Polizeigewalt – Fallsammlung
Was Tucholsky die Reichswehr war, ist uns heute die Polizei. Der Staat im Staate, mächtig und unkontrolliert, zu vielem gut aber nicht zum Wohl der Bürger. Es ist ja heute alles Polizei, nicht nur der Schutzmann, vor dem, wenn er ums Eck kommt, der Ede Reißaus nimmt, sondern auch der ehemalige Bundesgrenzschutz, der heute beeindruckend „Bundespolizei“ heißt, der Zoll, das städtische Ordnungsamt, das Bundesamt für Güterverkehr (BAG)… – und jede Behörde hat bei Bedarf Rechte, die der ahnungslose Untertan nur bei „der Polizei“ vermutet.
Dass die gewaltige Zunahme der „Ordnungs- und Sicherheitsbehörden“ in erster Linie deren Eigenleben dient sieht man schon daran, dass es keine vernünftige, also externe Evaluation ihrer Arbeit gibt. Das größte Defizit aber besteht darin, dass die Polizeibehörden zwar das staatliche Gewaltmonopol vertreten (womit ihnen gegenüber zunächst mal jeder Bürger wehrlos ist), sie sich aber jeglicher Kontrolle durch den Souverän entziehen. Bekanntlich weigern sich Polizeien wie etwa in Hessen beharrlich, auch nur eine Dienstnummer an ihren Uniformen oder Kampfmonturen zu tragen, um sie individuell erkennbar zu machen. (Wie man als rechtschaffender Polizist wollen kann, mit den paar aggressiven Arschlöchern, die es zwangsläufig gibt, in einen Sack gesteckt zu werden ist mir dabei schon lange ein Rätsel, aber vermutlich hat Korpsgeist eben nichts mit Geist zu tun.)
Es ist selbstverständlich, dass es unter den Beamten, die so viel Macht über andere Menschen haben, zu Missbrauch kommt, zu Aussetzern, zu Unverhältnismäßigkeiten. Wie in jedem Beruf gibt es auch bei der Polizei zwangsläufig Mitarbeiter, die für den Job völlig ungeeignet sind. Es kommt zu unverhältnismäßiger Gewalt, zu Demütigungen, zu sexuellen Übergriffen, zu Perversionen, Beleidigungen, Schikanen, Ungerechtigkeiten.
In einer Demokratie würde der Vorwurf solcher Untaten von Externen ermittelt. Von privaten Firmen mit ungeingeschränkter Ermittlungsbefugnis, die am besten auch noch Kopfgeld bekommen, Geldprämien für erfolgreiche Anklagen. Weil das Interesse der Bürger (und ebenso einer Polizei, die bei Trost ist) sein muss, jeden ungeeigneten Polizisten aus dem Dienst zu entfernen und jedes Dienstvergehen gerichtlich ahnden zu lassen.
Davon sind wir derzeit noch weit entfernt – weil wir von der Demokratie noch weit entfernt sind, eine Demokratie, in der sich Vernunft durchsetzen kann, weil nur sie Gemeinwohl entwickeln kann.
Schlaglichtartig mal einige Beispiele für zumindest augenscheinlich unverhältnismäßig oder unrechtmäßige Polizeiaktionen, die nicht geahndet wurden (wobei ich unter „ahnden“ eine Anklage vor Gericht verstehe, unabhängig vom Urteil).
Update Juli 2017: Mit Verzögerung wird nun doch die Polizeigewalt beim G20-Gipfel in Hamburg medial bearbeitet. Dabei konnte man live in zig Videos verfolgen, wie Polizisten offenbar völlig wahllos auf Demonstranten, Journalisten und Passanten losgegangen sind (gleichwohl verstieg sich Bürgermeister Olfaf Scholz zu der in jedem Fall völlig bescheuerten Aussage, es habe keine Polizeigewalt gegeben – als ob das auch nur theoretisch möglich wäre bei 20.000 eingesetzten Beamten!). Viele Fälle zu G20 sind auf der entsprechenden Seite dokumentiert: www.g20-doku.org
Update März 2019:
Kommentar bei Deutschlandfunk Kultur Polizeigewalt – Korpsgeist und Mauern des Schweigens
Dieser Artikel wird gelegentlich, aber unsystematisch erweitert. Medienberichte über Polizeigewalt stehen am Ende unter „weiterführende Links“.
