Screenshots für den Schaffner, Laub für den Rasen

+ Nach der Geiselnahme am Hamburger Flughafen führen die Medien wie üblich eine Sicherheitsdiskussion. Experten wie Bürger melden sich aufgeschreckt zu Wort. Und wie üblich versäumt der Journalismus, das ganze einzuordnen. Denn woher kommt bitte die Idee, ein Flughafen müsse einem Hochsicherheitsgefängnis gleichen? Attentäter, Entführer oder auch Protestler aller Art (“Klimakleber” werden natürlich im Zusammenhang mit Airports genannt) können überall Podien finden: in jeder Fußgängerzone, Schule, Kita, in jedem Rathaus, Konzertsaal, Bahnhof und bei Bedarf auch in beliebigen privaten Wohnhäusern.
Die Sonderstellung der Flughäfen liegt doch allein im Gedanken der Grenzsicherung begründet. Es sind die Orte, an denen man zwar nicht in der Horizontalen die Landesgrenze überschreiten kann, aber in der Vertikalen, der dritten Raumdimension. Deshalb gibt es dort Grenzkontrollen, Zoll und all das hoheitliche Gehabe. Ob da nun ein paar Leute durch einen Zaun oder eine Schranke auf das Rollfeld gelangen können, ist überhaupt keine besondere Sicherheitsfrage. Passiert halt mal. Und wenn es nicht dort passieren kann, dann eben anderswo.
Aber Medien wie Publikum lieben den Alarm. Aus allem muss eine Katastrophe gemacht werden, wenigstens eine “Sicherheitslage”. Kompletter Flugverkehr eingestellt, weil irgendwo ein Fahrzeug mit einem bewaffneten Kidnapper steht. Und eine ganze Republik, die begierig zuschaut und hernach zu tratschen hat. Eine völlige Verzerrung der Realität, wenn man sie eben nicht nur ausschnittsweise betrachtet.

+ Zwei kleine Anmerkungen zur aktuellen Folge von “Die sogenannte Gegenwart”, ein Podcast, der schon überdurchschnittlich lang auf meiner Abo-Liste steht, Titel “Was tun, wenn uns die Nachrichten überfordern?“: Die moralische Verpflichtung, an Schicksalen dieser Welt via Nachrichtenkonsum teilzunehmen, führt Lars Weisbrod leider nicht näher aus. Denn mit Empathie oder einem Mindestmaß an “Weltkenntnis” ist das ja nicht zu begründen, schließlich wissen wir um die ganz erhebliche Realitätsverzerrung der Medienberichterstattung durch ihre Ausschnittswahl (Stichwort u.a. “Nachrichtenwert”, was kein Qualitätskriterium, sondern blanke Ökonomie beschreibt). Und zum zweiten fehlt mir in dem Gespräch mit Nina Pauer eine Problematisierung der eigenen Rolle als Journalisten in dem Ganzen. Denn schließlich gehört nicht nur der eigene News-Konsum zum Job, sondern vor allem auch die Finanzierung durch ein Publikum. Wachsende “news avoidance” bedeutet fast automatisch einen schrumpfenden journalistischen Markt (soweit die verbleibenden Rezipienten dies nicht durch höhere Zahlung an Geld oder Werbeaufmerksamkeit kompensieren können).

