Von Pfandsammlern, Plastiktüten-Gästen und Käse über Butter
+ Ein Flaschensammler läuft durch den ICE, wie üblich im Zielort mit mehreren Bahnhofshalten. In einem der Übergänge von Waggon zu Waggon steht eine Schaffnerin und winkt den Flaschensammler mit rudernden Armen wie ein Verkehrspolizist zur Tür: „Aber raus hier, ganz schnell“, donnert sie, und ergänzt den Bruchteil einer Sekunde später: „Sie auch!“ Die Angesprochene, möglicherweise durch eine In-Ear-Beschallung nicht allzu sensibel für Umweltakustik, reagiert zunächst nicht und umschifft die Personenverkehrspolizistin. „Hey, Fräulein, das Ticket“ ruft die Schaffnerin und setzt zur Verfolgung im Schritttempo an. Nun reagiert die zu Kontrollierende, nimmt einen Kopfhörer ab und fragt: „Wie bitte?“ „Das Ticket“, sagt die Schaffnerin. „Warum? Etwa, weil ich mit zwei Tüten unterwegs bin?“ „Zum Beispiel.“ Die Delinquentin stellt ihre Tüten ab, kramt in ihrer Handtasche nach einem Etui und zieht eine Bahncard 100 hervor. „Okay“, sagt die Schaffnerin und tritt ab. „Nicht okay, sondern mindestens ‚Entschuldigung'“, ruft ihr die Kundin hinterher. Aber sowas gibt’s höchstens bei Rassismus- und Sexismusbehauptungen. Soziale wie politische Klassierung aufgrund äußerlicher Merkmale sind noch nicht ins öffentliche Erregungszentrum invadiert.
+ Die eigene Bearbeitung bzw. Herstellung von Lebensmitteln ist aus meiner Sicht vor allem in zweierlei Situationen sinnvoll: Ein erstes Mal, um zu verstehen, wie etwas überhaupt geht oder funktioniert. Rechnen wir es mal unter Allgemeinbildung. Danach immer dann, wenn man in eigener Herstellung bessere Resultate erzielt als beim Kauf des (ähnlichen) Produkts; z.B. weil man bessere Zutaten (aus eigener Erzeugung) hat oder bessere Verfahren verwendet oder es deutlich günstiger ist (weil die Äpfel halt da sind…). Standardbeispiel Brot: Jedes Kind sollte lernen, wie Brot gebacken wird (wobei es dann lernt, welch kleinen Anteil das Backen am Gesamtprozess hat). Regelmäßig selbst backen sollte man aber nur, wenn es keinen brauchbaren Bäcker in der Gegend gibt oder dieser genau das, was man haben möchte, nicht oder nur weit schlechter produziert.
Offenbar hält bei vielen Zeitgenossen die Begeisterung über den ersten Anwendungsfall, das grundsätzliche Lernen, nachhaltig an und verzerrt ein wenig die realistische Beurteilung des zweiten Falls. Was viele Selbstversorgungsbäcker in ihrer Küche fabrizieren steht der Discounter-Aufbackware leider in vielem nach.
Noch etwas intensiver muss die Begeisterung über den eigenen Erkenntnisgewinn bei Menschen sein, die das Buttermachen aus gekaufter Sahne propagieren und rufen: Hör auf, Butter zu kaufen!
Ja, jedes Kind sollte mal Butter gemacht haben. Dazu sollte es aber besser keine gekaufte Sahne verwenden, sondern unbehandelte Milch selbst „absahnen“. Und nur, wer dies aus Milch von Nachbarschafts-Kühen machen kann, sollte erwägen, seine Butter stets selbst herzustellen: wenn die Magermilch (entstanden nach Entnahme des Rahms) und die Buttermilch (entstanden nach dem Schlagen der Sahne) im Haushalt verwendet werden. Denn aus behandelter Supermarkt-Sahne Butter zu schlagen ist über den Aha-Effekt hinaus: albern – geschmacklich wie ökonomisch wie ökologisch.
(Und natürlich findet sich wie immer in den Kommentaren die Legende, man habe früher als Kind Milch vom Bauernhof holen müssen und auf dem Rückweg die Milchkanne geschleudert, so dass zuhause Butter darin war und es großen Ärger gab. Nein, man kann aus Milch mit keinem Schleudergang der Welt Butter erzeugen, völliger Humbug. Und selbst aus Sahne bekommt man mit ein paar Schleuderbewegungen einer gefüllten Kanne keine Butter. In den Molkereien wird übrigens alle eintreffende Milch komplett entrahmt (quasi zerlegt) und später wieder auf das gewünschte Maß mit Milchfett versehen. Verrückt, aber wahr. Ausnahme siehe unten in den Kommentaren.) (Siehe zum Thema auch: Schulmilch und Gefahr der Rohmilch)
+ Und von wegen Till Reiners (siehe): Seine zehnminütige Aufklärung über die „absurden Privilegien der christlichen Kirchen“ war nicht ganz so faktengetragen, wie es seine Fans bejubelt haben. Auf die vielfalch vorgetragene Sachkritik haben bisher weder er noch seine ZDF-heute-Show-Redaktion reagiert.
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