== Polizeigewalt mit Todesfolge ==
+ Stade, 17. August 2019: Polizist erschießt einen „nicht ansprechbaren“ 19-Jährigen, der mit einer „Hantelstange“ bewaffnet war, nachdem dieser auf Pfefferspray nicht reagiert hatte (taz) (vgl. unten 2009 Regensburg und die Anmerkungen von Sabine Rückert dazu im Podcast 2019, ferner Berlin 2013 u.ä. Fälle)
+ Bruchsal: 28-jähriger mutmaßlicher Dieb stirbt nach Festnahme, Medientenor aufgrund der Polizei-PR: Ursache war massiver Widerstand gegen die Festnahme. (Stuttgarter Nachrichten, 06.08.2019)
+ Fulda: Am Freitag, den 13. April 2018, „mussten“ Polizisten in Fulda einen Randalierer erschießen, der offenbar vor ihnen auf der Flucht war, weiß die Fuldaer Zeitung. 12 Schüsse, 4 trafen, 2 waren tödlich – auf einen unbewaffneten Flüchtenden – und doch verwahrt sich u.a. die Kommunalpolitik gegen jede Kritik an der Polizei, berichtet die Frankfurter Rundschau 10 Tage später. Februar 2019: Verfahren eingestellt, – Notwehr.
+ Berlin: Auf einer Einsatzfahrt mit über 130 km/h innerorts kracht im Januar 2018 ein Polizeiauto in ein anderes Fahrzeug, dessen 21-jährige Fahrerin stirbt. (PM der Polizei damals.) Ein Jahr später stellt sich heraus: der Polizist am Steuer war betrunken. Aufgefallen war dies bei den Ermittlungen komischerweise nicht. Die Polizeipräsidentin verspricht Aufklärung.
+ Möhrfelden-Walldorf (Hessen): Mit gleich 25 Schüssen haben drei Polizisten einen möglicherweise mit einem Messer bewaffneten Dieb „gestellt„. 8 Schüsse trafen den 19-jährigen, ein Schuss war tödlich (30.10.2017). Die Polizistenlobby GdP beeilt sich zu erklären, dass 25 Schuss zwar viel klingt, aber gar nicht viel sei in einer solchen Gefahrensituation.
(Eine Woche zuvor war in Alsfeld ein Mann erschossen worden, da dieser aber nach bisherigen Angaben selbst mit scharfer Munition geschossen hat, wird der Fall hier nicht explizit aufgenommen.)
+ Berlin (Moabit). Drei Polizisten schießen am 26.09.2017 auf einen Flüchtling, der angeblich mit einem Messer auf einen Verhafteten losgegangen sein soll. Nur eine Kugel trifft, diese ist tödlich. Die Staatsanwaltschaft sieht wie üblich Notwehr und will keine Anklage erheben. Auf Antrag der Witwe verpflichtet das Kammergericht Berlin im April 2018 die Staatsanwaltschaft, neu zu ermitteln. Der 15-seitige Beschluss soll erhebliche Pannen und Ungereimtheiten auflisten. U.a. befand das Gericht: „Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis steht nicht fest, ob H. überhaupt mit einem Messer bewaffnet war“. Die Medien hatten wie üblich in ihren Berichten nach dem Vorfall ohne jede Releativierung die Schilderung der Polizei übernommen, die aber bekanntlich in einem solchen Tötungsfall keine unabhängige Instanz, sondern Beschuldigte ist.
