Coronapolitikkritikleugner

Bei der Berichterstattung über die erste Großdemo in Berlin gegen die “Corona-Politik” gab es eklatante Defizite, vier Wochen später nun eine neuer Versuch, eine neue Möglichkeit, und zumindest im Ergebnis muss man sagen: eine erfolgreiche Orientierungsleistung haben die Medien nicht erbracht. Das liegt sicherlich auch an einem renitent auf seiner je eigenen Weltsicht beharrenden Publikum. Aber es liegt auch an journalistischen Qualitätsmängeln.
Weil es mir nach dem 1. August 2020 nicht gelungen war, trotz der vielen Medienberichte zu erfahren, wie Demonstration und Kundgebung unter dem Motto “Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit” verlaufen waren, war ich nun bei der zweiten Großdemo am 29. August selbst vor Ort, und um das Geschehen von möglichst vielen Blickwinkeln aus zu beobachten war ich mit dem Rad unterwegs. Die Medien hatten im Vorfeld nach meinem Eindruck (also: ohne systematische Auswertung) deutlich gemacht, worauf ihre wachsamen Augen ruhen werden: auf der Einhaltung des “Hygienekonzepts” (welch grauenhaftes Wort) und der Anwesenheit von Rechtsextremisten (und, gerne in einem Zusammenhang genannt, “Verschwörungsideologen, Esoterikern und anderen Naivlingen“.
Mit der vielfältigen Kritik an den staatlichen Grundrechtseinschränkungen und Vorschriften zur Corona-Bekämpfung, also dem Anliegen der Demonstration und Kundgebung in Berlin, beschäftigten sich die Medien hingegen nicht, und sie bekennen sich auch immer wieder dazu, mit nichts so deutlich wie dem völlig ideologischen Begriff der “Corona-Leugner”, der sich quer durch alle Medien findet (z.B. Tagesschau). Der Begriff ist richtig für eine sehr kleine Gruppe von Verrückten, die tatsächlich behaupten, es gebe gar kein neuartiges, krankmachendes Corona-Virus. Diese sehr kleine Gruppe leugnet eine Tatsache, und darüber muss man wirklich nicht diskutieren. Doch all die Menschen, die Corona anders einschätzen als die herrschende Politik, die andere Abwägungen treffen, die ihr Leben anders leben wollen, sind keine Leugner, sondern schlicht eine Opposition im Meinungsstreit. Die Medien haben allerdings von Anfang an darauf verzichtet, sie angemessen (d.h. repräsentativ) in ihrer Berichterstattung zu berücksichtigen (vgl. Eisenegger et al.).
Dies dürfte dazu geführt haben, dass heute vielen, zumindest den lauten Meinungsmachern jede Art von Widerspruch als Tatsachenleugnung erscheint. Andere Sichtweisen als die der Regierungen (die sich ja über ihre Parteibücher hinweg völlig synchronisiert haben) wurden schlicht nie als demokratisch diskutierbare Option behandelt. Weil der eingeschlagene Weg der Pandemiebekämpfung als alternativlos, also als einzig objektiv richtig hingestellt wurde, muss jeder Widerspruch verrückt sein.

Bei der Berichterstattung über die Großdemonstration “Berlin invites Europe – Fest für Freiheit und Frieden” an diesem Wochenende will ich vier Probleme benennen.

1. Die einzelnen Veranstaltungen werden nicht auseinandergehalten. Weder der rechtsradikale Aufmarsch vor der Russischen Botschaft noch der “Sturm auf den Reichstag” gehörten zu dem, was Michael Ballweg und Nils Wehner angemeldet und vor Gericht erstritten haben. Es wäre fair gewesen, Berichte von den verschiedenen Ereignissen zu trennen. Es kann nicht verwundern, dass sich die friedlichen Demonstranten in den meisten journalistischen Berichten nicht wiederfinden und sie deshalb für eine Verzerrung der Wirklichkeit halten.

2. Die meisten Medien fokussierten völlig auf Verstöße gegen die verordneten (und im Konzept der Veranstalter selbst vorgesehenen) Mindestabstände. Die mediale Kontrolle dieser Abstände wurde zum Selbstzweck, völlig ungeachtet der Relevanz (z.B. “Haushaltsgemeinschaften”, die ohnehin ständig zusammen sind und dies auch in der Öffentlichkeit dürfen) und einseitig auf die Anti-Corona-Politik-Demonstranten bezogen (nicht aber auf Gegendemonstranten und Zuschauer, nicht bezogen auf Polizisten). Das erleben wir ja schon eine ganz Weile: ein einzelnes Foto mit zu dicht beieinander positionierten Menschen kann jederzeit skandalisiert werden, als drohe nun endlich der Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Zusammenhänge werden dabei meist nicht geklärt. Die Polizei hat in Berlin die Großdemonstration noch vor ihrem Start aufgelöst, weil die Mindestabstände nicht eingehalten wurden. Dass dies aufgrund der Menschenmenge und den überall von der Polizei selbst aufgestellten Begrenzungen gar nicht anders möglich war, wurde nicht berichtet. Wenn es wirklich um den Infektionsschutz mittels Abstand ging, dann war die Taktik, den Zug erst starten zu lassen, wenn die Abstände stimmen, natürlich völlig kontraproduktiv. Sobald Bewegung in die Menschenmasse gekommen wäre, hätte sich diese ganz von alleine entzerrt, wie das immer und überall geschieht (bis zum nächsten Stopp durch die Polizei oder eine Engführung der Demonstrationsstrecke).

