Tiefgefrorene Nacktschnecken

+ Als vor wenigen Tagen (am 30. September 2021) eine Gesprächsreihe unter dem Titel “Alles auf den Tisch” online ging, wiederholte der Journalismus exakt das Drehbuch von #allesdichtmachen. Beispielhaft dafür eine Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa), dem Hauptversorger deutscher Medien. In dieser einen Meldung steckt reichlich viel von all den Unzulänglichkeiten des Journalismus, die ich in einer recht ausführlichen Reihe bei Telepolis beschrieben habe. Aber urteilen Sie selbst. Urteilen Sie, wie gut diese dpa-Nachricht den Informationsauftrag des Journalismus erfüllt. Der Gag ist: man kann sie einfach so weglesen, es gibt keine großen Aneckpunkte. Und doch ist am Ende nur eine Meinung gesetzt, ohne jegliche Basisinformation zu dem, was da Bemeint wird. Der Prüfungstest für diese  Behauptung: Beschreiben Sie nach Lesegnuss selbst, was Inhalt der 53 Gesprächs-Videos ist (natürlich ohne sie zu schauen oder anderes dazu zu lesen). Sie werden allenfalls einen ganz kurzen Satz zustande bringen, und dass der wirklich korrekt ist, müssten  wir dann nochmal gemeinsam schauen. Es ist um Verzweifeln.

+ Existenzberechtigung dieser Verzweiflung ist beispielhaft, was Christian Ulmen im Podcast “Hotel Matze” gesagt hat. Es ging – erst am Ende und nur kurz – um Corona, um #allesdichtmachen. Geschenkt, dass es kein typisch journalistischer Podcast ist (aber auch kein explizit nicht-journalistischer natürlich!), aber im völlig undifferenzierten, null hinterfragten Geraune über die Satire-Videos räumt Christan Ulmen ein, dass der Lockdown massive Nebenwirkungen hat, konkret für  Kinder, bei denen psychische Erkrankungen deutlich zugenommen haben sollen. Und dann fragt Ulmen rhetorisch (!), ob man deshalb keinen Lockdown hätte machen sollen. Es brauche halt Aufklärung über Hilfsangebote, damit die – jetzt polemisiere ich etwas – verstörten, geschundenen, vergewaltigten Kinder therapiert werden können.
Ich habe von Ulmen und Fahri Yardim keine neuen Erkenntnisse zur Corona-Politik erwartet, das  Thema kam wie gesagt überraschend am Ende. Aber wie deutlich Ulmen an diesem Punkt seine Denkverweigerung dokumentiert, hat mich geschockt. Denn es heißt: wir haben zwar nie vorher über die Kollateralschäden gesprochen, aber sie sind ohne Wenn und Aber notwendige Opfer, um die man sich halt später kümmern muss.