+ Eckartsberg (Görtlitz, Sachsen) : 23-jähriger, der seine Mutter bedroht haben soll, wird in der Wohnung von einem Polizisten erschossen (3.08.2017). Drei Monate später wird das (formale) Verfahren gegen den Polizisten eingestellt. Der MDR schreibt dazu:
Die Mutter des Getöteten hatte die Polizei gerufen, weil ihr Sohn sie bedroht hatte. Einer der vier angerückten Polizisten gab im Wohnhaus von Mutter und Sohn drei tödliche Schüsse auf den 23-Jährigen ab. Nach Prüfung von Staatsanwaltschaft und Polizei geschah dies zu Recht. Der 23-Jährige habe sich mit einem erhobenen Fleischermesser auf einen der Polizisten hinbewegt und dessen „Leib und Leben“ bedroht, hieß es. Dem Kollegen des Angegriffenen seien nur wenige Sekunden geblieben, um die Attacke abzuwehren. Daher sei der Schusswaffeneinsatz „verhältnismäßig und geboten“ gewesen.
Warum das nicht regelmäßig ein Gericht entscheidet, sondern die Staatsanwaltschaft, bleibt eines der Rätsel des angeblichen Rechtsstaats.
+ Gesamtzahl 2016: „Laut einer Statistik der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster wurde im Jahr 2016 in 52 Fällen auf Menschen geschossen. Elf Menschen starben, weitere 28 wurden verletzt.“ (dpa via Welt; Statistik Prof. Clemens Lorei; Artikel dazu bei Welt.de)
+ Filderstadt: Polizei erschießt 29-Jährigen, der mit einem Messer bewaffnet ist. (Welt.de, 29.05.2016 – und gleich wieder mit Lobbytext der Polizei…)
+ Ludwigshafen: Polizist erschießt mit Messer bewaffneten Obdachlosen auf der Flucht (und verletzt dabei auch noch zielsicher einen Kollegen) (6.05.2016)
+ Brachbach (Rheinland-Pfalz): Polizist erschießt den mit einem Messer fuchtelnden Wohnungseigner. Einsatzgrund war, den Mann vor Selbstverletzungen zu schützen. (6.05.2016)
+ Gesamtzahl für 2014, offiziell: sieben Menschen wurden in Deutschland von Polizisten mit der Dienstwaffe erschossen. Nicht mitgezählt sind hier die (erweiterten) Suizide (siehe unten).
+ Oberhausen. Ein mit einem Messer bewaffneter Mann wird auf der Polizeiwache erschossen (12.08.2015)
+ Gelsenkirchen. Beim Versuch der Festnahme kommt ein 44-jähriger ums Leben. Zeugen berichten von Polizeigewalt. (1.01.2015)
+ Burghausen (Bayern). Ein Zivilfahnder der Polizei schießt einem mit Haftbefehl gesuchten Drogendealer in den Hinterkopf im Beisein von vier Kindern (1. August 2014). Treffen wollte er angeblich die Beine des Unbewaffneten. SZ: Alle Fragen offen;
+ Stuttgart. Polizist erschießt einen Lebensmüden. Er wollte die Beine treffen, die Kugel ging aber in den Bauch. Alles korrekt. (12.11.2013)
+ Berlin 2013. Polizist erschießt (im Beisein zig anderer Polizisten) einen psychisch gestörten nackten Mann im Neptunbrunnen nahe Alexanderplatz (28.06.2013) (RP) (1) Staatsanwalt wie üblich: es war Notwehr. Ausführliche Reportage dazu 2 Jahre später: „Manuel stirbt“
+ Frankfurt. Polizistin erschießt 39-jährige Nigerianerin im Jobcenter. Diese hatte ein Messer gezogen. Keine Anklage. (Mai 2011)
+ Frankfurt. Auf dem Hod es Bürgerhospitals wird ein 28-jähriger Student erschossen, der etwas gefährliches in der Hand gehalten haben soll. Trotz Verfassungsbeschwerde wird auch dieser Fall nicht gerichtlich aufgearbeitet. (Januar 2010, spätere FR-Zusammenfassung)
+ Regensburg, 2009: Polizisten erschießen psychisch-gestörten Studenten in Boxershorts. ZEIT-Artikel von Sabine Rückert. Neu besprochen im Podcast ZEIT Verbrechen 2019.
