Mal wieder “losen statt wählen” – und vielerlei Gewalt

+ Mein Weg in den Podcast “Der 8. Tag aus dem Gabor-Steingart-Universum “The Pioneer” war etwas verworren, denn Ausgangspunkt war im vergangenen Herbst mal die “Eigentumsreligion“, ging dann über meine “VW6-Fragen” und endete sehr sinnvoll am Anfang von alledem: bei der aleatorischen Demokratie. Aus meiner Sicht ist das Gespräch mit Moderatorin Alev Doğan hörenswert; es ist eine eher natürliche Plauderei als ein Interview mit fertigem Fragekatalog. Und obwohl ich es dadurch zunächst im Hinblick auf meine Darlegungen etwas chaotisch fand, wirkt es jetzt beim Zuhören auf mich doch recht schlüssig. Aber beurteilen Sie bitte selbst und schreiben mir.
Die Pioneer-Podcasts sind fast alle kostenpflichtig, aber man kann derzeit für nur 3 Euro drei Monate lang testen – das empfehle ich an dieser Stelle dann doch ganz honorarfrei als jemand, der schon zu Steingarts Handelsblatt-Zeiten unregelmäßig aber gerne sein Morning Briefing gehört hat: “Der 8. Tag: Demokratie – auslosen statt wählen?” Vorschauversion in allen Podcast-Apps, z.B. bei Spotify oder in der Castbox. Und kundenfinanzierter Journalismus liegt mir natürlich.
(Zum inflationär gebrauchten Titel “Losen statt wählen” werde ich bei Gelegenheit mal ein Special machen…)

+ Zur journalistischen Auskunftsverweigerung (letzte Woche beklagt) gab es im Nachgang noch einen kurzen Mailwechsel, der mich allerdings noch mehr staunen lässt über das Selbstverständnis mancher Kollegen. In der ersten Reaktion schrieb mir eine Redakteurin:

Ich habe [gemeint ist “hatte] Ihre Anfrage an den Autoren des ursprünglichen Textes weitergeleitet. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir auf Grund der Vielzahl an Zuschriften von Leser:innen nicht alle Anfragen beantworten können.

Auf meine Replik, ich hätte keinen leserbrief geschrieben, sondern eine journalistische Anfrage gestellt, antwortete die Kollegin:

Für journalistische Anfragen ist bei uns (wie überall anders auch) die Unternehmenskommunikation bzw. Pressestelle zuständig. Bitte richten Sie entsprechende Anfragen künftig direkt dorthin.

Die Redakteurin möchte also, dass über ihre Arbeit nicht sie, sondern die Pressestelle des Verlags Auskunft gibt. Und sie erwartet auch selbst keine Antwort von Akteuren, sondern von deren PR-Abteilungen. Mein Ansatz ist da doch ein ganz anderer. Die Pressestelle kann allenfalls dazu dienen, den Kontakt herzustellen. Ansonsten kommt da niemals etwas Brauchbares heraus.
Die Verweigerung des direkten Dialogs schadet, ich wiederhole das, der Selbstregulierung der Presse, sie schadet damit der Pressefreiheit.

+ Matze Hielscher sagt im Intro zu seinem Interview-Podcast zwar immer, dass er interessante Leute treffen und von ihnen lernen will – aber bei vielem scheint sein Weltbild dann doch sehr gefestigt, so dass andere Sichtweisen, gar Faktenhinweise gar nicht mehr zu ihm durchdringen. Unangenehm aufgefallen ist es mir kürzlich im Gespräch mit Milan Peschel. Der von mir sehr geschätzte Peschel mag nämlich nicht so mitschwimmen im Strom der Über-Til-Schweiger-Empörten. (Zur Erinnerung: inhaltlich sehr dünne Vorwürfe von “Machtmissbrauch” und Trunkenheit am Arbeitsplatz – in anderen Konstellationen quasi Einstellungsbedingung, aber natürlich nicht für einen trockenen Matze – sollten Schweiger mal wieder diskreditieren.
Milan Peschel meinte nun u.a., man könne eine Person nicht anhand solch selektiver Geschichten beurteilen. Und man müsse nicht alles öffentlich aushandeln, zumal, wenn es vorher gar keinen Versuch gab, die Sache direkt unter den Betroffenen zu regeln. Und ja, jeder habe mal einen schlechten Tag (und schreie ggf. rum). Er, Peschel, jedenfalls habe mit Schweiger gut zusammengearbeitet und würde das auch wieder tun.
Für Hielscher sind hingegen die anonym erhobenne Vorwürfe Tatsachen, Schweiger als Irgendwas-Täter längst überführt. Schließlich sind dafür ja die Medien da (inkl. Podcasts): das zu verurteilen, was die Justiz mangels zuständigkeit, mangels Rechtsverstoß, liegen lässt. Und so leitet Hielscher die Podcastfolge u.a. mit den Worten ein:

