ZEIT für schlechte Gags übers Nichtgendern

+ In den bisherigen Interviews und Journalistenanfragen sollte ich stets sagen, warum es zu den doch erheblichen Fehlern im Corona-Journalismus gekommen ist. Ich vermute, dass es neben der speziellen “Stress-Situation” (persönliche Angst) schlicht mangelndes Handwerkszeug ist. Denn Fehler, Unvollständigkeiten, Verzerrungen etc. begegnen mir überall. Keine Tageszeitung kann ich überfliegen, ohne nicht mehrere Stellen anzustreichen.
Weil in der Kürze die Würze liegt, hier zwei Sätze, aktuell aus Twitter gefischt, die journalistisches Unverständnis (oder journalistische Unwilligkeit, das ist natürlich Mutmaßung) schön verdichten:

Wie geht es eigentlich Kai Wegners Lebenspartner?
Ich darf ja nicht mehr zu Partnerin gendern, oder?<

ZEIT-Journalist Henning Sußebach will damit über die Ankündigung des neuen Berliner Bürgermeisters Kai Wegner witzeln, er wolle in  seiner amtlichen Kommunikation auf Gendersprache zu verzichten:

Es geht mir um eine verständliche Sprache. Und ich werde so schreiben, wie ich es in der Schule gelernt habe. Deshalb habe ich und werde ich keinen Brief aus der Senatskanzlei in Gendersprache unterschreiben. Aber es steht allen frei, so zu sprechen, wie sie möchten.<

Sußebachs Gag besteht nun darin, Wegners Partnerin als Partner zu bezeichnen – was ungefähr das Level hat, eine Schwester Bruder zu nennen. Desorientierung statt Orientierung, also etwas mehr als haarscharf am Ziel von Journalismus vorbei. Dass “Partnerin” keine “Gendersprache” ist und Sußebach mutmaßlich nicht zur Berliner Verwaltung gehört, auf die komplett einige Medien das Nicht-Gendern des Regierenden bezogen, steht nicht nur dem Erfolg des Witzes entgegen, es zeigt beispielhaft die Hemdsärmeligkeit, mit der viele Journalisten Themen bearbeiten, ja die Welt betrachten und dann vermelden.

+ Über die Standardprobleme im Corona-Journalismus habe ich mit Bastian Barucker ausführlich gesprochen (Video). Weitere Medien-Resonanz ist in der bekannten Sammlung “Medienkritik zum Corona-Journalismus” gelistet (Punkt 01.02).

+ Sicherlich weisen die sogenannten “Alternativmedien” dieselben Qualitätsdefizite auf wie Massenmedien bzw. Vollprogramme. Da ich dazu allerdings keine eigene Fallsammlung angelegt habe, fußt die “Sicherheit meiner Annahme” (eine Tatsachenvermutung) auf sehr schmalem Material. So wie diesem Zufallsfund bei Boris Reitschuster vom 18. Mai 2023: Er bzw. der Blog illustrierte einen Text zu Axel Springer mit dem Logo des Wissenschaftsverlags Springer (Heidelberg), der zur Springer Nature AG & Co. KGaA gehört. Das ist ein wenig peinlich, weil wer immer das Bild in den Artikel eingefügt hat in seinem Leben wohl wenig Kontakt zur akademischen Literatur hatte und auch darauf verzichtet hat, die in der Illustration angegebene Internetadresse einmal auszuprobieren.
Beispielhaft erwähnenswert wird der Schnitzer aber durch seine intransparente Korrektur. Denn einige Stunden nach Veröffentlichung wurde das Beitragsbild gegen ein etwas passenderes ausgetauscht, das die ehemalige Berliner Axel-Springer-Passage zeigt, die längst, da Springer in einen schicken Neubau gezogen ist, verkauft ist und nun “X8” heißt. Auf diese Korrektur wird bei Reitschuster nicht hingewiesen, – nicht unter dem Artikel, nicht aktiv auf Twitter.

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