+ Stralsund. 2 Polizisten setzen im Winter einen betrunkenen Obdachlosen am Stadtrand aus, der dort stirbt. Ein halbes Jahr später werden sie zu 3 Jahren Haft verurteilt (09.07.2003, FAZ). In einem ähnlichen Fall ohne Todesfolge wurden die beiden Frankfurter Polizisten für diesen „Verbringungsgewahrsam“ nur zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt (11.07.2016, FAZ; Zwischenbereicht FR). Der SPIEGEL beklagte diese „Wildwest-Methoden“ schon 1995.
+ Heldungen. Zwei Polizisten erschießen den Touristen Friedhelm Beate in seinem Hotel, weil sie ihn für den flüchtigen Gewaltverbrecher Dieter Zurwehme halten. (Bild) (1999) Verfahren eingestellt (Spiegel)
+ Schönfließ (Brandenburg). Am 31. Dezember 2008 erschießt ein Polizist einen „Kleinkriminellen“mit 8 Kugeln. 2010 erhält er dafür eine Bewährungsstrafe von 2 Jahren wg. Todschlags in einem minderschweren Fall. (Berliner Morgenpost)
== Eskalierte und unverhältnismäßige Polizeieinsätze ==
+ Hamburg, G20. 7./8. Juli 2017, die Polizei geht zigfach sehr brutal gegen Demonstranten, Passanten und Journalisten beim Gipfeltreffen vor. Viele Videoaufnahmen lassen keinen Anlass erkennen, es sieht nach blinder Wut aus. während bereits kurz nach dem Gipfel die ersten Randalierer verurteilt worden sind, liegt noch keine Verurteilung eines Prügelpolizisten vor. Sieh auch: G20-Doku.
+ Stuttgart. Weil während einer Verkehrsunfallaufnahme ein Mann seine Zigarette nicht ausmacht, prügeln ihn vier Polizisten zusammeln (Bericht RP, Video Welt). Die Verfahren gegen drei der Polizisten werden eingestellt. Gegen einen Beamten, der seit anderthalb Jahren wegen des Vorfalls krank geschrieben ist, wird im März 2019 vor Gericht verhandelt.
+ Essen. Polizisten fesseln Betrunkene. Selbst BILD spricht von Polizeigewalt. Die Essener Polizei reagiert immerhin mit Dialog (u.a. auf Facebook). Die Pressemitteilung der Polizei liest sich natürlich anders: Polizisten haben es schwer.
+ Göttingen. Polizisten kontrollieren einen fahrradfahrenden Rentner, halten ihn dabei eine viertel Stunde auf den Straßenboden gedrückt fest. Am Ende muss er Sozialstunden leisten wg. „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“, seine eigene Anzeige gegen die Polizeigewalt wird nicht verfolgt. (ausführlich mit Deutschland-Zahlen von 2014: correctiv.org)
+ Offenbach. Großaufgebot kontrolliert Jugendliche nach Moschee-Besuch (taz)
+ Hamburg. Jugendliche sollen Autofahrer geblendet haben (taz)
+ Herford. Bei einer Verkehrskontrolle wird ein Polizist gewalttätig. Das stellt sich allerdings erst vor Gericht heraus, wo gegen den Kontrollierten wg. „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ verhandelt wurde. Das Polizeivideo war manipuliert. (17. Juni 2014) (SZ; NOZ)
+ Berlin. Am 5. Juli 2014 schmeißen sich am Görlitzer Park Polizisten auf einen Passanten, nachdem er auf die freundliche Aufforderung „Ausweis her“ nicht (korrekt) reagiert hat. Wie so oft schreitet von den vielen Polizisten niemand gegen die Prügelkollegen ein, vielmehr wird der „Tatort“ abgeriegelt. (Tagesspiegel) (2)
+ Verfolgungsfahrten wären ein eigenes Sammelgebiet. Fast täglich kann man von ihnen lesen, oft kommt es dabei zu Unfällen. In welchen Situationen es wirklich gerechtfertigt war, ein Auto z.B. quer durch den Stadtverkehr zu verfolgen und mit Gewalt zum Anhalten zu bringen, anstatt es unauffällig zu observieren bzw. den Fahrer in einer ruhigen Situation zu stellen, wird von den Medien leider nie recherchiert. Oft versucht sich ein Autofahrer einer Polizeikontrolle zu entziehen, weil er z.B. Alkohol getrunken hat oder keinen Füherschein besitzt. Eine Verfolgungsjagd dürfte dabei regelmäßig eine deutlich höhere Gefährdung von Menschen darstellen, als auf den sofortigen Zugriff zu verzichten.