Zweimal biegen wir richtig ab, das hatte ich gar nicht vor, dadss wir uns da so lange drüber unterhalten. Einmal sprechen wir über die DDR und die damit verbundene Erinnerungskultur und seine Kritik daran.
Und es geht um Til Schweiger, die aktuellen Vorwürfe gegen Til Schweiger. Er hat mit ihm gearbeitet und teilt hier seine Perspektive, auch seine Perspektive auf die Zustände an deutschen Drehsets.
Es ist wie gesagt eine Perspektive, es ist auch, so hatte ich das Gefühl, eher ein Gespräch, das man tatsächlich an der Hotelbar führen würde, wo man noch gar nicht so fest und so sicher ist. Und das mag ich sehr, aber ich glaube, das sollte man auch wissen, wenn man das hört.

Das kann man kaum anderes interpretieren als: bitte nehmt Peschel in den Punkten nicht so ernst, er hat vielleicht etwas unüberlegtes Zeug von sich gegeben.
Nein, hat er sicherlich nicht. Er wertet die berichteten Geschehnisse anders und er geht z.T. von anderen  Tatsachen aus – u.a. bestreitet er (wie einige andere, die sich geäußert haben, ebenfalls), dass es einen großen Druck gebe, sich alles gefallen zu lassen, weil Schauspieler (und andere Mitarbeiter am Dreh) so abhängig von Regisseur und Produktionsfirma seien. Peschel sagt, es gebe genügend Nachfrage, die meisten könnten sofort einen anderen Job antreten.
Über diese “Wir jagen eine Sau durchs Dorf”-Marotte hat sich gerade mit Hinweis auf Til Schweiger übirgens auch Campino von den Toten Hosen bei Reflektor gewandt (Beginn des zweiten Teils). (Siehe zu Schweiger auch Notiz vom 9. Mai 2023)

+ Polizeigewalt. Eine zusammenfassende Studie dazu ist bereits vor einem Monat erschienen, sie sei hier nachgetragen. Als kurzer Überblick: “Tabu Polizeigewalt – In Deutschland ist sie Alltag“. Die Reaktionen sind immer dieselben, leider kommt die Debatte an dieser Stelle seit Jahren keinen Millimeter weiter. Es gibt keine effektive Verfolgung von Polizeigewalt, und wenn ausnahmsweise doch einmal, dann wird sie nicht angemessen geahndet. Denn Gewalt von Polizisten ist nicht nur genausowenig wie von allen anderen Menschen zu tolerieren, sondern weit weniger. Gerade wegen des beanspruchten “Gewaltmonopols” (was so weder komplett stimmt noch undiskutiert hingenommen werden muss) und des völlig schiefen Kräfteverhältnisses muss unangemessene Polizeigewalt immer und sofort zur Kündigung führen. vermutlich bräuchte es hohe Prämien für zutreffende, interne Anzeigen gegen gewalttätige Polizisten. Es braucht definitiv externe Ermittler (wirklich extern, komplett außerhalb des Staatsapparats, private Firmen, die vermutlich auch Erfolgshonorare bekommen sollten). Es braucht für jeden Fall unangemessener Polizeigewalt, ja überhaupt polizeilicher Machtausübung sofort und unbürokratisch Entschädigung der betroffenen Bürger (m.E. für jede Durchsuchung, die sich als ungerechtfertigt erweist).
Für all das bräuchte es natürlich u.a. Politiker mit Erkenntnisinteresse, die auf pauschale Inschutznahme “ihrer” Polizisten verzichten.
Beispielhaft für einen absurden Umgang mit Polizeigewalt in den Medien ist der Tagesthemen-Kommentar von Monika Wagner (WDR). Sie stellt der unrechtmäßigen Polizeigewalt die Gewalt von Kriminellen gegenüber.

Immer wieder werden Polizisten im Einsatz auch getötet. Nur das eine zu sehen und das andere auszublenden bringt nichts voran, auch nicht die Frage, was wie häufig ist.