+ Spätestens nach 10 bis 15 Folgen habe ich von einem Podcast genug. Die meisten breche ich natürlich nach wenigen Minuten ab (aber über die würde ich mich nie äußern, denn außer, dass sie mich nicht angesprochen haben, könnte ich ja nichts dazu sagen). Doch auch die, welche mir zunächst sehr gut gefallen, gehen mir irgendwann auf den Keks. Eben so nach 10 bis 15 Folgen, geschätzt. Bei manchen versuche ich es nach einer Pause nochmal, aber das Ergebnis ist stets dasselbe, und das heißt, mit Nüchternheit betrachtet: der Reiz ist verfolgen, die Linien sind bekannt, es kommt zu wenig Neues, Überraschendes, als dass ich nicht in den Predigthörermodus abrutschen würde – und da mag ich nicht sein, egal wie toll die Typen sind.
Ich bin überzeugt, dass es auch richtig ist, sich von guten Podcasts wieder abzuwenden. Ob nun  nach 3 oder 30 Folgen oder eben irgendwas dazwischen ist völlig egal. Aber blinde Gefolgschaft ist ja immer schwierig. Und verschließt den Zugang zu anderem. (Der alte Platzhirsch blockiert halt.)
Auf dem Weg zur Abschalt-Entscheidung werde  ich natürlich immer kritischer. Das, was gut ist, kennt man ja schon zunehmend, also richtet sich die Aufmerksamkeit auf das, woran man sich stoßen kann. Dazu zwei Beispiele.
Talk ohne Gast” (RBB) mit Till Reiners und Moritz Neumeier hatte ich irgendwann Mitte 2020 in die Pause geschickt, vor allem, weil mir Neumeiers Moralisieren und seine Bescheidwisserei gegenüber Reiners auf den Senkel gegangen ist. Nun habe ich nach der Sommerpause 2021 wieder reingehört. Die beiden sind unbenommen gut, vor allem Reiners ist eine Stand-up-Granate (was immer sie vorher absprechen, es kommt sehr gut). Aber es git eben zunehmend Stichworte (und vor allem immer wiederkehrende), bei denen ich sehr genau weiß, was von den beiden folgen wird. Und da ist es völlig egal, ob ich zustimmen oder widersprechen mag: es sind keine Songs, die ich immer wieder hören möchte.
Wie ich mal zum “Kleinen Fernsehballett” gekommen bin, weiß ich nicht mehr, im Zweifelsfall jedenfalls nicht mit Vorschusslorbeeren, weil ich Stefan Niggemeier zwar für seine journalistische Arbeit sehr hoch schätze, ich aber auch seit Jahren weiß, wo er jubeln und wo er protestschreien wird. Da gibt es gerade überhaupt keine Überraschung mehr. Vermutlich war es daher Sarah Kuttner, die mich in dem zunehmend längeren  Anfangsgeplänkel interessiert hat, weil sie zwar unglaublich nervig sein kann, aber eben immer mal Unvorhergesehenes raushaut (und dafür dann auch meist von Niggemeier gemaßregelt wird). Aber davon ab: selbst wenn ich diesen Teil überspringen und mir nur die reinen Film- und Serienbesprechungen anhören würde, fehlte inzwischen die Überraschung. Man hat ja irgendwann begriffen, wie der Rezient tickt, also weiß man auch, was Beifall  und was Buh-Rufe ernten wird.
Und man entdeckt zunehmend blinde Flecken seiner Protagnoisten: Man sieht, wo sie sich nicht auskennen, wo sie Quatsch erzählen – oder wo sie einfach nur extrem langweilig sind.
Für die (bisherigen) Mit-Hörer möchte ich dazu auf eine Stelle in der ersten Folge der aktuellen, wohl schon zehnten Staffel verweisen:
Kuttner erzählt darin, wie sie und ihr Götter-Gatte gegen eine “Schneckenplage” im Garten vorgegangen sind. Zum einen läuft der Mähroboter wieder regelmäßig, denn wenn er nicht kontinuierlich sein Schneidwerk verrichtet, wächst das Gras auf eine Höhe, die Schnecken ein Zuhause bieten könnte. Zum anderen werden die gesichteten Schnecken (wohl, sie deutet es nur kurz an) mit kochendem Wasser vernichtet.
Die  Spießigkeit, die die Benutzung eines Mähroboters ausstrahlt, hätte normalerweise schon allein genügt, mich von einem Podcast zu vertreiben. Hier aber gehörte sie noch einen Moment lang zur Spannung, die zwischen der Liebe zu solch einer Gartenwüste und der Beschimpfung Geh doch AfD wählen liegt.
Zur Tötung von Schnecken sei angemerkt, dass nach bisherigem Kenntnisstand schmerzfrei genau die gegenteilige Methode ist: Kälte statt Hitze. Denn als wechselwarme Tiere empfinden Schnecken Kälte nicht als Schmerz (anders als Menschen & Co), ihr Stoffwechsel wird einfach heruntergefahren, und nach dem Sparmodus kommt einfach nichts mehr. Wer also eine echte oder vermeintliche Schneckenplage bekämpfen will, sammelt die Tiere ein und stellt das Sammelgefäß in die Tiefkühltruhe. Kochendes Wasser hingegen löst, wenn auch nur für kurze Zeit, natürlich Schmerzimpulse aus.

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