Siehe: „Polizei zieht gefährliche Autofahrer aus dem Verkehr“ (Helgoländer Vorbote)
== Polizeieingriffe in die Intimsphäre ==
+ Hamburg, G20. Polizisten drangsalieren Jugendliche und junge Erwachsene, ein Gericht stellt dies als rechtswidrig fest. Zitat aus dem Hamburger Abendblatt (22.09.2017):
Die Polizei hatte am frühen Morgen des zweiten Gipfeltages den mit 44 teilweise minderjährigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen besetzten aus Nordrhein-Westfalen kommenden Bus auf der Autobahn abgefangen und zur Gefangenensammelstelle (Gesa) geleitet. Dort wurden nach Berichten der Betroffenen Insassen von Spezialkräften der Polizei „geschlagen und mit ihren Händen auf dem Rücken abgeführt“. Einige der Jugendlichen mussten sich demnach „komplett nackt ausziehen (andere bis auf die Unterwäsche) und wurden dann intensiv abgetastet“.
+ München. Polizisten durchsuchen Schüler bis in die Unterhose hinein wegen eines angeblich gestohlenen 5-Euro-Scheins (27.11.2012). (Merkur) Verfahren eingestellt (SZ) (3.07.2013)
== Polizei und Tiere ==
Da Polizisten im Jahr 2014 insgesamt in 10.157 Fällen auf Tiere geschossen haben, sind das Nachfolgende natürlich nur einige „Blitzlichter“.
+ Berlin. Im Volkspark Humdboldthain erschießt ein Polizist einen unangeleinten Hund, von dem er sich bedroht fühlte. Zunächst verlautete: Keine Ermittlungen. Dann doch. Ergebnis offen. Siehe Darstellung des Hundebesitzers auf Facebook dazu. Und Udo Vetter über die juristische Komponente des Falls, mit dem richtigen Hinweis: „Am interessantesten finde ich momentan die Frage, wieso ein Polizeibeamter in so einer Situation überhaupt seine Pistole aus dem Holster zieht. “ Genau darum geht es vorrangig, weniger um den Rhodesian Ridgeback.
==Polizisten und ihre Waffe==
(Insbesondere zu Suiziden von Polizisten muss man anmerken, dass sie meist nur durch Zufall/ undichte Stellen öffentlich bekannt werden.)
+ Frankfurt am Main. „Stadtpolizist“ (Ordnungsamt) erschießt sich auf der Behördentoilette (FNP, 07.07.2015)
+ Illertissen. Ehemaliger Polizeichef erschießt sich mit privater Waffe (Augsburger Allgemeine, 23.03.2015)
+ Neustadt (Oberfranken). Polizist erschießt sich auf der Dienststelle (Freising online, 27.11.2013)
+ München. Polizist erschießt Ex-Freundin und sich (Welt, 11.07.2013)
+ Renningen. Polizist erschießt sich (allerdings nicht mit der Dienstwaffe, sondern einer anderen, die er rechtmäßig besaß) (Schwäbisches Tagblatt, 31.03.2012)
+ Saarlouis. 49-jähriger Polizist erschießt Tochter (8) und sich mit Dienstwaffe. (Tagesspiegel, 23.01.2012)
+ Neumünster (Schleswig-Holstein). Polizist erschießt einen Mann, eine Frau und dann sich selbst. (03.12.2007)
== Spotlights in anderen Ländern ==
+ Frankreich. Demütigende und schikanierende Kontrolle eines Behinderten (Mai 2016)
+ Schweiz. Unterlassene Hilfeleistung bei einer Abschiebung mit Todesfolge für ein ungeborenes Baby. Ermittlungen beginnen erst eine Woche später. (Watson, Juli 2014)
+ USA. n-tv betitelt einen Bericht „Polizeigewalt in den USA bleibt oftmals ungestraft„. „Etwa 1000 Menschen sterben in den USA jährlich aufgrund von Polizeigewalt, doch nur zwei Prozent der Beamten werden angeklagt“, heißt es darin.