Und dann fordert Monika Wagner ernsthaft: mehr Personal, noch bessere Ausbildung. Mehr Polizisten, damit weniger Demonstranten und Wochenend-Partygänger von Polizisten vermöbelt werden, bessere Ausbildung, damit sich Polizisten bei Hausdurchsuchungen nicht mehr aufführen wie die Axt im Walde.
Was im Einsatz getötete Polizisten mit Polizeigewalt zu tun haben, weiß vermutlich nur der Himmel (Frau Wagner erläutert es jedenfalls nicht). Denn die unrechtmäßige Polizeigewalt, um die es in der Studie und in der ganzen Diskussion immer geht, betrifft nicht die Auseinandersetzung mit bewaffneten Kriminellen. Es geht um Gewalt bei Ordnungswidrigkeiten, kleinen Vergehen, es geht um Gewalt gegen Zeugen und Unbeteiligte. Es geht übrigens auch um Demütigungen inkl. der sexuellen Gewalt. Aber bleiben wir mal bei den Toten: Allein durch Schusswaffengebrauch der Polizei sterben jedes Jahr im Schnitt 9 Menschen, 2019 und 2020 jeweils 15. Da sind alle anderen Todesfälle noch nicht dabei, u.a. das auffällig häufige Herzversagen von Menschen in polizeilichem Schwitzkasten. Verlässliche Zahlen erheben die Behörden nicht.  Auf egal welche Art aus dem Leben gebrachte Polizisten gibt es im Schnitt pro Jahr 5.

+ Bei Polizeigewalt verweise ich immer gerne auf die unverhältnismäßige Gefährdung von mutmaßlichen Rechtsbrechern und vor allem auch völlig Unbeteiligten durch polizeiliche Verfolgungsjagden. In aller Regel wird man sie nicht damit legitimieren können, dass die versuchte Gefahrenabwehr das Unfallrisiko überwog. Meist geht es um Trunkenheits- oder Drogenfahrten, die Fahrzeugführer brausen bei einem Kontrollversuch in Panik davon. Es wäre für die Polizei ein leichtes, sie später durch eine Halterabfrage zur Rede zu stellen, anstatt mit quietschenden Reifen Hollywood zu spielen. Regelmäßig führt das jedenfalls zu Toten und Verletzten.

+ “Male captus, bene detentus” heißt die merkwürdige Regel, nach der auch illegal Festgenommene problemlos vor Gericht stehen können. Kurz erläutert hat dies “Ex-UN-Strafrichter Wolfgang Schomburg” im Zusammenhang mit dem Haftbefehl gegen Wladimir Putin. Was Schomburg allerdings nicht erklärt hat: wie denn wohl “Russland” reagieren würde, wenn der Präsident bei einer Auslandsreise verhaftet wird, um ihn vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Denn die Vorstellung, mit der Verhaftung Putins wäre der Krieg in der Ukraine und das ganze Monstrum Russische Föderation erledigt, mutet mir doch reichlich weltfremd an. Wem das hingegen unproblematisch erscheint, der vertausche wie üblich einfach nur die Rollen und stelle sich vor, der US-Präsident würde wg. amerikanischer Kriegsverbrechen auf einer seiner Reisen verhaftet. Da würde aber sofort die ganze Hütte brennen.

+ Warum Bürgerräte die Demokratie bereichern können (Kommentar).

+ An oder mit Corona verstorben? Auf die Unterscheidung wird bis heute verzichtet. Vermutlich nicht aus Demagogie, nicht aus Schusseligkeit – sondern aus der Überzeugung, dass es auf solche “Feinheiten” nicht ankommt. Ein Kurzkommentar.

+ Abschließend noch eine Rezension zur einer “Oscars und Himbeeren”-Rezension:

Lieber Ronny Rüsch,

dass ich mit Ihren persönlichen Oscars nichts anfangen kann, ist normal. Die meisten Ihrer  Empfehlungen scheiden für mich schon vom Genre her aus: Science Fiction, Horror, Kriegsfilm etc. – mit alldem  kann ichc nichts anfangen.
Wo es formal zu passen scheint, wurde ich bisher enttäuscht – bzw. darin bestätigt, dass unsere Geschmäcker einfach zu verschieden sind. Das macht nichts.

Ich höre Ihren Podcast gerne und nehme aus der unglaublichen Fülle von Informationen doch stets das ein oder andere  mit.

