Geduldiges Papier – ungeduldige Protestanten

Eine Perspektivkommission der EKD hat unter dem Titel “Kirche der Freiheit” in “zwölf Leuchtfeuern” ihre Vision von einer Kirche im Jahr 2030 dargelegt. In die Öffentlichkeit drang vor allem das Bestreben, Landeskirchen zusammen zu legen – eine Idee, die vor 10 Jahren auch schon der damalige Ratsvorsitzende Klaus Engelhardt in seiner Abschiedsrede kund tat. Doch in dem Papier steckt weit mehr – Betrüliches. Vom 25. bis 27. Januar 2007 kommen ausgewählte Vertreter der EKD und ihrer 23 Gliedkirchen zu einem Zukunftskongress in Wittenberg zusammen. Wenn die “Kirche der Freiheit” dort die Grundlage für die anstehenden Reformen bildet, ist es schlecht bestellt um den Protestantismus im Land der Reformation. Dazu nur acht Spotlights:Timo Rieg Zum EKD Reformpapier “Kirche der Freiheit”‘ (2006)

1. Von nichts kommt nichts
Bereits die Besetzung der Kommission offenbart das größte Problem des organisierten Protestantismus: er ist so wenig Glaubensgemeinschaft und so viel Hierarchie, Bürokratie und beamteter Klerus.
In der Kommission sitzen durch die Bank weg Kirchenrepräsentanten, die längst große Verantwortung tragen. Welche neuen Ideen sind von denen zu erwarten, die seit Jahr und Tag Ideen umsetzen können? Die Kommissionsmitglieder sind kirchliches und weltliches Establishment – und deshalb weder Kirche noch Welt.

2. Kirchenschrumpfung
Das Papier hat eine ebenso klare wie inakzeptable Grundlinie: Kirche muss weniger werden. Nur noch “exemplarisch und situativ” – meinen die “Vordenker” – müsse sie präsent sein. Weil Geld fehlt, weil die Mitglieder weniger werden, muss sich Kirche zurückziehen.
So oft auch Paulus bemüht wird, so wenig gibt es ein positive Grundstimmung für christliches Gemeindeleben, das zunächst völlig unabhängig ist von bezahlten Kräften, von “Hauptamtlichen”. Kirche wird – bei den Autoren kein Wunder – nur über Hauptamtliche gedacht, vor allem natürlich über Pfarrer.

3. Pfarrerbild
Unsere Pastorinnen und Pfarrer sind elementar für unsere Kirche – ja! Aber sie können und dürfen nicht Kirchenleitung sein. Sie können nicht Seelsorger und Arbeitgebervertreter in einem sein, Geistliche und Kaufleute.
Anstatt diesen Konflikt endlich aufzulösen, zementiert das Perspektivenpapier die gegenwärtige Fehlkonstruktion. Es gibt viele – auch praktizierte – Alternativen zu unserer Theologen-Oligarchie. Dazu dürfte man sich freilich nicht nur selbst befragen.

4. Pfründe
Eine echte Unverschämtheit bleibt das “Top or Down” bei den Theologen: Beamtentum oder Arbeitslosigkeit für immer, dazwischen gibt es nichts. Die Perspektivler kalkulieren, dass den voll alimentierten Pfarrern “ins Ehrenamt Ordinierte zur Verfügung [stehen], die in der Regel eine volle theologische Ausbildung vorweisen”, was bedeutet: der Staat soll für das Studium zahlen und mit der Ordination ins Ehrenamt wird jede Möglichkeit auf eine erwerbsmäßige Pfarrertätigkeit ausgeschlossen.

5. Unzulänglichkeit Ehrenamt
Meine ganz persönliche Gebetsmühle: Es gibt kein “Ehrenamt”. Es gibt aktive und passive Kirchenmitglieder, bezahlte und unbezahlte Arbeit. Stattdessen schreibt die EKD: “Anleitung und Begleitung des ehrenamtlichen Einsatzes werden als zentrale Herausforderung für die hauptamtlich Mitarbeitenden und in diesem Sinne als eine evangelische Grundkompetenz anerkannt.” Das ist ein Grundproblem, dass Beamte immer meinen, sie wären “für die Menschen da” und ohne sie würde sich die Welt nicht mehr ordnungsgemäß drehen. Unbezahlte Aktive brauchen keine Betreuung auf ihre Kosten. Sie brauchen vielleicht mal fachliche Fortbildung – aber die kann ebenso von Brüdern und Schwestern kommen, von anderen Vereinen, Akademien oder sonstigen Spezialisten.

6. Träumerei versperrt Blick auf Gegenwarts-Probleme
Die Zukunftsträumerei bringt nicht viel, wenn Kirchenleitende eine Analyse ihres gegenwärtigen Versagens verweigern. Im “4. Leuchtfeuer” heißt es: “Im Jahre 2030 haben sich bei den kirchlichen Mitarbeitenden Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, Qualitätsbewusstsein und Identifizierung mit den kirchlichen Grundaufgaben signifikant erhöht. Auch hat die evangelische Kirche kirchlich angemessene Formen gefunden, Erfolge zu würdigen. Das trägt zu einer hohen Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit ihrer Arbeitssituation bei.”
Seit mindestens einer Dekade erlebe ich bei den bezahlten Mitarbeitern unserer Kirche vor allem das Gegenteil: Hohe Frustration, regelrechte Angst, Überforderung, Mobbing, Schikane, Sprachlosigkeit. Dass dies “systemimmanent” ist, dünkt den Repräsentanten des Systems nicht.

7. Kirche des Wortes
Wenn Kirchens weiterhin eine Sprache bemüht wie in dieser Schrift, diese Mixtur aus Quark und Marketingsprech, dann wird sie bald selbst im Kabarett keinen öffentlichen Raum mehr finden. Was, um Himmels Willen, sind “seelsorgerliche Kernvollzüge”, wer bewahrt uns vor “Medien-Gemeinden” und solchen Geistesblitzen: “Wofür die evangelische Kirche aktuell steht, muss schließlich an konkreten Themen konkretisiert und konturiert werden.”

8. Wer sich selbst genug ist, den bestraft das Leben
Die Kommission hat es komplett versäumt aufzuarbeiten, was es längst an vielfältigen Vorschlägen für Kirchenreformen gibt. Das ist wahrhaft vermessen – und ärgerlich, wenn gleichzeitig der Aufruf erfolgt: “alle Engagierten sind dazu eingeladen, eigene Vorschläge einzubringen.” Hallo Hannover, es gibt solche Vorschläge zuhauf.

Was heißt das nun für den weiteren Prozess, für den großen Zukunftskongress? Nichts! Er wird kommen, er wird gehen, und es wird weiteres bedrucktes Papier geben. Eine Kirchenreform wird so sicherlich nicht angestoßen.

Timo Riegist freier Journalist; neben Büchern zur Gottesdienstpraxis hat er 1998 die Reformschrift “Mehr Kirche” veröffentlicht.

Anm: Dieser Text war wie viele andere bei einem CMS-Systemwechsel verloren gegangen bzw. anschließend nicht mehr aufrufbar. Er war ursprünglich von recht vielen Seiten aus verlinkt – z.B. hier. Die damaligen Kommentare sind leider nicht mehr erhalten.
Siehe auch: Erkennbare, glaubwürdige, fröhliche Kirche (aus Timo Rieg: Mehr Kirche)

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