Anmerkungen
(1) Das besondere an diesem Fall: der entscheidende Moment wurde von einem Passanten gefilmt und im Internet veröffentlicht – was vor allem einige schwarze Politiker „menschenunwürdig“ fanden: nicht die Tat, sondern deren Publikation. Auch ich habe mir das Video zigfach angesehen – und kann absolut nicht erkennen, wo hier eine Notwehrsituation gewesen sein soll, die eine regelrechte Exekution rechtfertigen würde.
(2) Befremdlich ist die Frage, die Karin Christmann und Sigrid Kneist im Tagesspiegel stellen: „Handelt es sich um Polizeigewalt? Oder um einen Beweis dafür, welchen Anfeindungen Polizisten ausgesetzt sind?“ Ist es keine Gewalt mehr, wenn die Polizisten angepöbelt worden sind? Soll das, was wir hier sehen, verhältnismäßig sein? Wie schon bei so vielen anderen Aufnahmen ist die Aggression der Beamten doch durch den Bildschirm zu riechen.
Es kursieren (derzeit) verschiedene Videos/ Zusammenschnitte dazu. Völlig unerträglich vom Off-Ton her ist das der BZ. Bei Spiegel-Online fällt mal wieder die Verpixelung auf. Tolle Werbung für die „Leserreporter“ ist folgende Feststellung der Polizei: „Gehäuft haben sich solche Einsätze allerdings nicht. Die Öffentlichkeit bekommt nur inzwischen durch Videos von Passanten öfter davon mit.“
Weiterführende Links:
# CILIP – Bürgerrechte und Polizei
# amnesty international Nachrichten
# ai-Kampagne zur unabhängigen Aufklärung bei Vorwürfen von Polizeigewalt
# Bremen diskutiert über Wahrnehmung von Polizei und Gewalt (Juli 2014)
# „Heule, heule Gänschen“: Die Polizeilobby plärrt wie keine andere: Polizisten würden angegriffen, bespuckt, beleidigt. Doch was ist an den Behauptungen wirklich dran? Und wer kämpft hier eigentlich gegen wen? FAZ (Februar 2013)
# „Polizisten nur selten vor Gericht“ (Artikel Daniel Drepper, Benedict Wermter; correctiv, August 2015)
# „Gefühlte Kriminalität“ – Die Pressemitteilungen der Polizei manipulieren unsere Wahrnehmung von Verbrechen (Evelyn Kanya, Alexandra Siebenhofer; correctiv, 26. August 2015)