+ Zur Deutschen Bahn könnte man natürlich jedes Mal etwas schreiben – einige Jahre war ich daher auch Hauptautor einer entsprechenden Satire-Kolumne. So ist es sinnvoll, sich auf Survival-Tipps zu beschränken. Heute: zur Aufhebung der Zugbindung.
Bei zuggebundenen Tickets (Sparpreis und Super-Sparpreis) entfällt die Verpflichtung, die gebuchten Fernzüge zu nehmen, vor allem in zwei Fällen: Wenn für die Ankunft am Zielbahnhof eine Verspätung von mehr als 20 Minuten prognostiziert wird und – irgendwie selbstverständlich – wenn man den gebuchten Zug aufgrund einer Verspätung “aus vorheriger Fahrt” nicht mehr erreichen konnte. Bei einer planmäßigen Umsteigezeit von 5 Minuten können dann also schon wenige Minuten Verzögerung ausreichen. Darüber hinaus gibt es noch Spezialfälle. Einer ist, wenn die Abfahrtszeit am Startbahnhof nach vorne verlegt wird (regelmäßig wg. Bauarbeiten). Und, wenn man beim Umstieg von einem gebundenen Zug zum nächsten noch einen früheren Zug erreicht (entweder, weil man den Umstieg schneller schafft, als von der DB kalkuliert, oder weil ein anderer Zug zum Ziel verspätet ist und überhaupt nur deswegen als Anschluss zur Verfügung steht).
Durch die Digitalisierung ist es nicht mehr notwendig, sich eine Verspätung oder einen Zugausfall am Infoschalter im Umsteigebahnhof bescheinigen zu lassen (was, als es noch gefordert war, oft auch einfach nicht praktikabel war). Aber der Vielreisende weiß: die Computertechnik hat natürlich auch hier ihre Tücken. Original-Dialog:
Schaffner: “Was war denn mit Ihrem vorherigen Zug los?”
Reisender: “Der ist paar’n’zwanzig Minuten zu spät eingetroffen, so dass ich den geplanten Anschluss nicht mehr erreichen konnte.”
Schaffner: “Hm, ich schau mal in mein System. Nein, der war auf die Minute pünktlich.”
Reisender: “Das stimmt nicht.”
Schaffner: “Doch, mein System ist minutengenau. Sie waren pünktlich, also dürfen Sie diesen Zug, in dem Sie gerade sitzen, nicht benutzen und müssen sich jetzt sofort ein neues digitales Ticket buchen.”
[Hintergrund: Zu den vielen Fortschritten der  DB gehört, dass man auch im Fernverkehr bei den Schaffnern keine Karten mehr kaufen kann. Man hat nur noch die Möglichkeit, bis 10 Minuten nach Abfahrt selbst ein digitales Ticket via Internet zu kaufen, andernfalls ist man Schwarzfahrer.]
Sicherlich ließe sich eine Verständigung über die Tatsache der Verspätung noch herbeiführen, Willen des Zugbegleiters vorausgesetzt (schließlich kann man mit dem Ticket-Kontrollgerät wenigstens theoretisch auch telefonieren).
Wer sich aber den weiteren Stress ersparen will, ist gut beraten, zuvor selbst einen Screenshot von der Bahn-App gemacht zu haben, die die Verspätung in roten Zahlen anzeigt. Eine Garantie ist das sicherlich nicht, es gibt genügend renitente Schaffner (besonders solche, die die Basics der Bahnregeln selbst nicht kennen, aber das ist ein eigenes Thema). Im hier reportierten Fall hat es genügt.
Schaffner: “Okay, Danke, das reicht mir.”
Bleibt halt nur, dass mal wieder ein Reisender als Lügner hingestellt wurde. Was man nach Bahnlogik dem Personal gar nicht verübeln kann. Schließlich besteht die einzige Aufgabe derer, auf die man gerne auch mal eine Stunde in einem Bahnhof wartet und damit Anspruch auf die 25% Reisekostenerstattung erlangt, darin, Fahrgäste ohne gültiges Ticket zu finden. Andere Aufgaben nehmen sie in der Regel nicht mehr wahr – selbst einen “Zangenabdruck” auf dem selbst ausgedruckten Ticket gibt es nur noch nach expliziter und sehr höflich vorgetragener Bitte, und natürlich nur, wenn das Ticket-Kontrollgerät gerade funktioniert. (Auch dazu ein Originalzitat: “Solange mein Gerät noch spinnt und ich Ihr Ticket nicht verifizieren kann, bekommen Sie von mir gar nichts.”)
Wer als Externer einen kleinen Einblick in die vielen Unzulänglichkeiten dieses unseres volkseigenen Betriebs DB bekommen möchte, sei auf meinen Mehrteiler bei Telepolis verwiesen. Denn nein, Zugverspätungen und -ausfälle sind wahrlich nicht das einzige, was die Bahn nicht gewuppt bekommt.

+ Leider können viele Wissenschaftler nicht gut schreiben. Clive Wynne zeigt das in seinem Buch “… und wenn es doch Liebe ist? Neues zur Hund-Mensch-Beziehung“. Schönes Thema, und sicherlich kann man dazu auch interessante Forschungsergebnisse präsentieren. Aber Wynne zieht die Mini-Botschaft, die schon im Titel steckt, wenn man das Fragezeichen durch ein Ausrufezeichen ersetzt, über 260 langatmige, nicht einmal unterhaltsame Seiten. Schade. Wer sich nicht durchquälen will, hier die Essentials (die mir allerdings schon bekannt waren): a) Der Hund ist kein Wolf, sondern eine völlig eigene Art. b) Nicht der Mensch hat den Hund domestiziert, sondern der Hund hat sich den Mensch als Partner ausgesucht (das führt Wynn trotz des Umfangs nur wenig aus, hierzu lese man besser Josef Reichholf: Der Hund und sein Mensch). c) Der Hund versucht nicht, über seine Menschen zu dominieren – alle auf dieser Annahme beruhenden “Erziehungsmethoden” sind daher Quatsch.
Und wenn ich schon beim Abraten bin: gilt ebenso für Julia Fischer: Affengesellschaft. Ebenfalls tolles Thema schlecht umgesetzt.

+ Die Herbst-Recher sind nicht viel besser als ihre Bläser-Kollegen, bis auf ihren Lärmverzicht natürlich. Aber für beide gilt: außerhalb von (befestigten) Wegen haben sie nichts zu verrichten. Wie kann man den natürlichen Stoffkreislauf nur so sehr ignorieren und dem Boden Jahr um Jahr das in den welken Blättern noch vorhandene Material entziehen? Ja, einem “Zierrasen” tut es nicht allzu gut, wenn er über Winter unter einer Laubschicht liegt. Aber Zierrasen sollte heute ohnehin längst peinlich sein. Jedem anderen Rasen aber (“Wiese”) gefällt der Kreislauf und es bildet sich eine Artengemeinschaft, die damit nicht nur klarkommt, sondern darauf angewiesen ist. Den ökologischen Mehrwert kann ein jeder dann den gesamten Winter über beobachten, wenn unablässig Vögel das modernde Laub zur Nahrungssuche durchstöbern. Sollte im März dann immer noch irgendwo eine geschlossene Blätterschicht nahe der Bäume auf dem Gras liegen, kann man es mit wenigen Rechenschwüngen verteilen oder unter Hecken und Sträucher kehren. Eine bunte Blumenwiese (“Magerrasen”) entsteht so freilich nicht, aber für die ist es dann ohnehin der falsche Standort, den man nicht künstlich (und meist mit viel Motoreinsatz) zu schaffen versuchen sollte.

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