3. Einzelfälle werden als repräsentativ für das Gesamtgeschehen genommen. Wenn ein Journalist sich irgendwie bedrängt fühlt, vermeldet er das als Angriff auf die Pressefreiheit, Kollegen und Fans teilen es munter. Alles, was sich zur Skandalisierung eignet, wird publiziert – ohne Zeit für Recherche, ohne Einordnung.

4. Journalisten sind, sofern sie nicht undercover arbeiten, keine neutralen, sondern “teilnehmende” Beobachter, wie das in der Sozialforschung heißt. Sie selbst haben Einfluss auf die Ereignisse, über die sie berichten. Das ist unvermeidlich, muss aber berücksichtigt werden. Die Art etwa, wie ich Geschehnisse und Personen fotografiere oder filme, wie ich dabei auftrete (bspw. mit einem Security-Team wie am 1.8. Dunja Hayali) oder welche Fragen ich Teilnehmern stelle, hat unmittelbar Auswirkungen auf das Geschehen.

Viele Artikel überzeugen mich nicht von ihrem Bemühen um objektive Berichterstattung. Das begann schon mit den behördlichen Verboten und den folgenden aufhebenden Gerichtsbeschlüssen. Wer sich kompetent fühlt, über juristische Themen zu berichten, hätte die Mängel im Untersagungsbescheid der Polizei erkennen und benennen müssen. Stattdessen wurde die Entscheidung bejubelt oder allenfalls für politisch unklug gehalten (dabei darf eine Polizeiverfügung natürlich gar nichts mit Politik zu tun haben). Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde dementsprechend kommuniziert, als sei es eine knappe Sache gewesen: “unter strengen Auflagen” sei die Demo nun doch erlaubt, hieß es überall (“Der Westen” titelte gar: “Gericht fällt krasses Urteil”). Ungeachtet, was die Gerichtssprecherin gesagt hat: wer über den Fall berichten will, sollte die Dokumente dazu kennen. Der zentrale, aber nirgends zitierte Satz lautet:

>”Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid des Antragsgegners als offensichtlich rechtswidrig, weil es schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Verbot fehlt und der Bescheid zudem ermessensfehlerhaft ist.”<

Neue strenge Auflagen hingegen findet man in den Beschlüssen nicht.
Es gibt theoretisch zwei Möglichkeiten, was behördliches Verbot und gerichtliche Aufhebung bedeuten können. In beiden Fällen müsste dringend geklärt werden, wie es dazu kommen konnte. Denn entweder lag die Polizei mit ihrem Verbot völlig daneben. Dann ist es nicht Zeit für lustige Späßchen der Art “feine Diktatur in der wir da leben, wo Gerichte noch frei entscheiden” (natürlich war sich die Heute-Show genau dafür nicht zu doof), sondern für Vorkehrungen, künftig solche rechtswidrigen Entscheidungen zu verhindern. Oder aber die beiden Gerichte lagen völlig daneben. Dann sollten die Bürger dringend große Zweifel am Rechtsstaat haben, und die Medien müssten recherchieren, wie mit einer nicht funktionierenden Gerichtsbarkeit umzugehen ist.
Doch die Medien ließen die von ihnen mitverursachte Unsicherheit einfach stehen, mit dem Ergebnis, dass sich weiterhin jeder seine eigene Wahrheit daraus basteln kann. Dazu verweise ich auf den gescheiterten Versuch einer kleinen Twitter-Diskussion mit dem dort recht prominenten Rechtsanwalt Thomas Stadler

Stadler schrieb:

>”Wenn ich einen Stein fallen lasse, weiß ich, dass er am Boden ankommt. VG und OVG Berlin meinen demgegenüber, die Behörde hätte das nicht ausreichend dargelegt. Es gibt ein Maß an Evidenz, das keiner gesteigerten Begründung mehr bedarf.”<

Er hält also die Beschlüsse der beiden Gerichte für grob falsch. Er hätte, so wird im weiteren Verlauf deutlich, schon grundsätzlich wegen des Infektionsrisikos keine Großveranstaltung zugelassen. Was sagt uns das aber, wenn Gerichte so falsch entscheiden? Braucht es keine Begründung für die Vermutung von gesteigertem Infektionsrisiko? Gibt es gar keine Selbstverantwortung und damit Selbstbestimmung mehr? Wie gehen wir damit um, wenn freie Rechtsanwälte die Dinge besser beurteilen und entscheiden können als die zuständigen Gerichte? Auf keine dieser Fragen ist Stadler eingegangen. Seine Fans applaudieren ihm trotzdem. Aber wehe, die “Gegenseite” kritisiert bei passender Gelegenheit mal wieder die Justiz.

Ich behaupte nicht, ein besserer Journalismus könnte verhindern, dass gebildete Menschen zwischen Meinungen und Tatsachen nicht unterscheiden und so ihre persönliche Weltsicht für die einzig wahre halten. Aber die Chance auf Dialog sollte doch größer sein, wenn wir es aus den Medien gewohnt wären, alle möglichen Sichtweisen auf Probleme und Ereignisse zur Verfügung gestellt zu bekommen, und nicht nur das, was einer bestimmten “Haltung” entspricht.
Stattdessen genügt es inzwischen, einen Erlebnisbericht von den Berliner Demos auf Social Media zu teilen, um die Eignung für ein politisches Amt abgesprochen zu bekommen.
Und für Verachtung gibt es über sechstausend Likes. Für die Bekundung, aus Angst vor Rechtsradikalen am Berliner Hauptbahnhof einen großen Umweg zu fahren, gibt es über achttausend Likes.

Foto: Einige Gegendemonstranten nahmen es sehr genau mit ihrer infektionsschutzkonformen Maskierung, auch wenn das in Deutschland eine Straftat ist.

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