# Bericht Report Mainz (ARD), 25.07.2018: Prügelnde Polizisten – Versagt die Justiz?
# Täter in Uniform. (Sehr hörenswertes Radio-Feature, 55 Minuten), 18.04.2018
# Korpsgeist und Mauer des Schweigens (Politisches Feuilleton, 28.03.2019)
# Interview mit dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter über Folter Nils Melzer (Welt, 19.04.2022). Trauriges Fazit: Auch wenn Polizeigewalt eindeutig filmisch dokumentiert ist, rechtfertigen die Vorgesetzten das Verhalten, es kommt zu keinen Ermittlungen und erst recht zu keiner Anklage (so dass ein Gericht entscheiden könnte). Zitat Melzer: „Die Polizei scheint der Irrmeinung zu sein, dass jede ihrer Maßnahmen um jeden Preis durchgesetzt und sogar rein verbale Widerrede sofort mit Gewalt gebrochen werden muss.“ Und: „Gleichzeitig sind die Behörden aber stolz darauf, dass sie Teilnehmer an verbotenen Versammlungen oft innerhalb von 24 Stunden verurteilen können.“
Andere Fälle:
+ Griechische Küstenwache zieht Flüchtlingsboot zurück Richtung Türkei, es sinkt, elf Menschen ertrinken, Rettungsmaßnahmen unterbleiben, die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht. Siehe: Pro Asyl (Januar 2014)
+Misshandlung von Flüchtlingen durch private Sicherheitsleute in NRW. Bericht SpOn. (September 2014)
+Misshandlung bei Verkehrskontrolle, USA, Video, (März 2015)
Position Amnesty International (Deutschland) zur Kennzeichnungspflicht von Polizisten (Juni 2018):
KENNZEICHNUNGSPFLICHT POLIZEI
Amnesty International appelliert an alle Bundesländer eine individuelle und verpflichtende Kennzeichnungspflicht für Polizist_innen sicherzustellen. In diesem Zusammenhang begrüßt Amnesty ausdrücklich, dass mit Mecklenburg-Vorpommern das neunte Bundesland eine verpflichtende individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt_innen eingeführt hat. Die übrigen Bundesländer sollten diesen Schritt möglichst bald nachholen. Das häufig angeführte Argument, die Kennzeichnungspflicht begründe einen Generalverdacht gegen die Polizei, überzeugt nicht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 9. November 2017 gegen Deutschland betont, wie wichtig eine individuelle Kennzeichnung der Polizei ist – insbesondere beim Einsatz geschlossener Einheiten. Der Gerichtshof unterstreicht damit das Menschenrecht auf vollständige Untersuchung staatlichen Fehlverhaltens, das nicht an einer fehlenden Kennzeichnung von Polizeibeamt_innen scheitern darf. Weiterhin gibt es aus den neun Bundesländern mit entsprechenden Regelungen keine negativen Erfahrungen der Polizei mit der Kennzeichnungspflicht. Befürchtungen, wonach mit einer Kennzeichnung das Risiko von Angriffen oder Stalking gegenüber Polizist_innen steigen würde, sind unbegründet: eine anonymisierte Kennzeichnung lässt keinen Rückschluss auf Namen etc. des jeweiligen Polizisten zu.
Position Amnesty International (Deutschland) zur unabhängigen Ermittlung gegen Polizisten (Juni 2018):
UNABHÄNGIGE UNTERSUCHUNGSMECHANISMEN BEI FÄLLEN POLIZEILICHEN FEHLVERHALTENS Amnesty International begrüßt, dass in einigen Bundesländern über externe Polizeibeschwerdestellen und Polizeibeauftragte diskutiert wird und zum Beispiel in Berlin schon entsprechende Gesetzesentwürfe vorliegen. Dies sind erste Schritte in die richtige Richtung. Amnesty International erinnert aber daran, dass es weiterhin eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus bei Fällen mutmaßlicher rechtswidriger Polizeigewalt bedarf. Der Fall Oury Jalloh in Sachsen-Anhalt zeigt eindrücklich, dass ohne derartige Mechanismen eine unabhängige, effektive und zügige Ermittlung nicht in jedem Fall gewährleistet ist. Jeder Mensch hat das Recht darauf, dass mutmaßliche Verletzungen seiner Rechte, insbesondere der körperlichen Unversehrtheit, durch staatliche Stellen schnell und unparteiisch aufgeklärt werden. Internationale Beispiele wie die britische Untersuchungskommission für Fälle von Polizeigewalt zeigen, dass unabhängige Ermittlungsstellen als Teil rechtsstaatlicher Kontrollsysteme funktionieren und nicht zu Missbrauch oder grundsätzlichem Misstrauen gegenüber der Polizei führen. Daher fordert Amnesty International die Innenministerkonferenz auf, auf die Einführung unabhängiger Untersuchungsmechanismen für Fälle mutmaßlichen polizeilichen Fehlverhaltens hinzuwirken.
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