Verträge mit der Gesellschaft müssen öffentlich sein

+ Datenschutz verlangt, Informationen über uns nur selbstbestimmt zu offenbaren und uns ansonsten nur zu einer Preisgabe zu verpflichten, wo dies demokratisch unabdingbar ist. Datenschutz bedeutet daher vor allem, unsere Daten nicht Politikern und den von ihnen gelenkten Verwaltungen an die Hand zu geben. „Der Staat“ greift so viel mehr ab als demokratisch legitim ist, dass der Begriff „Datenschutz“ nicht viel mehr als ein Popanz ist.
Was Datenschutz niemals verlangt: Das Handeln der Herrschaft vor dem  Souverän zu verbergen. Aber genau dafür wird die Chiffre ganz besonders oft genutzt: „Wir wollen uns nicht in die Karten gucken lassen, also schieben wir mal den Datenschutz vor, der es uns – leider, leider – unmöglich macht, Transparenz im Verhältnis von Regierern zu Regierten herzustellen.“
Geschäftsgeheimnisse zum Beispiel. Keine Firma sollte mit Politik, Verwaltung oder Rechtsprechung irgendeinen Vertrag machen können, der nicht öffentlich ist – von ein ganz paar Ausnahmen abgesehen. Rund um den Einkauf von Corona-Impfstoffen war das Thema immer mal wieder aktuell. Nein, da kann es kein Geschäftsgeheimnis geben. Wenn da Leute angeblich im Auftrag der Gesamtbevölkerung einkaufen gehen, dann muss diese Bevölkerung wissen, zu welchen Konditionen da mit ihrem Geld für sie gehandelt wird. Aus den täglich vermutlich dutzenden vergleichbarer Fälle hier nur einer:

>Zu konkreten Verträgen, zum Beispiel mit Hamburgs städtischer Wohnungsbaugesellschaft SAGA, wollten sich die Stadtwerke [Flensburg]am Dienstag aufgrund der Vertraulichkeit der Verträge nicht äußern.<

Die Stadtwerke Flensburg gehören „der Stadt Flensburg“, also den dortigen Bürgern, die SAGA gehört den  Hamburgern. Es ist ein Popanz, hier auf „Vertraulichkeit der Verträge“ zu pochen, um den Bürgern vorzuenthalten, wie da für sie und mit ihnen gedealt wird. Kommunale und staatliche Institutionen, egal in welcher formalen  Rechtsform geführt (GmbH etc.), sind öffentliche Betriebe, die ihre Hosen  runterlassen müssen. Und wer mit solchen Betrieben Geschäfte machen möchte (Handwerker, Stromhändler etc.), muss sich auf die Öffentlichkeit und entsprechende öffentliche Kontrolle einstellen.
Wo es doch tatsächlich objektiv schutzwürdige Informationen gibt, kann die öffentliche Kontrolle wie immer mit ausgelosten Gruppen hergestellt werden, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, außer sie entdecken eben Unregelmäßigkeiten, die nicht behoben und ggf. geahndet werden. Alles sehr einfach – wenn man denn möchte.

+ Ab wann darf man oder muss sogar Politiker als Volltrottel bezeichnen? Nachdem sie die neue Verfassungsfeindlichkeit der „Delegitimierung des Staates“ erfunden haben, ist natürlich jede Skepsis gegenüber der Herrschaft ein Fall für die Staatssicherheit, weshalb man mit der Antwort vorsichtig sein sollte (–> Hintergrund). Aber wer nicht einen kompletten Holzstapel vorm Kopf hat wird nicht umhinkommen zu sehen, dass sie in der Vergangenheit praktisch alles versemmelt haben, was man so an Zukunftsplanung versemmeln kann: nichts taugt mehr. Städte müssen umgebaut werden (wegen Klima, wegen Mobilitätswende, wegen Überalterung, wegen Weißderteufelwas alles), unsere Energieversorgung muss komplett transformiert werden, das Abwassersystem ist intellektuell sehr antik, der selbstgemachte Klimakollaps scheint kaum noch aufzuhalten zu sein und selbst die Ernährung der Bevölkerung steht auf wackeligen Füßen – und so gibt es tausende Dinge, die derzeit als Problem unbestreitbar sind und ihre Ursache in politischen Entscheidungen der (jüngeren bis jüngsten) Vergangenheit haben. Bleibt für die Volltrottel-Frage nur zu klären: konnten sie das alles nicht wissen? Kamen unvorhersehbare Neuerungen dazwischen?

