosen zu den Impfstoffen sind schon falsifiziert worden, haben sich als falsch herausgestellt. Was keineswegs grundsätzlich gegen diese Impfstoffe spricht, wohl aber gegen die Prognosesicherheit, also (ggf.) auch den Ausschluss von Langzeitwirkungen.

Der Biontech-Impfstoff hatte schon alle Tests durchlaufen, war auf dem Markt und wurde massenweise gespritzt, da prognostizierte Firmenchef Ugur Sahin: Geimpfte werden das Virus nicht mehr übertragen, und der Impfschutz sollte etwa anderthalb Jahre anhalten. Nun hat sich gezeigt: Geimpfte sind sehr wohl noch anfällig für das Corona-Virus, sie können daran erkranken, auch sterben, und sie können es vor allem auch verbreiten (ggf. „asympthomatisch erkrankt“, wie das so verrückt heißt).  Und der Impfschutz lässt wesentlich früher nach, u.a. Österreich hat gerade beschlossen, dass nach neun Monaten die Impfung nicht mehr gilt, der Wirkungsabfall tritt wesentlich früher ein (z.B. ganz anders als bei einer Tetanus-Impfung), und Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery wollte sich bei Anne Will nicht festlegen, ob nach sechs, neun oder zwölf Monaten eine neue Impfung fällig ist.
Ohne jede Häme zeigt dies deutlich, dass ein wesentlicher Aspekt der Langzeitfolgen nicht klar war. Das für sich spricht keineswegs gegen die Impfung – aber es spricht gegen die behauptete Kenntnis der Zukunft.

Zudem meint „Langzeitfolgen“ viel mehr. Wie Menschen nach der dritten, vierten, fünften Impfung reagieren werden, weiß heute noch niemand – weil es eben schlicht keine Daten dazu gibt. Niemand kann wissen, wie das menschliche Immunsystem darauf reagiert, wie sich das Virus aufgrund der Impfungen verhalten wird. Niemand kann wissen, welche Auswirkungen die Impf-Immunisierung auf all das hat, was in der Zukunft noch kommt. Es kann noch gar keine Langzeitstudie zum Erkrankungsrisiko Geimpfter vs. Ungeimpfter geben. Jeder darf solche Vorbehalte als haltlos bewerten, als Angstmacherei – aber eben nur für sich.

Wie schon für den gesamten Corona-Journalismus als grundlegendes Problem herausgearbeitet werden hier Meinungen mit Tatsachen verwechselt. Alle Aussagen über die Zukunft sind zwangsläufig Meinungen, keine Tatsachen. Man kann sie mehr oder weniger  wahrscheinlich finden, ihnen vertrauen oder nicht. Manches wirkt so selbstverständlich, dass wir alle es als Tatsache statt Meinung sehen werden („Auch morgen früh wird die Sonne aufgehen“) – nur „Wissen“ ist es eben nicht, es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Tatsache.

Wenn jemand sagt, er wisse noch nicht, wie sich eine Corona-Impfung auf die Zukunft auswirken werde, dann hat er zunächst einmal vor allem: recht. Alles Weitere ist die Abwägung von Wahrscheinlichkeiten, von Glaube, von Hoffnung. Auch darüber kann man natürlich streiten, diskutieren – das tun wir ja ständig. Aber es gibt nicht die eine Wahrheit. Es gibt natürlich wahrscheinlichere und unwahrscheinlichere Szenarien (dass morgen die Sonne nicht aufgeht, weil eine Aliens-Invasion sie verdunkelt, ist eher unwahrscheinlich). Aber deswegen ist noch lange kein Spinner wer sagt, er wisse nicht genug über die Langzeitfolgen einer Impfung, die es noch kein Jahr gibt.

Pro und Contra Corona-Schutzimpfung
In den sozialen Medien finden sich seit nunmehr einem Jahr die immer gleichen Argumente für und gegen eine Impfung. Die Medien kommen regelmäßig nach langem Tiraden zum Schluss, dass unterm Strich alles für eine Impfung spreche (und damit nachfolgend dann für eine Impfpflicht). Lassen wir aus dem ganzen Blabla mal die Luft raus, bleiben für beide Seiten wohl drei Argumente.

Pro-Corona-Impfung:
— Schutz vor Erkrankung oder wenigstens schwerem Verlauf (weniger Intensiv ist da inkludiert)
— weniger Weiterverbreitung und damit Schutz Dritter
— Rückkehr ins „normale Leben“ für die ganze Gesellschaft / Welt

Contra Corona-Impfung:
— Unsicherheit, zu wenig erprobt, unbekannte Nebenwirkungen
— individuelle Risikoabwägung
— gesellschaftliche und globale Nebenwirkungene (z.B. Escape-Mutationen)

Mehr ist es nicht. Beide Positionen argumentieren logischerweise vor allem egoistisch, denn dafür ist Medizin da (und die altruistische Variante bleibt die Ausnahme, am häufigsten wohl bei der Blutspende, am seltensten bei Organspenden zu Lebzeiten). An die False-Balance-Rufer: eine solch simple Pro- und Contra-Liste ist stellt gerade keine Gewichtung da. Es bleibt eine individuelle Abwägung, die man natürlich mit Daten unterfüttern kann (Wahrscheinlichkeiten).

Zu Escape-Mutationen, also der Begünstigung neuer Virusvarianten durch Impfungen, siehe kurz und mit Schlagseite auf der Pro-Impfungsseite eine ZDF-Erläuterung, ausführlich und mit klarer Abwägung zur Contra-Impfungsseite ein Nachdenkseiten-Interview mit Stefan Tasler (pdf oder Podcast in drei Teilen 1, 2, 3)

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