Aber nachdem ich aufgrund der aktuellen Folge doch mal wieder einem Ihrer Filmtipps gefolgt bin frage ich mich doch: ist das Ihr Ernst? Sie können diesem Totalschrott von “Fall – Fear Reaches New Heights” so viel abgewinnen, dass es für eine Oscar-Empfehlung reicht?

Wo Sie sonst über so viele Details diskutieren können und stets schon beim deutschen Titel anfangen (bzw. wie hier dem für den deutschen Markt verwendeten Filmtitel).

Low Budget hin oder her, aber hier stimmt nichts (bis Minute 43, dann habe ich es nicht mehr ausgehalten und in den Rest nur noch kurz reingeklickt um zu sehen, ob sich noch irgendetwas tut). Da sich alle Kritik an dem Film schon im Netz findet (wie ich nun, nach dem “Sehversuch”) feststelle, fasse ich mich sehr kurz. Meine Anmerkungen sind stets als Frage zu verstehen: Wie kann der große Filmkritiker und Cineast Rüsch das alles gut finden bzw. seiner Lobeshymne unterordnen?

Ich verlange keineswegs immer Logik in einem Unterhaltungsfilm. Aber wenn mich der Unfug so anspringt wie in “Fall”, dann kann mich die Geschichte nicht packen.

Es beginnt mit dem Grundsetting. Angst nach einem Unfall: okay. Aber Becky ist vorher an nackten Felswänden geklettert, nun hat sie Probleme mit einer Leiter  – aber dann keine Probleme, in 600 Metern Höhe ohne Sicherung auf “der Fläche eines Pizzakartons” (ungefähres Filmzitat) zu stehen.

Ich bin kein Kletterer, aber die (von Shiloh verwendete) “Sicherungsmethode” ist ein Witz. Dass das Gewicht der beiden Frauen irgendeine Auswirkung auf den maroden Turm haben soll, lässt sich auch mit viel gutem Willen nicht hinnehmen.
Niemand kann einen an einem Seil hängend abstürzenden Menschen mit den Händen halten (und das noch ohne Handschuhe).

Aus den Rezensionen, die ich jetzt überflogen habe, mal Folgendes als m.E. völlig zutreffend:

“Zwei junge Damen klettern in Turnschuhen einen 600 Meter Turm innerhalb von ‘ner halben Stunde hoch, rütteln auf ihrem Weg locker lustig an der Leiter und wundern sich dann, dass sie abfällt als sie oben angekommen sind. Dort sitzen sie dann fest, haben viele semi tiefgründige Gespräche über Eifersucht und Betrug und lachen und weinen im wilden Wechsel. Als wäre das nicht nervig genug, sind mein Highlight, die Szenen mit brutalen Geier-Angriffen. Auch die Moral am Ende hat überhaupt nichts mit dem Film zu tun. Den einen Stern gibt’s für die Geier, die haben echt ihr Bestes gegeben noch was aus dem Film rauszuholen.” (Wobei ich die Geier nicht mehr gesehen habe, da war ich schon raus – meinen wenigen noch erfolgten Sprüngen entnehme ich, dass die Mädels sich auch noch von einem Geier ernähren?)

Aus einer anderen “Kundenbewertung”:
“Die Dialoge sind zum Fremdschämen, die Schauspieler auf Doku-Soap-Level.<>Selten oder noch nie 2 Darsteller/innen mit weniger Menschenverstand gesehen als hier. Jeder 8-Jährige hätte hier logischeren und sinnvolleren Überlebensinstinkt mit besseren Ideen gehabt.”

Der Film hat nicht nur ein paar Schwächen, er ist purer Mumpitz und kann deshalb bei mir keinerlei Spannung aufbauen.

Dass ich mit den meisten Empfehlungen von Ronny Rüsch nichts anfangen kann, stört mich nicht, man will ja über den Tellerrand hinausblicken, deshalb höre ich mir auch die Besprechungen von SciFi, Fantasy und ähnlichem an, was ich nie schauen werde. Aber ich verlasse mich gerne auf die behaupteten Grundlagen von Bewertungen. Und hier zu “Fall” haben diese einfach überhaupt nicht gestimmt. Daher: Himbeere für diese Empfehlung.

Aber als versöhnliches Schlusswort: volle Zustimmung bei Rüsch’s Werbung für “Succession“.

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