Das Grundgesetz als Ansammlung von Freiheitsbeschränkungen
Die deutsche Verfassung wird im öffentlichen Diskurs gerne als heilige Schrift verehrt. Kritik am Grundgesetz gilt als Verfassungsfeindlichkeit, obwohl die Politik es ja ist, die permanent diese Verfassung kritisiert und deshalb ändert. Journalisten und andere Meinungsführer loben gerne, wie toll ‚unser Grundgesetz‘ doch sei, quasi eine Gnade der postnationalsozialistischen Gründungsväter. Aber was steht eigentlich drin? Ist es die große Proklamation der Freiheit? Müssen wir stolz sein auf die uns laut Präambel von uns selbst zugesprochenen Grundrechte?
Man kann die ersten 19 Artikel jedenfalls auch anders lesen: als wortbalsamierte Einschränkung von Freiheit. Denn demokratische Freiheit, also die Abwesenheit von Fremdherrschaft, würde alles enthalten, was das Grundgesetz aufzählt: Natürlich 5darf ich sagen, was ich denke. Natürlich darf nicht jemand einfach in meine Wohnung kommen. Natürlich kann mich niemand zwingen, andere Menschen zu erschießen. Etc. Das Grundgesetz hingegen sagt: doch doch, all das geht. Es muss nur in einem Gesetz stehen. Überfliegen wir es mal, unser Grundgesetz in der derzeitigen Fassung (es lohnt sich immer wieder ein Blick in die Urversion von 1949):
Artikel 1 erklärt nur die Würde des Menschen für unveräußerlich, nicht seine Freiheit.
Artikel 2 definiert die Freiheit:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Nicht die Rechte anderer zu verletzten ist klar, es wäre eben der Entzug von Freiheit. Aber dann folgt schon eine nicht näher definierte „verfassungsmäßige Ordnung“ und ein nebulöses „Sittengesetz“. Die Verfassung wird bekanntlich von Politikern geschrieben und fortwährend geändert, die Sitten sind Freiheitsbeschränkungen aufgrund irgendwo vorherrschender Empfindungen.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Heißt: Die Freiheit der Person darf natürlich verletzt werden. Es muss nur ein Gesetz dafür gemacht werden. Und denken Sie jetzt bitte nicht nur an den Knast. Die rote Ampel oder die Mehrwertsteuer auf Ihr täglich Brot, die Rauchmelderpflicht und der Vorbehalt einer Betriebsgenehmigung sind legalisierte Eingriffe in die Freiheit, ohne dass Sie beabsichtigen müssen, in die Freiheit anderer einzugreifen. Unser Grundgesetz beginnt mit der Botschaft: Deine Freiheit steht in jedem erdenklichen Punkt unter dem Vorbehalt politisch ermächtigter Einschränkungen, unter dem Vorbehalt des Freiheitsentzugs.
Artikel 3 hebt bestimmte Gleichheiten hervor. Dabei ist „Gleichheit vor dem Gesetz“ bzw. vor ’staatlichem Handeln‘ längst in „Freiheit“ inbegriffen, eine Ungleichheit ist ja nur durch Herrschaft möglich.
Artikel 4 verlangt für das Freisein von Kriegszwang eine Darlegungspflicht („Gewissen“), das Prüfverfahren ist gesetzlich geregelt. Ohne von der Herrschaft akzeptierte Gewissensbegründung keine Kriegsdienstfreiheit.
Artikel 5, Meinungs(äußerungs)freiheit: “ Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Artikel 6: “ Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden….“
Artikel 7: Schulregelungen
Artikel 8: Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel darf eingeschränkt werden.
Artikel 9: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“ Schön, aber schade, wenn es eigens erwähnt werden muss
Artikel 10: “ Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. (2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.“ Also: Keine Freiheit vor herrschaftlicher Schnüffelei. Gerade keine Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses.
Artikel 11: “ Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, […]“ Wir haben es wohl mit der Corona-Politik deutlich erlebt: keine Freizügigkeit.
Artikel 12: Berufsfreiheit
„(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“
Keine Berufsfreiheit, keine Freiheit von Dienstpflichten, kein Verbot der Zwangsarbeit.
Artikel 12a: Wehrpflicht
Artikel 13: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Vier Wörter Freiheitsbehauptung. Und dann folgen 336 Wörter, die diese Behauptung ad absurdum führen.
Artikel 14: (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
Artikel 15: Möglichkeit der „Vergesellschaftung“ von Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel. Die Freiheitsbeschränkung liegt in der Fiktion, es könne überhaupt Eigentum an Boden und Naturschätzen geben (siehe Eigentumsreligion).
Artikel 16: “ Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung…“
Artikel 16a: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Ursprünglich war dieser simple Satz in Absatz 2 von Art. 16 enthalten. Der lautete in seiner ganzen präzisen Schönheit: “ Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Heute folgen nach der Asylrechtsbehauptung mit vier Wörtern 275 Wörter, dass das natürlich nicht ernst gemeint ist.
Artikel 17: Petitionsrecht. Aber kein Anspruch auf Reaktion.
Artikel 17a: Einschränkung der Meinungsfreiheit
„Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst können bestimmen, dass für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz), das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8) und das Petitionsrecht (Artikel 17), soweit es das Recht gewährt, Bitten oder Beschwerden in Gemeinschaft mit anderen vorzubringen, eingeschränkt werden.“
Artikel 18: Verwirkung von Grundrechten
„Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“
Artikel 19: Grundrechtsbeschränkung für alle
„Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.“
Diese Regelung soll vor Willkür bewahren, über das Ergebnis lässt sich streiten. Auch hier hat die Corona-Politik gezeigt, wie einzelfallbezogen Gesetze geändert wurden. Und stets allen Grundrechte zu entziehen anstatt nur dem Einzelfall mag gerecht klingen, führt in der Realität aber zu weit weniger Freiheit, wenn nicht in jedem Einzelfall die Sinnhaftigkeit geprüft wird (was nicht geschieht, Regeln gelten abstrakt).
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