Seit März 2020 werde ich nicht müde, dies am Beispiel der Pandemiebekämpfung durchzuspielen. Erstaunlicherweise haben fast alle Menschen, mit denen ich bisher darüber gesprochen habe, die Erzählung geschluckt: „Damit konnte ja niemand rechnen.“ Entsprechend kam Corona völlig unerwartet und traf Politik, Verwaltung und sogenannte „Zivilgesellschaft“ gänzlich unvorbereitet. Deshalb verzeiht der angebliche Souverän seinen Herrschern auch fast alle Dämlichkeiten, die sie im Pandemiemanagement gemacht haben, mit allen Folgen. Aber stellen Sie sich mal bitte die einfache Frage: Mit was, wenn nicht einer Epidemie, hat der deutsche Katastrophenschutz/ Zivilschutz gerechnet? Mit der Landung von Marsmenschen? Mit einem Vulkanausbruch in Berlin Mitte? Mit einer Heuschreckeninvasion? Wenn es wirklich so wäre, dass die Verantwortlichen (=die uns in all diesen Fragen Bevormundenden) mit einer Pandemie nicht gerechnet haben, bliebe für sie nur die Trottel-Kategorie.

Und die scheint auch bei der derzeitigen „Gaskrise“ für viele Entscheidungsträger die einzig passende zu sein. Dass man sich mit den Gasimporten aus Russland abhängig mache, wurde bis zuletzt bestritten (allein schon, weil der Vorwurf u.a. von  Donald Trump kam, der ja per se als Vollhonk Unrecht haben muss). Wie abhängig Deutschland tatsächlich ist, spüren wir nun mehr als deutlich. Das russische Gas war kein Bonus, kein Extra, es war offenbar existenziell. Nun machen der Reihe nach Firmen pleite, Privathaushalte wissen nicht, wie sie die Energiekosten bezahlen sollen, der Blackout gilt als reales Szenario und im Industrieland BRD werden Wärmehallen vorbereitet. Wie könnte man da nicht von Abhängigkeit sprechen?

Könnte es eigentlich irgendwie gefährlich sein, dicke Gasleitungen durch die Landschaft zu verlegen, durch Feld, Wald, Wiese und – Meer? Und was wäre zu tun, wenn es da zu irgendeinem Problem käme, sei es, weil die Marsmenschen unglücklich auf Nord-Stream-1/2 gelandet sind oder weil ein Vulkanausbruch eine Leitung beschädigt? Darf man von Politikern, die solche gigantischen Projekte wie Nord-Stream auf den Weg bringen, verlangen, dass sie darüber nachdenken und die plausiblen Ergebnisse dieses Denkens in den politischen Raum einbringen? Nun, da aufgrund von wohl kriegerisch oder terroristisch herbeigeführten Leckagen der Gasrohre Methan vom Ostseegrund in die Atmosphäre blubbert,  erfahren wir, dass es keine Absperrvorrichtungen gibt und wohl der gesamte Gasinhalt der Pipelines in die Luft geht: 300.000 Tonnen Methan, so viel, wie alle deutschen Rinder in vier Monaten emittieren.
Aber ey, konnte niemand wissen, dass so eine Gasleitung mal ein Loch haben könnte und dann ein Abschottungsvorrichtung alle paar Kilometer vielleicht eine gute Sache wäre. Deshalb tut sich nun wahnsinnig schlau hervor, wer einen „besseren Schutz der Infrastruktur“ fordert. Als genau dafür zuständiger Politiker. Aber gut, wie sagt Harald Welzer so treffen: wir leben nicht im Anthropozän, wir leben im Zeitalter der Dummheit.

+ Siehe bzw.. höre dazu auch: Fehler von Politikern – Berufsstand mit beschränkter Haftung.

+ Zur „Eigentumsreligion“ ist mein für das philosophische Wirtschaftsmagazin „agora 42“ geschriebener Beitrag „Grundeigentum überwinden“ nun online verfügbar.

+ Suizid sollte viel mehr Thema sein – bis seine Wahl so normal ist wie die der sexuellen Orientierung. Deshalb auch hier wenigstens ab und an etwas Aufmerksamkeit dafür. Zum Beispiel mit folgendem Statement von Wolf Schneider, das mir gerade in einem älteren Interview begegnet ist:

> Der Tod selbst ist ja nichts Schlimmes – ginge ihm nicht diese elende Sterberei voraus. Die meisten sterben lange und widerlich. Daliegen und sich anscheißen, damit endet alle Lebenswürde. Wenn es eine halbwegs zumutbare Form gäbe, sich in einem späten Zustand abzuschaffen, wäre ich dafür.<
(Wolf Schneider im Gespräch mit Christoph Keese und Sven Michaelsen zum 90. Geburtstag)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert