Von Taschendieben und Diebestaschen

+ ICE 508, Erste Klasse. Halt im Berliner Hbf, dort immer längere Standzeit. Ein vornehm gekleideter Mann kommt herein und setzt sich in die Reihe vor mir. Er hängt seinen Mantel auf – an meinen Haken. Das fand ich nicht weiter ungewöhnlich, weil „seiner“ wirklich doof angebracht ist, so dass einem, was man dort hinhängt, ständig ins Gesicht baumelt. Allerdings nestelte er mehrfach an seiner Jacke herum – und „berührte“ dabei auch meine, wie ich so mehr im Augenwinkel sah. Mir kam das doch etwas komisch vor, so dass ich, als er wieder saß, kurz nach meinem Geldbeutel in der Jacke tastete. Alles da, Reißverschluss zu. Nach einiger Zeit ging der Herr mit seinem Gepäck wieder. Und mir schwante nichts Böses mehr, weil ich gedanklich in meine Arbeit am Laptop vertieft war.
Bis ich am folgenden Tag etwas bezahlen wollte – und einen leeren Geldbeutel aufklappte. Karten noch drin, aber alle Scheine weg.
Die Bahndurchsagen der Art „lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt“ haben also durchaus ihre Berechtigung. Und man sollte dabei – anekdotische Evidenz – nicht zu sehr auf die Flaschensammler achten, die durch den Zug gehen.

+ Im Podcast „Sicherheitshalber“ diskutierten Ulrike Franke, Carlo Masala, Frank Sauer und Thomas Wiegold in Episode 76 – nach dem Sahel – über Elon Musk’s „Starlink“ im Ukrainie-Krieg (ungefähr ab 1h:08min). Natürlich wurde problematisiert, dass „kritische Infrastruktur“ heute in vielen Bereichen von privaten Firmen betrieben und verantwortet wird. Aber der Einstieg war doch recht medientypisch: Wie kann es sein, dass ein Milliardär entscheidet, ob die Ukraine nun  das Satellitennetzwerk der Firma „SpaceX“ militärisch nutzen darf oder nicht?
Ich fände das unproblematisch, wenn Leute zu der dahinterliegenden Grundsatzfrage konsistent wären. Wer etwa sagt, Facebook-Regeln gegen „Hate Speech“ unterlägen jedenfalls beim Ausschluss von Firmen und Privatpersonen völlig der Vertragsfreiheit und niemand könne beanspruchen, Kunde dieses Unternehmens von Meta zu werden oder zu bleiben, möge dies bitte auch auf alle anderen Fälle anwenden – eben auch auf Starlink vom bösen Musk. Denn immerhin hat er nicht in öffentlichem Auftrag seine Raketen ins All geschossen, sondern auf eigenes Risiko (aber durchaus mit Auswirkungen auf uns alle).
Besonders perfide wird es dann natürlich, wenn zeitgleich gefordert wird, bestimmten andere Ländern MÜSSTEN aber von der Nutzung ausgeschlossen werden.
Die eigentliche Frage ist m.E. eine ganz andere, nämlich: Wo endet die unternehmerische Freiheit? Was dürfen Firmen oder Einzelakteure nicht mehr selbst entscheiden, weil es eben andere tangiert, mit denen sie zuvor keine Einigung hergestellt haben („auf Augenhöhe“). Wobei damit natürlich die nächste, parallele Frage auftaucht: Was dürfen „Staaten“ entscheiden, ohne mit allen Betroffenen zuvor Einigung erzielt zu haben? Es wird ja weder besser noch demokratischer, wenn wir der Entscheidung einfach ein Demokratie-Siegel aufbappen.

+ An dem Vortrag von Prof. Michael Zürn, den Deutschlandfunk Nova am 5. Oktober gesendet hat, hätte ich vieles auszusetzen. Ich beschränke mich hier auf eine winzige Aussage, weil sie für mich exemplarisch steht für viele seiner Äußerungen. Er sagt (ab etwa 34:20 min):

>“Es gibt aber aus sehr guten Gründen auch nicht-majoritäre Institutionen in der Demokratie, nämlich solche, die bestimmte Grundlagen der Demokratie schützen sollen vor falschen Denkweisen und Sentimenten in der Bevölkerung. An erster Stelle zu nennen natürlich das Verfassungsgericht. Das ist eine nicht-majoritäre Institution. Die werden nicht gewählt, und sie entscheiden auch nicht im Namen des Volkes, sondern sie entscheiden im Namen der juristischen, verfassungsrechtlichen Richtigkeit. Und sie sollen eben verhindern, dass demokratisch Entscheidungen getroffen werden, die die Demokratie kaputt machen, die die Demokratie unterlaufen, die die Demokratie infrage stellen.“<

Das ist mal wieder die Hoffnung auf eine Philosophen-Herrschaft: Die Regentschaft der Weisen, der Klugen, der Weitsichtigen, Gebildeten, nur das Gemeinwohlkennenden. Was mindestens eine Aristokratie wäre, vermutlich aber Schlimmeres.
Zum Glück hat Zürn nur Blödsinn erzählt. Denn was steht über jeder Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts? „Im Namen des Volkes“. Ganz getreu § 25 Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Und man mag wie so oft rufen: „Himmel!“
(Siehe dazu auch seinen Aufsatz.)

+ Ganz schöner Markt: Binnen 12 Monaten wurden in Berlin Fahrräder im Wert von 25 Millionen Euro geklaut, zeigt der Tagesspiegel. Ein wohl zu wenig beachtetes Problem.

+ Dass die Straßenverkehrsordnung (StVO) völlig aus der Zeit gefallen ist bzw. niemals in ihr war, dürfte recht unstrittig sein. Sie ist völlig auf den motorisierten Verkehr ausgerichtet. Man denke nur an den Beginn von § 2 Abs. 5 StVO: „Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen, Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen.“ Welch groteskes Risikobild spricht aus dieser Vorgabe? Siebenjährige sind auf der Straße zu gefährdet (oder gefährden wahlweise die Autofahrer), so dass ihnen das gesamte Straßennetz verboten ist. Bei Zehnjährigen ist es hingegen umgekehrt: sie gefährden Fußgänger und müssen sich mit den Autos, LKW und Motorrädern arrangieren. Ganze zwei Jahre Entwicklungszeit haben Kinder, um von der einen auf die andere Seite zu wechseln, und dort jeweils entweder Gefährder und Gefährdete zu sein.

+ Was man nicht alle so beim „Querlesen“ und „Querhören“ findet. Manchmal sind es nicht einfach neue Sichtweisen, die einem in den Alltags- und Lieblingsmedien noch nicht untergekommen sind, sondern schlicht kleine Fakten, die einen ins Nachdenken bringen können. So habe ich einem Gespräch über die Probleme der deutschen Kalkindustrie entnommen, dass der Kalksteinverbrauch in Deutschland pro Kopf umgerechnet 6 kg pro Tag beträgt! Der größere Teil davon wird – wie so vieles – importiert (und fällt daher ggf. unserem „CO2-Konto“ nicht zur Last), aber immerhin 73 Millionen Tonnen werden jährlich hierzulande abgebaut. Dass die Zement-Herstellung ein großer CO2-Emittent ist, war klar, aber das Kalkstein so allgegenwärtig verwendet wird, war mir – zugegeben – nicht bewusst. Dass derzeit kein Mangel befürchtet wird, macht die Sache nur wenig unproblematischer. Infos u.a. beim Lobbyverband.

+ Als Medienjournalist interessieren mich zwar vor allem die Qualitätsdefizite in meinem Berufsfeld, aber gelegentlich darf man auch über den Gartenzaun schauen. Und da scheint der Umgang der Berliner CDU-Senatorin Manja Schreiner mit den Plagiatsvorwürfen zu ihrer Dissertation doch recht interessant für den Umgang mit der Wahrheit in diesem Feld.
„Vroniplag“ kommt bei der bisherigen Analyse zu einem wohl desaströs zu nennenden Ergebnis:

„Es sind bislang 155 gesichtete Fragmente dokumentiert, die als Plagiat eingestuft wurden. Bei 30 von diesen handelt es sich um Übernahmen ohne Verweis auf die Quelle („Verschleierungen“ oder „Komplettplagiate“). Bei 125 Fragmenten ist die Quelle zwar angegeben, die Übernahme jedoch nicht ausreichend gekennzeichnet („Bauernopfer“). Die untersuchte Arbeit hat 169 Seiten im Hauptteil. Auf 118 dieser Seiten wurden bislang Plagiate dokumentiert, was einem Anteil von 69.8 % entspricht.<

Insgesamt seien geschätzt 19% des Textes im Hauptteil der Arbeit plagiiert. Schreiner ließ Anfang August verkünden, dass sie ihren Doktortitel einstweilen nicht mehr nutzen werde, bis die Prüfung ihrer Universität (negativ) abgeschlossen sei. Auf ihrer Website wurde allerdings nicht nur der „Dr.“ gekillt, sondern gleich das ganze Promotionsprojekt.
Hieß es dort zuvor: „Nach meinem Studium der Rechtswissenschaften, meiner Promotion und einem zusätzlichen Masterstudiengang, arbeitete ich zunächst als Justiziarin bei AIDA Cruises“ sind nun die Wörter „meiner Promotion“ und das vorstehende Komma gelöscht. Eine Lücke im Lebenslauf reißt dies offenbar nicht – was mit Blick auf die eigentlich für eine Dissertation (=Doktorarbeit) notwendige Zeit etwas erstaunlich ist.
Aber bitte – ich wundere mich schon lange, mit welchen Textarbeiten in Deutschland Promotionen abgeschlossen werden. Denn wer forscht, kann zumindest in diesem Bereich gar nicht plagiieren (nur fälschen), schließlich gilt es dann, Neues zu finden und zu präsentieren, anstatt Altes noch ein paar Mal hin und her zu wenden.
Natürlich wird es spätestens nach der universitären Überprüfung um den Rücktritt gehen. Aber wer wissenschaftlich arbeiten kann, sollte doch selbstständig auf die Befunden aus dem Vroniplag reagieren können. Ansonsten wäre ein VHS-Kurs „Einübung von Peinlichkeit“ angeraten.

Credit: Bilder Open AI (Chat GPT): Dall-E 

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